Image ist nichts

Wie Werbung die metaphorischen Räume verstopft und die Kluft zwischen Symbolischem und Realem genauso wächst wie der Protest. Erkundungen der globalen Kampfzone

von HOLM FRIEBE

Wo immer Bill Gates in jüngster Zeit öffentlich auftritt, kann er damit rechnen, eine Torte ins Gesicht zu bekommen. Wo immer die Kosmokraten der Welt sich treffen, um ihre globalen Businesspläne auszubreiten, müssen sie Proteste gewärtigen. Seit den Achtzigerjahren hat es nicht mehr so massive Demonstrationen gegeben wie bei den letztjährigen Treffen von Internationalem Währungsfonds, World Trade Organisation oder Weltwirtschaftsforum. Hervorgegangen aus der Asche der alten Linken, angereichert um spontaneistische Art-Performance-Elemente und schlagkräftig organisiert übers Internet, ist diese Protestbewegung genau so heterogen und international wie die globale Wirtschaft. Als Initialzündung könnte der Aufstand der Zapatisten im ärmsten mexikanischen Süden am 1. Januar 1994 gelten. Zum Stichtag des Inkrafttretens der Amerikanischen Freihandelszone Nafta besetzten die Guerilleros mehrere Dörfer im Bundesstaat Chiapas und verbreiteten ihre Botschaft über das Netz, ein erstes öffentliches Fanal gegen die Globalisierung.

Einen historischen Sieg errang die Bewegung Ende 1999 in der „Battle of Seattle“, als die Innenstadt in Schutt und Asche gelegt und damit die Fortsetzung der WTO-Verhandlungen blockiert wurde. Das diesjährige Davoser Treffen der Granden aus Wirtschaft und Politik musste mit dem größten Polizeiaufgebot seit Gründung der Bündner Kantonspolizei vor zweihundert Jahren geschützt werden. Trotzdem stufte das US-Außenministerium die Schweiz für den Zeitraum als „Krisenregion“ ein – dieselbe Gefahrenkategorie wie Osttimor oder Kirgisistan – und riet US-Bürgern vom Besuch des Landes ab.

Was sind das für Menschen, die derartige Aktivitäten entfalten und damit derart geschäftige Abwehrreaktionen hervorrufen? Und was wollen sie? Früher hätte man schlicht von „Chaoten“ gesprochen, ohne weiter nach den Motiven zu forschen, Fall abgeschlossen. In den heutigen Nachrichten werden sie in Ermangelung eines präziseren Begriffs weitaus verständnisvoller „Globalisierungsgegner“ genannt.

Keine Frage: Das Unbehagen im Kapitalismus wächst, und die militanten Ausschreitungen sind nur das obere Achtel eines Eisbergs, dessen Sockel sich bis in weite Teile des Bürgertums erstreckt. Dass Rundumschläge wie Viviane Forresters Buch „Terror der Ökonomie“ oder Robert Kurz’ „Schwarzbuch des Kapitalismus“ zu Bestsellern werden können, zeigt an, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt und der globale Kapitalismus nach dem Ende des Kommunismus zunehmend in eine Legitimationskrise schlittert.

In den Feuilletons der bürgerlichen Presse wird seit Neuestem ein gediegener Salonantikapitalismus gepflegt, der freilich in seiner Konsequenzlosigkeit etwas Rührendes hat. Selbst im Wirtschaftsteil stößt man auf Unbehagen angesichts des wachsenden Unbehagens. So war kürzlich in der globalisierungsfeindlicher Agitation unverdächtigen Financial Times Deutschland zu lesen: „Die globalen Unternehmen repräsentieren gegenwärtig nicht mehr das, wonach Menschen verlangen, sondern immer stärker das, was wir fürchten – oder gar verabscheuen. Konsumenten wollen nicht werbetechnisch überrannt werden, sondern suchen nach Anhaltspunkten, dass sie den globalen Firmen wieder trauen können.“

