Der Ödnis üble Varianten

Dänische Provinz vom Trostlosesten – und wie man sich ihr andient: Jan Sonneraard und Helle Helle im Literaturhaus  ■ Von Liv Heidbüchel

Jeder, der schon mal auf dem Land gelebt hat, kennt das: Nicht wenige Tage fühlen sich wie stille Sonntage an, kein Mensch lässt sich auf der Straße blicken. Sieht man irgendwo eine Katze vorbeihuschen, schätzt man sich schon glücklich. Dieses Gefühl mag einen aber auch einfach bei der Durchreise beschleichen. Besticht anfangs noch die dörfliche Gemütlichkeit im Fachwerkgewand, kann sich dies schnell in einen regelrechten Ekel vor der Ödnis auswachsen. Wohnen möchte man in so einem kleinen Flecken nicht.

Die dänische Autorin mit dem eingängigen Namen Helle Helle schickt ihre Hauptfigur Anne in ihrem Roman Haus und Heim in exakt so ein verschlafenes Nest. Doch nicht irgendeins. Es ist Annes Heimatort, dem sie seit dem Tod ihrer Eltern 14 Jahre lang abstinent war. Wie das Leben jedoch immer so spielt, bekommt ihr Freund Anders einen Job ganz in der Nähe. Also kehrt Anne zurück und wird, wie sollte es anders sein, mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.

Der Roman beschreibt, wie Anne mit dem gleichen Los hantiert wie früher ihre Eltern: Zugezogene gehören nicht dazu. Und werden es wohl auch nie. So glaubt man als Leser zu wissen – und ahnt schon Annes Scheitern voraus. Ebenso, wie man ihre Beziehung zu Anders in die Binsen und sie mit dem benachbarten Pfarrer in die Betten gehen sieht. Helles im Hier und Jetzt geschriebenes Werk jedoch triezt den Leser dadurch, dass es einem Showdown permanent und stur ausweicht. Mit Hingabe zum Detail beschreibt die Autorin zwar minutiös noch jede unvorteilhafte Falte, die ein Kleidungsstück in der Bauchregion wirft und jedes sorgsam bereitete Minzsorbet. Gleichzeitig verwehrt sie jegliche Reflexion oder Innenansicht ihres Hauptcharakters. Also bringt Anne ihre Tage in einer oberflächlichen Pseudoidylle herum, die sich nur noch durch ein Konglomerat von Kind, Kegel, Bello und Hansi perfektionieren ließe.

Doch plötzlich erfährt man von der Affäre besagten Pfarrers mit Annes Schulfreundin und fragt sich, wie man nur so an der Nase herumgeführt werden konnte. So liest sich Helles Roman als ironische Einlassung zur unintelligenten Alltäglichkeit, die Menschen nicht nur auf dem Dorfe auszeichnet.

Davon, dass die Stadtflucht mitunter eine miese Alternative darstellt, überzeugen auch die Geschichten aus der Kopenhagener Provinz, wie der Untertitel von Jan Sonnergaards Kurzgeschichtenband Radiator lautet. Wenn man weiß, dass Kopenhagens Nordwes-ten etwa Dulsberg oder Eidelstedt entspricht, und sich bei Sonnergaard just im Nordwesten das meis-te abspielt, ist schon vieles klar. Fröhlichkeit braucht man nicht zu erwarten, die gibt es nämlich auch nicht. Stattdessen strotzt jede der Geschichten vor Trostlosigkeit, Aggression und Einsamkeit – manchmal derart mit Alkoholismus gepaart, dass einem die Leber schon beim Lesen schrumpft.

Nach Sonnergaard ist Einsamkeit das größte Tabu der heutigen Zeit: Sie ist schlicht illegal. Sonnergaards überaus konkret und bestimmt nicht schöngeistig formulierte Sammlung von Losern führt dieses Tabu jedoch immer wieder unerbittlich vor. So vegetiert ein seit sechs Jahren arbeits- loser Mann in seiner Wohnung vor sich hin. Er gleicht einem Fettberg in Polyester, den keiner mag. Selbst schuld, denkt sein Umfeld. Wenn überhaupt noch jemand über solche Wesen nachsinnt.

Bei Sonnergaard denkt nämlich jeder noch in der größten Misere höchstens an seine eigene Haut. Ehemals gute Kumpel lassen sich wichtigtuerisch über echt super Jobs aus. Von Besuchen bleibt nur schlechte Laune. Und manchmal ein Gastgeschenk: ein schmieriger Toaster. So geht es eben denen, die einfach keine Ambitionen haben. Ein vereinzelter fahler Lichtstrahl in Sonnergaards Nordwest lässt sie nicht unbedingt besser aussehen.

Montag, 18 Uhr, Literaturhaus