Der Zustand des Riesen ist ernst

„Wir lieben den Buddha, weil er Geld bringt“, sagt der Museumsleiter. Eine neue Zufahrtsstraße, ein Parkplatz und ein Tunnel für Touristen sind geplant

aus Leshan und Peking CHIKAKO YAMAMOTO
und GEORG BLUME

Einem Riesen die Nase zu putzen ist schwer: Erst muss man auf seinen Schultern Gerüste aufbauen. Seit das am letzten Wochenende geschehen ist, können die Menschen über das linke Ohr auf den Nasenrücken klettern, ausgerüstet mit Sandpapier, das sie als Schneuzlappen verwenden. Ein paar Wochen soll das so gehen: jeden Tag scheuern und schleifen, bis die vier Meter lange Nase rußfrei ist und wieder neu bemalt werden kann. Dabei müssen die Menschen ganz vorsichtig sein. Denn ihr Riese ist ein weicher Kerl – ganz aus bröckligem Sandstein geschlagen. Was wäre, wenn er wie die Sphinx in Ägypten seine Nase verlöre?

So geht das in der kleinen südwestchinesischen Stadt Leshan seit über tausend Jahren – ohne größere Verletzungen. „Das Naseputzen ist Routinearbeit“, sagt der Denkmalbeauftragte Wu Shengli. Der lokale Kulturfunktionär ahnt nicht, dass die Pekinger Parteipropaganda ihm noch am gleichen Tag widersprechen wird. Am Montag dieser Woche berichtet das chinesische Staatsfernsehen CCTV von den „größten Restaurationsarbeiten am großen Buddha von Leshan seit Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949“. Vor Ort weiß man davon nichts. Schließlich putzt man die Riesennase nicht zum ersten Mal.

Der größte sitzende Buddha

Doch plötzlich ist Leshan für Peking interessant: Zwischen subtropischem Immergrün und roten Sandsteinfelsen sitzt hier der größte Buddha der Welt. 1.200 Jahre ist er alt. Sein Wert ist gestiegen, seit die afghanischen Taliban-Krieger die zwei weltberühmten Buddhas von Bamian zerstörten. Deren größere war 53 Meter hoch und als größter stehender Buddha bekannt. Der sitzende Buddha mit dem Namen Lingyun („der bis zu den Wolken reicht“) erreicht eine Größe von 71 Metern und ist mindestens ebenso wertvoll wie seine nur zwei Jahrhunderte älteren Brüder in Afghanistan. In einer Bauzeit von 90 Jahren (713 – 803) schufen die in der Hochkultur der Tang-Dynastie zum Buddhismus bekehrten Chinesen ein mit der Natur verwachsenes Denkmal, das dem Berg an der viel beschifften Drei-Fluss-Kreuzung von Minjiang, Qingyi und Dadu das Profil eines Gottes gibt. Erhalt und Pflege der kunstvollen Statue will die chinesiche Regierung nun als Beweis für die religiöse Toleranz in der Volksrepublik verstanden wissen – da deren Mangel gerade vor der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf kritisiert wird.

Eines wird dabei jedoch übersehen: Dem alten Buddha geht es schlecht. Davon wissen nur Experten: „Die Verbindung zwischen dem Buddha und der ihn stützenden Steinwand ist gefährdet“, warnt Guo Zhan, Inspektor in der Nationalen Verwaltung für Kulturschätze in Peking. Guo beklagt das fehlende Denkmalschutzinteresse der Leshaner Kulturbehörden, die sich hauptsächlich dem Tourismusgeschäft widmen. Annähernd zwei Millionen Besucher zieht der große Buddha jährlich an. Guo protestiert: „Im Menschengedränge werden die Besuchervorschriften nicht eingehalten. Wir müssen deshalb als Erstes die Besucherzahl reduzieren.“

Nichts wäre dem Riesen mit seinem weltfernen Blick mehr zu wünschen. Die Masse Mensch umringt den Buddha wie ein Ameisenheer eine tote Maus – an 365 Tagen im Jahr. Schon haben Touristen seine acht Meter langen Fußrücken abgelaufen, Steine und Boden sind verschmutzt, die Felsen ringsherum von Füßen und Händen zerkratzt. Keine der kleineren Buddha-Figuren aus der Tang-Zeit, die einst die Felswände ringsherum schmückten, hat Touristen und Verwitterung überlebt. Eine seitlich des Buddhas in den Stein gehauene Treppe ist hoffnungslos überlastet. Einsturzgefahr droht zudem von einem neu gebauten Tunnel, der den Besuchern leichteren Zugang zum Denkmal verschafft. Zu all dem gibt es jetzt noch Pläne, einen zweiten Tunnel oder eine Fußgängerbrücke zu bauen. Deren Pfeiler müssten in den nachgiebigen Stein gemeißelt werden.