An diesem Zitat wird auch ein wesentliches Paradigma der neuen Protestbewegung deutlich. Es geht nicht mehr in erster Linie gegen die Politik, auch nicht gegen die Globalisierung als solche. Es geht gegen die globalen Konzerne. Gemeinsamer Nenner der ansonsten disparaten Aktivismen ist die Ablehnung von Konzernmacht: eine Mischung aus Verbraucherschutzbewegung, internationalen Gewerkschaften und naiver Graswurzelromantik – und doch keins von alldem. In den USA, wo traditionell Gewerkschaften eine nachgeordnete Rolle spielen, wird deshalb auch nicht von „Globalisierungsgegnern“ gesprochen, sondern von „Anti Corporate Movement“. Wie ein Beobachter im kanadischen Magazin Adbuster, das mit seinen moralisch motivierten Werbeparodien ein wichtiges Organ der Antikonzernbewegung ist, schreibt: „Die neuen Aktivisten protestieren nicht mehr gegen die Schäden, die Firmen anrichten, sie protestieren gegen die Firma als solches.“ Selbst die Demonstranten in Davos forderten nicht etwa die Abschaffung des Geldes, sondern „die Zerschlagung der tausend größten Konzerne weltweit“.

Auch die Protestformen haben sich den neuen Gegebenheiten angepasst. Sie setzen auf Medienwirksamkeit, Symbolik und Hypes. Sie statuieren Exempel. Mit einem Wort: Sie sind catchy. Das macht sie der Werbung ähnlich, gegen die sie sich im Kern auch richten, und das macht sie für Unternehmen so unberechenbar gefährlich.

Worum geht es also? Es geht darum, den Mythen, die Werbung, Branding (brand = Marke, Brandzeichen) und Marketing kreieren, den Boden zu entziehen und einen wirksamen Gegenmythos aufzubauen. Das narrative Muster dahinter lautet: David gegen Goliath beziehungsweise Don Quixotes Kampf mit den Windmühlen. Die wirkliche Gefahr für Unternehmen liegt demnach nicht in der realen Bedrohung, sondern in der symbolischen. In gleichem Maße, wie Unternehmen virtueller werden, verlagern sich die Widerstandsformen ins Virtuelle. Wie im Marketing selbst geht es um „Mind share“. Es geht nicht nur um Fabriken, es geht auch um Logos. Es geht um die zunehmende Kluft zwischen Symbolischem und Realem.

Die fotogenen Ausschreitungen in Davos und anderswo sind somit nur eine – wenn auch extreme – Ausformung eines übergeordneten Trends. In denselben Kontext gehört, dass Teenager in den USA, wie die Trendforscherin Deedee Gordon beobachtet, zunehmend die Designerlogos aus ihren Markenklamotten entfernen oder mit Industrieklebeband abdecken. Mag die Furcht vor politischem Protest und Skandalisierung sich bei den meisten Firmen noch in Grenzen halten, müssen spätestens hier bei jedem Brandmanager die Alarmglocken schrillen. Denn wir verlassen den Sektor des sachlichen Diskurses und betreten die Gefilde von „cool“ und „uncool“. Wir reden nicht mehr von einem irreduziblen Bodensatz politischer Aktivisten, wir reden vom hysterischen Mainstream. Die Ausweitung der Kampfzone hat begonnen. Willkommen im Krisengebiet!

Für alle, die sich nicht mehr zurechtfinden, hat jetzt die kanadische Journalistin Naomi Klein eine umfassende Kartografie der Konfliktregion angefertigt – darin eingezeichnet sämtliche Frontverläufe, Minenfelder und künftigen Unruheherde. In akribischer Recherchearbeit und unzähligen Interviews auf beiden Seiten hat die Dreißigjährige die Symptome und losen Enden des wachsenden Protestes gegen Unternehmen und ihre Images zusammengetragen und auch gleich ein passendes Label dafür gefunden. „No Logo“ heißt die angenehme Mischung aus Pamphlet, wissenschaftlicher Abhandlung und autobiografisch eingefärbtem Generationenporträt.

Ohne Werbung, nur über Mundpropaganda ist das Buch zu einem „internationalen Geheimtipp“ avanciert, wie der Spiegel feststellt. Die Autorin ist auf dem besten Weg, zur Ikone der Bewegung zu werden. Die britische Times ernannte Klein zur „wohl einflussreichsten Person der Welt unter 35“. Und der Observer bezeichnete das Buch gar „The Das Kapital of the growing anticorporate movement“.

