Eine Art sekundäre Freude

Wie ein B-Movie erster Güte das Böse mit dem Bösem bekämpft: Nach 27 Jahren gibt es ein Wiedersehen mit William Friedkins Film „Der Exorzist“. Der Bericht eines Kinogängers, der den Film zumindest als junger Konfirmand noch unbeschadet überstand

von ULF ERDMANN ZIEGLER

In einer geheimnisvollen archaischen Welt, wo alte Männer weise sind und die Kinder mit großen Augen zu ihnen aufschauen, wird eine Wahrheitsfrage gestellt. Ein Junge, ein niedlicher selbstverständlich, macht sich auf in die alte Bibliothek, wo er ein bebrilltes halbwüchsiges Mädchen am Computer findet. So kommt die Frage nach der Wahrheit in den internationalen Chatroom, und der Junge kehrt mit einer Antwort zurück in die Märchenprovinz, wo er zum Lohn einen goldenen Taler erhält.

Ein aufwendig erstellter Film, der eine solche Geschichte erzählt, wurde den Besuchern des „Planet M“ in Hannover vorgeführt. Die Expo-Idee von Bertelsmann, nämlich dass die schwierigsten Fragen durch wüste Teilnahme am elektronischen Nachrichtencode zu lösen seien, ist ziemlich genau das Gegenteil dessen, was der nun wieder ausgegrabene Film „Der Exorzist“ im Schilde führt. Hier soll gesagt werden, dass die ganze Welt des Wissens vor den innersten Geheimnissen kümmerlich versagt und tiefe Ströme von Bildern oder Symbolen die Orte und die Zeiten undurchschaubar verbinden.

Um ein Kind zu retten, das sich in ein Galle spuckendes Monster verwandelt hat, muss man „zurück ins Mittelalter“, wie jener Priester glaubwürdig einzuwenden hat, der dann im Höhepunkt der Teufelsaustreibung leider zum Fenster hinausgeworfen wird und eine lange, schmale Treppe hinunterstürzt, um als pittoresker Toter an ihrem Fuße liegen zu bleiben. Unbewusstes, ick hör dir trapsen!

„Der Exorzist“ ist ein B-Movie erster Güte, und wer an leidlich aufwendig erstellten Szenen, die sich verwegen am dürren Faden eines abenteuerlichen Konstrukts entlangranken, seine Freude hat, sollte diesen Film unbedingt gesehen haben.

Mein Motiv, ihn nach siebenundzwanzig Jahren wiederzusehen, war allerdings keine ungetrübt cineastisches. „Der Exorzist“ war der zweite Hollywoodfilm, den ich jemals im Kino gesehen habe, mit einigem Abstand zur „Love Story“.