„Der Buddha von Leshan befindet sich in einem ernsten Zustand“, weiß auch Yuan Shuguang, Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit im Pekinger Ministerium für Wissenschaft und Technik. Der für Denkmalpflege zuständige Beamte war gerade auf einer Inspektion in Leshan. Jetzt sucht er nach internationalen Experten, die vor Ort zu einer Lösung der drängenden Restaurationsprobleme beitragen können. Hier geht es um die Statue an sich. Bislang unternommene Zementreparaturen am Körper des Buddhas entsprechen nicht dem Stand moderner Denkmalpflege. Und auch wenn man jetzt mit neuem, sandsteinähnlichem Material die derzeit dringendsten Flickarbeiten an Kopf und Bauch erledigen will, beantwortet das noch nicht die langfristige Frage nach dem Erhalt des ursprünglichen Gesteins.

Felsmassiv im Rücken

„Alle Denkmäler, die aus dem anstehenden Felsen herausgemeißelt sind, werfen bei der Restaurierung besonders große Probleme auf“, sagt Rolf Snethlage. Der Mineraloge vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege hat sich dem Pekinger Wissenschaftsministerium bereits als zuverlässiger Partner bei der Restauration der berühmten Terrakotta-Armee in der alten Kaiserstadt Xian empfohlen. Nun möchte ihn das Ministerium nach Leshan holen. Doch auch Snethlage stände dort vor Problemen: „Der Buddha hat ein Felsmassiv im Rücken und nimmt am Feuchtehaushalt des gesamten Massivs teil. Oberflächenwasser und Sickerwasser schädigen den Bestand.“ Deshalb können die üblicherweise bei Sandsteinen sehr hilfreichen siliciumorganischen Konservierungsmittel nicht angewandt werden – das Gesteinsinnere ist zu feucht, das Konservierungsmittel kann nicht tief genug eindringen. Auch Kunstharze scheiden aus, weil sie die Oberfläche verdichten. Bei hoher Feuchte im Inneren kann das dazu führen, dass Steinschichten abplatzen.

Solche objektiven Hindernisse erleichtern das Nichtstun vor Ort. Ohnehin fehlt den kommunistischen Denkmal-Managern in Leshan wissenschaftlicher Sachverstand. Huang Xueqian, Direktor des Lingyun-Museums im Tempel des großen Buddhas, nahm seine Arbeit schon vor dreißig Jahren inmitten der Kulturrevolution auf. Zur Zerstörung der Buddhas in Afghanistan sagt er: „Das hätte in China nie passieren können.“ Doch im Woyou-Tempel auf dem Nachbarberg, wo noch heute die buddhistischen Mönche leben, die den großen Buddha bis zu ihrer Vertreibung durch die Kommunisten über die Jahrhunderte hinweg pflegten, erzählt man von dreißig Kilogramm Sprengstoff, die von den Roten Garden der Kulturrevolution bereits installiert waren. Bis Premierminister Zhou Enlai in Peking ihnen Einhalt gebot.

Die Weltbank investiert

Seither schlägt dem Buddha nicht mehr die alte, aufopferungsvolle Bewunderung entgegen. „Wir lieben den Buddha, weil er Geld bringt“, sagt Museumsleiter Huang und zeigt auf das andere Flussufer. Dort liegt das Städtchen Leshan – eine reiche Oase inmitten der armen Provinz Sichuan. Des Fortschritts wegen – und nicht etwa dem Buddha zuliebe – hat auch die Weltbank in der Gegend investiert. Ein Vier-Millionen-Dollar-Kredit wurde für die „urbane Entwicklung in der Umgebung des großen Buddhas“ gewährt. Mit diesem Geld sollen nun die Zufahrtsstraße zum Denkmal ausgebaut und ein neuer Besucherparkplatz angelegt werden. Der für Leshan zuständige Weltbank-Koordinator in Peking, Mats Anderson, nennt das die „Integration kulturellen Erbes in das moderne, urbane Leben“. Das mag den Einnahmen der Stadt helfen. Doch dem Buddha nutzt es wenig – er muss sich vor noch größerem Andrang fürchten.

Tatsächlich muss sich die Weltbank bei der Projektausführung nach den lokalen Behörden richten. Und auch die Nationale Verwaltung für Kulturschätze in Peking kann vor Ort keine Besucherbegrenzung verordnen. Weltbank-Ingenieur Jeffrey Read, der in Leshan die Projektbetreuung verantwortet, sieht deshalb nur einen Ausweg: „Wir brauchen internationale Hilfsgelder“, sagt Read. „Es wäre eine exzellente Idee, wenn sich deutsche Organisationen wie die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Leshan engagierten. Die Weltbank und die chinesischen Behörden würden sie dann mit allen Mitteln unterstützen.“ Damit dem Riesen noch viele Jahrhunderte lang in Ruhe die Nase geputzt werden kann.