Dabei kommt Klein – bei aller Parteilichkeit und spürbaren Sympathie für den linken Kern dessen, was sie beschreibt – ganz ohne ideologischen Ballast aus. Obwohl Marx’ These vom „Fetischcharakter der Ware“ einen schönen Anknüpfungspunkt für Kleins These von der „Tyrannei des Brandings“ böte, kommt der Verweis im Buch nicht einmal vor. „Anecdotal Evidence“ heißt dagegen die Devise: Klein spricht als Betroffene, als Angehörige der Generation X, die als erste Generation der vollen Wucht des amerikanischen Teenagermarketings ausgesetzt war.

Wenn man sich den internationalen Kapitalismus für einen Moment vorstellt wie den Todesstern bei Star Wars, dann hat Klein damit eindeutig den Luftschacht identifiziert, der das gesamte System verwundbar macht. Über die Hälfte der Kapitalwerte der Unternehmen weltweit bestehen aus Namen- und Markenrechten. Bei kurzlebigen Konsumgütern sind es meist sogar über sechzig Prozent. Coca-Cola, Paradebeispiel für erfolgreiches globales Branding, hat nach Angaben der Agentur Interbrand, der führenden Instanz in Sachen Markenbewertung, einen Markenwert von mehr als 72 Milliarden Dollar und ist damit noch immer die wertvollste Marke der Welt. Allerdings werden hier auch die Gefahren deutlich: Marken sind genauso teure wie fragile Gebilde. Der Wert der Marke Coca-Cola ist laut Interbrand allein im Jahr 2000 um dreizehn Prozent gefallen.

Tatsächlich besteht ja der Wert einer Marke in ihrem Fetischcharakter – jenes Quantum an irrationalem Mehrwert, das den Nutzen des Produktes übersteigt. Das ist eine Binsenweisheit des Marketing und trifft bereits für die frühen mit Marken versehenen Massenprodukte zu. Dennoch, argumentiert Klein, hat das Branding in den letzten Jahren derart an Bedeutung gewonnen, dass man von einer neuen Qualität sprechen kann. Sie nennt das „die Ära der Superbrands“.

Die Geschichte geht so: „Der astronomische Zuwachs an Gewinnen und kulturellem Einfluss der multinationalen Unternehmen in den letzten fünfzehn Jahren“, schreibt Klein, „kann eindeutig zurückgeführt werden auf eine einzelne, vermeintlich harmlose Idee von Managementtheoretikern Mitte der Achtziger: dass erfolgreiche Unternehmen in erster Linie Marken produzieren müssen, im Gegensatz zu Produkten.“ Bis dahin sei Werbung in erster Linie als Verkaufsförderung angesehen und somit unter Kosten verbucht worden. Durch Fokussierung auf den inhärenten Wert von Marken konnten Werbeaufwendungen als Investitionen verbucht werden. Auf einmal standen die Investitionen in den Aufbau einer Marke gleichberechtigt neben dem Aufbau von Produktionskapazitäten oder der Entwicklung neuer Produkte. Die Marke hatte sich vom Produkt gelöst und konnte ihr Eigenleben antreten. Die Marken wurden die eigentlichen Stars: „Brands and Stars have become the same thing“, zitiert Klein Michael J. Wolf. Die Ära der Superbrands konnte beginnen.

Dabei war der Siegeszug dieser Idee keineswegs unangefochten, der Aufstieg des Marketings zur Königsdisziplin der Betriebswirtschaftslehre keineswegs ausgemacht. Anfang der Neunziger kam es, wie Klein aufzeigt, zu einer ernsthaften Krise des Systems, eingegangen in die Annalen als „Marlboro Friday“. Was war geschehen? Phillip Morris, bis dahin Vorreiter einer durch Branding und Markenaufbau getriebenen Premium- und Prestigestrategie, schien seinen eigenen Prinzipien zu misstrauen und senkte den Preis von Marlboro um zwanzig Prozent. Wenn selbst Marlboro vom Pfad des Branding abwich, so schien es, dann stimme mit dem ganzen Konzept etwas nicht. Wall Street entzog das Vertrauen, die Kurse der großen Konsumgütermarken purzelten. 1991 war das erste Jahr seit langem, in dem die Werbeausgaben in den USA sanken, und zwar um drastische 5,5 Prozent.

