Der gläserne Verbraucher

Warum wirbt ausgerechnet Stefan Raab für McDonald’s, warum Verona Feldbusch für den „Blubb“? Das neue Zauberwort der Werber heißt Semiometrie und ermittelt, wie Kunden ihre Werbung wollen – und welcher Promi dem Produkt am besten steht

von SABRINA EBITSCH

Ein neues Marketingkonzept verspricht Gewinn bringende Einblicke, um Kunden und Käufer transparenter zu machen. Gläserner. Was Birgit Schrowange und Mon Cherie verbindet zum Beispiel. Und dass die meisten Katjes kauen, wenn „nur die Liebe zählt“ läuft.

Semiometrie nennt sich, was Einstellungen und Vorlieben des Verbrauchers an die Oberfläche holen soll. Wissen, wie der Käufer tickt, um zu wissen, was er will und kauft – um dann dementsprechend zu werben. Semiometrie geht davon aus, dass diese Vorlieben in der Sprache Ausdruck finden – und darüber messbar sind. Wo Einheitswerbung von der Stange potenzielle Käuferscharen in der Bauchgegend zwickt, sorgt Semiometrie für maßgeschneiderte Reklame.

Das Maßnehmen übernimmt seit zwei Jahren das TNS Emnid Institut Bielefeld. Regelmäßig werden 4.300 Menschen zu ihren Konsumgewohnheiten befragt und bekommen 210 Begriffe zur Bewertung vorgelegt, die auf einer Skala von „sehr unangenehm“ bis „sehr angenehm“ eingeordnet sein wollen. Sämtliche Begriffe, die die Befragten mit Extrempositionen bedacht haben, werden danach den vier Wortfeldern „Pflicht“, „Sozialität“, „Individualität“ und „Lebensfreude“ zugeordnet. Daraus lässt sich dann eine persönliche Wertelandschaft ablesen – des Werbers Schatzkarte.

Der Nutzwert: Nun kann eine beliebige Gruppe herausgegriffen werden. Nokia-Handy-Nutzer reagieren besonders stark auf Begriffe wie „Held“, „Nacktheit“ und „wild“. Ganz im Gegensatz zu Bosch-Handy-Nutzern, die sich zwischen den Ecken „Pflicht“ und „Sozialität“ drängen und „Ehre“, „gehorchen“ und „mütterlich“ favorisieren. Ein Produkt, zwei Zielgruppen: Joschka Fischers und Friedrich Merz. Die Ergebnisse von Nokia-Kunden decken sich außerdem besonders gut mit denen regelmäßiger Kinogänger. Schlussfolgerung: Mit Kinowerbung wäre Nokia gut bedient. Für Bosch aber, zumindest gemäß Semiometrie, ein Griff ins Klo.

Und wenn nun Ikea auf der Suche nach einem prominenten Fahnenträger wäre? Ikea-Kunden sind lustorientiere Individualisten mit Spaß am Leben. Das sind Fans von Mo Asumang auch. Ein stimmiges Bild: Die Wahre-Liebe-Moderatorin neben „Mollösund“, dem Waschbeckenunterschrank.

Andreas Boehling von der Agentur Promikativ versucht, Prominente und Produkte zusammen zu bringen: „Wir sind sehr zufrieden mit Semiometrie. Man lässt sich das eigene Bauchgefühl im Nachhinein bestätigen.“ Allerdings warten die Promis von Zlatko bis Harald Schmidt, die für die hauseigene Kartei getestet wurden, bisher noch auf ihren Einsatz.

Noch. Denn einen ungeschliffenen Diamanten, meint auch André Petras, Senior Manager von TNS Emnid, in Händen zu halten: „Psychografische, qualitative Merkmale sind ursächlich für das Kaufverhalten und gewinnen immer mehr an Bedeutung“, sagt Petras – Maßanfertigung eben. Denn Strategien sind es, die Werbung und Produkt den entscheidenden Vorteil im Schlachtengetümmel sichern. Coca-Cola und „TV Total“? Treffer, Schiff versenkt.

Der Musiksender Viva zum Beispiel verwendet die Semiometrie-Daten von TNS Emnid seit dem vergangenen Jahr, um das Werteempfinden der Zielgruppe zu entschlüsseln und um herauszufinden, ob Werbung für das Produkt X auf Viva Sinn macht.

Daisy Dees „Club Rotation“ wird also von McChicken und Vanille-Milkshakes unterbrochen. Und Charlotte Roche hat Pause, wenn Empfehlungen für Handys und Klamotten über den Sender gehen.

Zwar weiß man beim Tiefkühlbäcker Coppenrath & Wiese noch nichts von dem Glück, dass Kai Pflaume der Kirschkuchen ausgezeichnet zu Gesicht stehen könnte. Aber Semiometrie wird in der wunderbarenWerbewelt vom Phänomen zum Standard werden.

Dann lässt sich Sabrina Setlur telegen die Kinderschokolade auf der Zunge zergehen. Und Ulla Kock am Brink kann lächeln – für Jakobs Krönung vielleicht.

Werbung wird ein bisschen mehr so sein, wie der Kunde sie will: Ein bisschen prominenter, ein bisschen weniger beliebig und ein bisschen weniger belästigend.

Aber eben auch effektiver, weil die Manipulation ebenfalls effektiver wird, Spielart einer Entwicklung, die die komplette Gesellschaft erhebt, scannt, in Daten verwandelt und in irgendwelchen Rechnern abspeichert. Schließlich sind auch die Mattscheiben der Monitore nur aus Glas.