Treffen von Pragmatikern

Bei seinem Besuch in Russland verfolgte der iranische Staatspräsident vor allem ökonomische und militärische Interessen. Einwände der USA werden ignoriert

MOSKAU taz ■ Am gestrigen Mittwoch ging der viertägige Staatsbesuch des iranischen Staatspräsidenten Chatami in Russland zu Ende. Es war die erste Visite eines iranischen Staatsoberhauptes in Moskau, seit in den Siebzigerjahren der letzte Schah, Reza Pahlewi, die Sowjetunion besuchte. Der iranische Gast absolvierte ein umfassendes Besuchsprogramm, das ihn am Mittwoch auch nach St. Petersburg und in die muslimisch geprägte Republik Tatarstan führte.

Beide Seiten hatten dem Treffen schon im Vorfeld herausragende Bedeutung eingeräumt. Das Protokoll sorgte denn auch dafür, dass die hochgesteckten Erwartungen nicht enttäuscht wurden. So unterzeichneten Russlands Präsident Wladimir Putin und sein iranischer Amtskollege bereits wenige Stunden nach Eintreffen des Gastes ein umfangreiches Kooperationsabkommen. Vor allem in der Atomenergie und im Bereich der konventionellen Rüstung wollen beide die Zusammenarbeit vertiefen. Überdies zeigte Teheran Interesse an einer engeren Kooperation auf militärischem Gebiet. Besonders begehrt scheint das russische Raketenabwehrsystem S-300 zu sein, das in der Lage ist, sechs niedrig fliegende Mittelstreckenraketen auf einen Schlag zu zerstören.

Verkauft der Kreml diese hochsensible Technik tatsächlich, dürfte das nicht ohne Folgen für die ohnehin belasteten russisch-amerikanischen Beziehungen bleiben. Kremlchef Putin wies die Kritik der USA an der Ausweitung des Waffen- und Atomgeschäfts mit dem „Schurkenstaat“ Iran deutlich zurück. Teheran wolle nur defensive Waffensysteme kaufen, überdies werde sich Russland strikt an die internationalen Vereinbarungen über die Verbreitung von Waffensystemen halten.

Die russische Haltung traf Washington nicht aus heiterem Himmel. Im Dezember hatte Moskau das „Gore-Tschernomyrdin-Abkommen“ mit den USA aufgekündigt. In der Geheimvereinbarung von 1995 hatte sich Russland verpflichtet, bis 2000 keine neuen Waffen an den Iran zu liefern und trotz laufender Verträge ältere Technik nicht nachzurüsten. Das Geschäft will sich Moskau inzwischen nicht mehr entgehen lassen. Langfristig werden Einnahmen von sieben Milliarden US-Dollar genannt. Der gesamte Warenverkehr zwischen den Ländern macht zurzeit nur 900 Millionen Dollar aus.

Vor dem Besuch hatte der iranische Außenminister Kamal Charrasi die Zusammenarbeit mit Russland als „eine strategische Entscheidung Teherans“ bezeichnet. In der Tat gibt es eine Reihe gemeinsamer Interessen und Abneigungen. So fürchten beide, das radikal-islamistische Regime der Taliban in Afghanistan könne längerfristig die labile Region Zentralasien ins Chaos stürzen. Auch um die Eindämmung des Drogenschmuggels sind beide Parteien bemüht. Sie lehnen einmütig die Nato ab und halten sich auf kritischer Distanz zum Nachbarn Türkei. Als regionale Großmächte und Anrainer des Transkaukasus ist ihnen zudem daran gelegen, den Einfluss Washingtons in der Region zurückzudrängen. Gleichzeitig treten Iran und Russland dort als Konkurrenten auf. Dies belegen die schwierigen Verhandlungen über die Aufteilung der Kaspisee und die Nutzung der dortigen Energiereserven. Das mag einer der Gründe sein, warum die Staatschefs eine „strategische Partnerschaft“, wie sie Russland mit China und Indien pflegt, auf dem Gipfel nicht mehr öffentlich angesprochen haben.

Kurzum: Pragmatismus und Wohlwollen kennzeichnen die gegenseitigen Beziehungen. Mehr indes nicht. Die Richtung Washington ausgesandten Signale der Unbeugsamkeit sind für die Kritiker im eigenen Haus bestimmt. KLAUS-HELGE DONATH