Was aussah wie der Tod des Branding, war, wie Klein argumentiert, nur das Zünden der zweiten Stufe. Während viele traditionelle Marken zur „Commodity“, zur Standardware, herabsanken und sich mit den Handelsmarken der Warenhausketten duellieren konnten, prosperierten während der Neunzigerjahre jene Marken, die von Anfang an weniger für ein Produkt, sondern für eine Philosophie standen: Nike, Apple, Calvin Klein, Disney, Levi’s und Starbucks. Weil sie durch und durch Marke waren – „branded to the bone“ – konnte ihnen die Krise der Produktmarke nichts anhaben. Wo die großen Marken der ersten Generation um ihr mühsam zusammengezimmertes Image bangen mussten, stand diese neue Generation von Marken gleichsam auf der sicheren Seite, weil sie von vornherein nur aus Image bestanden hatten.

Die Lösung: einfach noch einen Schritt weitergehen: „Über Nacht wurde ‚brands not products‘ der Schlachtruf für eine Renaissance des Marketing unter der Federführung von Unternehmen neuen Typus, die sich selbst mehr als ‚Meinungsbroker‘ denn als Warenproduzenten verstanden“, so Klein. Heute ist diese Überzeugung bekanntlich bis in sämtliche Niederungen der Konsumgüterindustrie vorgedrungen. Kaum ein Unternehmen, das noch ein simples Produkt anbietet, ohne gleich eine Lebensphilosophie mitzuverkaufen. Nike hat die Kurve gekriegt und verkauft keine Turnschuhe, sondern Sportsgeist, IBM keine Computer, sondern „Business solutions“, Swatch keine Armbanduhren, sondern Zeit.

Das Bild, welches Klein von modernen Unternehmen als „Superbrands“ zeichnet, ist, überspitzt formuliert, das einer Kulissenstadt für einen billigen Western: Firmen bestehen nur noch aus ihren nach außen hin sichtbaren Fassaden. Das was früher eine Firma ausmachte – Produkte, Patente, Produktionsstätten, Personal –, gerät ins Hintertreffen. Das massive Outsourcing und Streamlining von Unternehmensteilen, die Verlagerung der Produktion an Billigstandorte der Dritten Welt und der vor allem in den USA vorherrschende Trend zur dauerhaften Beschäftigung von Zeitarbeitern („Permatemps“) zu deutlich schlechteren Konditionen sind somit nur die hässliche Kehrseite, das, was sich hinter den Hochglanzfassaden der Marke abspielt. Multinationale Konzerne kontrollieren 33 Prozent der weltweiten Aktiva – mit nur fünf Prozent der direkt Angestellten. Da nimmt es dann auch nicht mehr Wunder, dass sechzig Prozent der Produkte, die Cisco ausliefert, nie ein Ciscomitarbeiter in Händen gehalten hat. All denjenigen Arbeitern, die im Zuge dieser Umstrukturierungen freigesetzt wurden, wird nahegelegt, sich selbst zu vermarkten, selbst zu einem Markenprodukt zu werden. „Brand Called You“ heißt ein populäres Ratgeberbuch von Tom Peters, das den Weg dorthin weist. Mit anderen Worten: das Selbstbranding als einzige Rettung in einer von Markenimages besessenen Wirtschaft.

Tatsächlich ist in den USA kaum eine Gewerkschaftsmacht erkennbar, die den Fortschritt in Richtung „Free Agent Nation“ – ein neoliberales Utopia, ausgerufen von Daniel H. Pink – aufhalten würde. Die neuen Protestformen bilden sich, wenn überhaupt, nicht mehr auf der Entstehungs-, sondern auf der Verwendungsseite des Bruttosozialproduktes, beim Konsum. Klein hat dafür eine simple Erklärung parat: Die Fixierung auf Marken ist uns längst in Fleisch und Blut übergegangen. „Rede über Regierung, rede über Werte, rede über Rechte – alles schön und gut, aber rede über Shopping, dann bekommst du wirklich unsere Aufmerksamkeit.“

Eine der Schlüsselerkenntnisse aus „No Logo“ ist, dass wir längst in einer Art Totalitarismus der Markenwelt leben, aus dem es kein Entrinnen gibt und in dem nur gehört wird, wer selbst die Sprache der Werbung spricht. Diese Feststellung ist nicht Anlass zu Kulturpessimismus oder moralischer Entrüstung, vielmehr Auslöser für ein diffuses Unbehagen: Je mehr sich Marken zu Kultur- und Sinnstiftern aufschwingen, desto mehr wird deutlich, dass sie nicht in der Lage sind, die Sinndefizite der säkularisierten Welt aufzufangen. Klein beschreibt das ganz subjektiv als ein Gefühl von Klaustrophobie, das bei vielen Angehörigen ihrer Generation verbreitet sein dürfte: „Was mich umtreibt, ist nicht die Abwesenheit von Raum im wörtlichen Sinn, sondern die Abwesenheit von metaphorischen Räumen: Loslösung, Überschreitung, ein unbestimmtes Gefühl von Freiheit.“