Ich kann mich genau erinnern an die glühenden Augen des Mädchen, das aufgedunsene, schrundige Gesicht, die fauchende Bauchrednerstimme, das mondäne Stadthaus, in dem das Mädchen wohnt, das rüttelnde Bett, die tief sich grämende Mutter und die unglaubliche Stille des Moments, in dem die Teufelsaustreibung gelungen ist. Mein damaliges Motiv, den Film zu sehen, war, dass man den Konfirmanden vom Besuch dringend abgeraten hatte. Der Rat kam einem Verbot schon nahe, denn führende Köpfchen des pietistischen Kreises waren überzeugt davon, dass böse Vibrations von diesem Film ausgingen, gegen die man sich nicht wehren könne. Den Film zu sehen, glich bei mir also einem Vernunfttest: Ich wollte an meiner Person belegen, dass man einen Kinobesuch zwingend unbeschadet übersteht. Dass die Altersgrenze um vier Jahre zu unterbieten kein Problem an der Kinokasse war, darf man wohl unter „typisch Siebziger“ ablegen. Ich staune nun doch, woran ich mich nicht mehr erinnern konnte: die lange Szene über eine unheimliche Ausgrabung an einem muslimischen Wüstenort, die gleich nach den ersten Bildern aus Washington DC als Rückblende eingebaut ist. Aber auch die Krankenhausszenen waren ausgelöscht, Bilder von grauenhaften Untersuchungen am Kinde unter riesigen Apparaturen. Mir war also völlig entgangen, dass es sich um eine vehemente Kritik an der klassischen Medizin handelt, die durch Ärzte vertreten wird, die gezielt ratlos und uncharismatisch gespielt werden. Keine Erinnerung hatte ich daran, dass die Mutter des Mädchens eine berühmte Hollywoodschauspielerin sein soll, die gerade eine Einladung zu einem kleinen Dinner im Weißen Haus bekommen hat. Wirklich hängen geblieben war die Rolle des besessenen Mädchens – Linda Blair – und die ihres Gegenspielers, des alten Priesters Father Merrin, gespielt von Max von Sydow. Es sind die besten schauspielerischen Leistungen des Films, aber sie sind auch angesiedelt auf der Hauptachse der spekulativen symbolischen Konstruktion der Filmerzählung: dass nur einer, der den Kern des Unbegreiflichen geschaut hat, dem „anderen“ im Menschen etwas entgegenzusetzen habe.

Das Böse mit dem Bösen zu bekämpfen, ist das Motto dieses Films. Falls ich mit meinem Wunsch nach der Bekämpfung der kirchlichen Zensur als Testperson überhaupt qualifiziert bin, würde ich bezeugen, dass ein B-Movie wirklich nicht schaden kann. Unabhängig von der Wucht einzelner Bilder und Töne wird der Film vom Rezipienten zusammengestutzt auf das, dessen Gegenteil man schlecht beweisen kann; also den Rest einer authentischen Annahme. Der ganze übrige Müll, das Schmierenspiel und das Kripotheater und das Archäologengetue, die Psychatrieklischees und die klinische Folter: All das wird als windig verworfen, auch bar jedes fachlichen Verstands. Und bereitet beim Wiedersehen eine Art sekundärer Freude.

Laufender Schwachsinn, mit Ernst und Verve in Szene gesetzt, ist ein amüsantes Ding. Der Filmverleih weiß auch, dass dies nicht „der erschreckendste Film aller Zeiten“ und seine immense unfreiwillige Komik auch durch Zufügungen des Regisseurs im Nachhinein nicht zu tilgen ist. Die Armut des Gedankens ist nämlich überhaupt nicht teuflisch; deshalb gibt es dagegen auch kein Mittel. Nimmt man also das symbolische Konstrukt des Films, vor dem sich meine Pietisten fürchteten, fragt man sich, ob man die Spekulation über die Wurzeln des Bösen in eine glaubwürdige Handlung hätte einbetten können. Es fällt schwer, denn die Autoren des Films wollen uns ja dahin lenken, zu glauben, dass es etwas gibt, vor dem die Vernunft versagt. Andererseits kann man die vertrauten Motive des sozialen Lebens nicht einfach aussparen; irgendwoher muss die Identifikation ja kommen. So erzählt eine Nebenhandlung von der Abwesenheit des Vaters, der in einem römischen Luxushotel weilen soll und sich auch zum Geburtstag des Mädchens – das eigentümlicherweise Regan heißt – sich nicht meldet.

„Der Exorzist“ ist also ein grotesker Versuch über das Phänomen des Scheidungskinds. Im Übrigen war der Film, dessen Rest von Grusel fast ausschließlich auf der Musik beruht, meine erste Begegnung mit Kompositionen von Henze, Penderecki und Webern. Am Ende haben die Kirchenleute natürlich Recht behalten, und ich habe meine Glauben irgendwann verloren.

„Der Exorzist“ – Director’s Cut“. Regie: William Friedkin. Mit Ellen Burstyn, Max von Sydow, Linda Blair u. a. USA 1973/2000, 132 Min.