Objektiv in der Roten Armee

Das deutsch-russische Museum Berlin-Karlshorst stellt Fotos des sowjetischen Kriegsreporters Arkadij Schaichet aus. Sie zeigen einen Blick hinter den Schleier aus Propaganda, Legende und Verdrängung

von PHILIPP GESSLER

Die Verletzten einfach auf dem Schlachtfeld krepieren lassen!? Nichts für Arkadij Schaichet. Der Fotograf überzeugt den Fahrer des Redaktionsjeeps von der Idee, sie fahren im Frühjahr 1945 in die umgekämpfte Zone bei Königsberg und bringen 16 Verwundete in Sicherheit. Dafür erhielt er den militärischen Rotbanner-Orden – wohl der einzige Kriegsberichterstatter, der je so geehrt wurde.

Denn natürlich war das nicht seine Aufgabe. Schaichet, Sonderkorrespondent der Zeitung Frontillustrierte im Rang eines Hauptmanns, hätte weiter nur auf sein Objektiv, seine Filme und heroischen Motive in seiner Sowjetarmee achten müssen – wie viele andere Kriegsfotografen auch. Immerhin war der 47-Jährige da schon fast vier Jahre an der Front, und wer will schon so kurz vor dem Sieg noch sterben? Aber Schaichet, ein Meister seines Fachs, war sich sicher, für die richtige Sache zu kämpfen, mit Kamera und Gewehr. Und er hatte sich in der Rohheit des Krieges Mitgefühl bewahrt.

Das kann erkennen, wer sich die eindrucksvolle Ausstellung „Dokument und Konstrukt. Arkadij Schaichet“ anschaut. Sie läuft seit Ende vergangener Woche und noch bis zum 27. Mai im deutsch-russischen Museum in Berlin-Karlshorst, am historischen Ort sozusagen. Denn hier akzeptierte die Wehrmacht in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation – der Krieg in Europa endete.

Diesem Erbe verpflichtet, liegt der Schwerpunkt des Museums auf der deutsch-sowjetischen Kriegsgeschichte zwischen 1941 und 1945. Museumsleiter Peter Jahn hat sich mit seinen Mitarbeitern in den vergangenen Jahren in mehreren Ausstellungen auf diesem Feld vor allem auf ein Thema konzentriert: die sowjetische Kriegsfotografie. Ausstellungen über Timofej Melnik, Michail Sawin und Iwan Schagin zeigten das große Schlachten aus der Sicht eines Volkes, das wie kein anderes unter den Deutschen gelitten hat.

Die Schau „Foto-Feldpost“ zeigte als Pendant die andere Seite: Bilder, die deutsche Soldaten vor und hinter der Front schossen. Gemeinsam war diesen Ausstellungen der Versuch, der Wirklichkeit des Krieges hinter dem Schleier von Propaganda, Legende und Verdrängung nahe zu kommen. Auch Schaichet strebte danach, denn er wurde in den 20er-Jahren einer der frühen und bedeutendsten Fotoreporter – ein Metier, bei dem die Sowjetunion trotz aller Propaganda-Anforderungen und Kollektivideologie zur Weltklasse gehörte. Die Schau stellt den Vorkriegsbilder Schaichets, die von der damaligen Dynamik des Riesenreichs geprägt sind, seine Kriegsaufnahmen mit all ihrem Elend gegenüber. Selbst wenn einige wenige Fotos vermutlich inszeniert sind: Viele Bilder des Meisters sind in Russland zu Ikonen und auch im Westen zu Symbolen geworden: dafür, dass von einem Krieg trotz aller Tapferkeit am Ende nur Leid bleibt.

„Dokument und Konstrukt. Fotografie zwischen N.E.P. und Großem Vaterländischen Krieg“: Museum Berlin-Karlshorst, Zwieseler Str. 4., bis 27. Mai, Di. bisSo., 10 bis 18 Uhr. Eintritt frei