Schuld daran ist die flächendeckende Ausbreitung von Werbung und Sponsoring in alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Der ursprünglich unabhängige Charakter von Kultur, Sport und Medien wird so mehr und mehr von den Intentionen der Sponsoren überschattet. Jede soziale Spielfläche wird umgewidmet, jedes Thema mit einem kommerziellen Absender versehen und alle noch freien Claims im öffentlichen Raum besetzt. In den USA hält Werbung vermehrt auch an Schulen und Universitäten Einzug. (Ein krasses Beispiel: Zum 1998 von Coca-Cola ausgerufenen „Coke Day“ mussten alle Schüler der Greenbriar High School in Evans, Georgia, in „Coke“-T-Shirts erscheinen und lernten einen Tag lang von Coca-Cola-Mitarbeitern alles, was man über die braune Brause wissen muss. Dafür erhielt die Schule fünfhundert Dollar.)

Das „Ambient Marketing“ benutzt neue Werbeflächen, die bislang noch verschont geblieben sind, um seine Botschaften an den Konsumenten zu bringen, auf öffentlichen Toiletten, Gullydeckeln, Skiliften ... Täglich prasseln zwei- bis dreitausend Werbebotschaften auf den westlichen Konsumbürger nieder, der mit Abstumpfung reagiert. Die wachsende Immunität der Verbraucher führt dazu, dass die Intensität noch gesteigert und die letzten Freiflächen versiegelt werden. Ein Teufelskreis, wie selbst Deutschlands führender Werber Sebastian Turner in seinem Buch „Spring. Das Geheimnis erfolgreicher Werbung“ feststellt.

Es scheint, als hätte das System Werbung, das die letzten Jahrzehnte hindurch so überdurchschnittlich prosperierte, einen kritischen Schwellenwert überschritten, als würde ihm sein ungebremster Siegeszug allmählich zur Bedrohung – wie eine biologische Population, die sich qua guter Bedingungen enorm ausgebreitet hat und die jetzt qua Überbevölkerung ihre eigene Lebensgrundlage aushöhlt.

Nicht von ungefähr kommt der Widerstand gegen die Konzerne heute eher aus einer ästhetischen Ecke und entzündet sich vor allem an ihren Marketingaktivitäten. Als Kristallisationspunkt brauchen die Negativkampagnen zwar meist einen realen Kern, wie etwa die Enthüllung, dass Nike in Sweatshops der Dritten Welt produziert oder dass der Shellkonzern die Regierung in Nigeria hofiert und damit die Ausrottung des Ogonivolkes begünstigt.

Dass derartige Kampagnen aber auf übergeordneten Zuspruch und Sympathie auch in politisch wenig interessierten Kreisen stoßen, hat einen tiefer liegenden Grund, der mit Schadenfreude nur unzureichend benannt wird. Vielleicht ist der dominierende Konsumententypus längst der des Zynikers, der ahnt und sich damit abgefunden hat, dass er allerorten geblendet, belogen und übervorteilt wird. Deshalb hegt er eine klammheimliche Sympathie für die wenigen Don Quixotes, die tatsächlich den Kampf mit den Windmühlen aufnehmen. Auf diesem Nährboden gedeiht die Bewegung, die Klein portraitiert.

Zu den klassischen Bürgerinitiativen, die bestimmte Geschäftspraktiken und Produktionsweisen anprangern, ist weltweit eine lockere Allianz aus Künstlern und Medienguerilleros getreten, die teilweise an die Spontiszene der Siebziger erinnert. „Culture Jamming“ bezeichnet die Praxis, auf Plakatwänden die Werbebotschaften zu verfremden oder ihnen eine neue Bedeutung zu geben. In Amerika avancierte Culture Jamming teilweise regelrecht zum Volkssport. Das eingangs erwähnte Magazin Adbuster veröffentlicht monatlich Parodien von Anzeigenmotiven, um damit auf Missstände aufmerksam zu machen, und genießt mittlerweile internationale Beachtung. „Reclaim the Streets“ ist eine weitere lose vernetzte internationale Plattform, die sich die symbolische Rückeroberung der einst öffentlichen Räume und Territorien auf die Fahnen geschrieben hat. Zum Repertoire gehören spontane Partys auf Autobahnzufahrten, in Einkaufszentren oder in den Nachtschalterhallen von Banken, bis diese von der Polizei aufgelöst werden. Das 1997 erschienene „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ gibt Anleitung, wie man alte und neue Medien einsetzt, um effektiv Unfrieden und Verwirrung zu stiften, etwa mittels gefälschter Presseerklärungen.

Natürlich bietet auch das Internet hervorragende Bedingungen für Antiunternehmensaktivitäten weit über die Vernetzung hinaus. Im virtuellen Territorium haben kleine Kollektive oft wirkungsvollere Hebel als im realen. Die als „Toywars“ bekannt gewordene jahrelangen Auseinandersetzungen der Künstlergruppe „etoy“ mit dem Onlinespielzeuganbieter „eToys“ – Letzterer wollte die Verwendung des ähnlich klingenden Domainnamens gerichtlich unterbinden lassen – wurden zum Exempel für hartnäckige Renitenz im Netz und zum blamablen Eigentor für den Spielzeuganbieter. Die konzertierten Hackerattacken auf die Websites von Microsoft oder Yahoo! zeigen, dass selbst die Big Player verwundbar sind. Und was für ein Triumph für die Gegner des Weltwirtschaftsforums, als sie der Presse eine Liste mit hochsensiblen persönlichen Daten und Kreditkartennummern der Mächtigsten der Welt übergeben konnten, die sie von einem WEF-Server gezogen hatten. Im Datenraum, so scheint es, kann Don Quixote durchaus Achtungserfolge erzielen.

Dennoch liegen die Aporien dieser Ansätze auf der Hand. Auch wenn sich Klein in „No Logo“ kurz der romantischen Utopie einer von Logos befreiten Welt hingibt, macht sie sich keinerlei Illusionen, was die immanenten Schwächen des konsumbasierten Aktivismus angeht: Symbolischer Protest kann allenfalls symbolische Erfolge erzielen und eine Kritik, die auf Oberfläche abzielt, kann auch nur an der Oberfläche wirksam werden. So effektiv er sein kann, bleibt er seinem Wesen nach punktuell. Spontan geformte Allianzen können auch genauso schnell wieder zerfallen. Der noch so medienwirksame Graswurzelprotest ersetzt keine wirkungsvolle Kartellaufsicht. Eine Kampagne gegen den Sichtbarsten, Größten und Mächtigsten einer Branche begünstigt im Zweifel nur dessen Konkurrenten, obwohl dieser kein Jota besser sein muss. Das erfuhr Reebok, dessen Verkaufszahlen ohne eigenes Zutun in die Höhe ging, als Nike im Zuge der „Sneakerwars“ Mitte der Neunziger auf einmal uncool wurde.

Nicht zuletzt finden sich die Antimarketingaktivisten in der misslichen Situation wieder, um erfolgreich zu sein, ihre eigenen Ideen wirkungsvoll vermarkten zu müssen: „Die Frage, wie man eine Antimarketingkampagne am besten vermarktet, ist ein extrem heikles Dilemma.“ Weil die Räuber-und-Gendarme-Spiele mit den Markenimages immer schon auf dem vom Marketing definierten Spielfeld ausgetragen werden, weil selbst die schärfsten Gegner in der Logik des Branding gefangen sind, ist der Ausverkauf der Szene absehbar: Auch das Magazin Adbuster bietet mittlerweile Fan-T-Shirts und Kaffeetassen mit Aufdruck an.

Seit Gramsci wissen wir, dass der robuste Kapitalismus einen guten Magen für Widersprüche hat. Die Fähigkeit, Kritik zu absorbieren und ihr dadurch die Spitze zu brechen, ist atemberaubend. Das gilt vor allem auch für das Marketing, das sich längst das Antimarketing als eine neue Volte, unverbrauchte Spielwiese und glaubwürdige Stilart einverleibt hat – extrem edgy, weil ironisch selbstreferentiell! Klein nennt das „nichtlineare Werbung“ und gibt Beispiele: 1997 wirbt Nike mit dem Slogan: „I’m not a target market, I’m an athlete.“ Sprite stößt mit seiner weltweiten „Image is nothing“-Kampagne ins selbe Horn. „Image ist nichts, Durst ist alles.“ Die hippe Jeansmarke Diesel setzt mit seiner Submarke „Brand 0“ genau auf den Trend zum Debranding und ahmt in parodistischen Plakatwerbungen bereits die Interventionen des „Culture Jamming“ nach, frei nach dem Motto: Dekonstruiere dich selbst, bevor es andere tun.

Wie weit diese Form repressiver Toleranz mittlerweile geht, erfuhr die US-Band „Negativeland“, die gewissermaßen der musikalische Arm der Bewegung ist und in ihren Texten oft scharf gegen Werbung schießt. 1997 erhielt Mark Hosler, Kopf der Band, einen Anruf der ultrahippen Agentur Wieden & Kennedy mit der Anfrage, ob die Band den Soundtrack für einen Spot für die Biermarke Miller beisteuern würde. Hosler gab danach zu Protokoll: „Sie haben überhaupt nicht begriffen, dass unsere gesamte Arbeit in fundamentaler Opposition zu allem steht, womit sie befasst sind, und es hat mich sehr deprimiert, weil ich bis dahin dachte, dass unsere Ästhetik sich nicht ohne weiteres in Marketing übersetzen lassen würde.“

Auch der Hype, der mitlerweile um „No Logo“ entstanden ist, ließe sich böswillig als geschickt lancierte Kampagne hinstellen. Die Autorin ist damit zu einem internationalen Star und zu einem begehrten Markenprodukt geworden, ob es ihr nun passt oder nicht. Ist die „No Logo“-Attitüde letztlich nur der dringend gesuchte Glaubwürdigkeitskick für ein im eigenen Saft stecken gebliebenes Marketing? Oder ist Klein tatsächlich Sprachrohr einer mächtigen Bewegung, die endlich gelernt hat, immun gegen die Korrumpierungsversuche des Kapitals zu werden, und den internationalen Kapitalismus in seine nächste große Krise stürzen wird?

Wahrscheinlich keins von beiden: Der große Ikonoklasmus gegen die gebrandete Welt wird ausbleiben, das Gros der Menschen wird die Resistenz gegen Marketing der Renitenz vorziehen. Dennoch ist der latente Konsumentenargwohn für die Unternehmen ein ebensolches Problem wie die gezielte Protestattacke. Fest steht: Die Antwort auf den Überdruss am Marketing kann sicher nicht noch mehr Marketing sein. Auch nicht eines, das sich selbst als sein Gegenspieler ausgibt.

Es sind die simplen Utopien, die in einem Klima allgemeiner Saturiertheit eine ungeheure Strahlkraft entfalten. Denk das Undenkbare! Stell dir eine Welt ohne Logos vor! Man kann gegen Kuba sagen, was man will, wer jemals vom Flughafen aus nach Havanna hineingefahren ist, wird die Abwesenheit von Werbetafeln und Coca-Cola-Logos als fundamental neue Erfahrung verbuchen.

Die Botschaft von „No Logo“ lässt sich auf diese simple Frage herunterbrechen: Wie viel Raum wollen wir Marken in unserem Bewusstsein einräumen und was können wir stattdessen sonst noch anstellen? Oder wie Naomi Klein es im Interview formuliert: „Die Ideen, die diese Marken adaptiert haben, sind immer noch machtvoll: Gemeinschaft, Stärkung des Einzelnen, Demokratie etc. Natürlich sind die Marken auf den Plan getreten, uns diese machtvollen Ideen zurückzuverkaufen. Aber es handelt sich um eine Mogelpackung, deshalb bleibt die Sehnsucht, und wir müssen immer weiter shoppen. Dennoch brauchen wir echte Gemeinschaften, echte Demokratie, echte Mitsprachemöglichkeiten des Einzelnen im globalen Zeitalter. Wir werden herausbekommen, woher wir das nehmen, jedenfalls nicht von unseren Turnschuhen.“

Vielleicht ist ja tatsächlich schon etwas gewonnen, wenn wir einfach anfangen würden, weniger über Turnschuhe nachzudenken.

HOLM FRIEBE, 28, Diplomvolkswirt und Journalist, arbeitet als Unternehmensberater