Mehr Tanker, größeres Risiko

Im Bosporus steigt die Zahl der Öltransporter. Experten fürchten Unfälle

ISTANBUL taz ■ Während an der dänischen Küste noch die Ölreste der letzten Tankerhavarie beseitigt werden, rechnen türkische Umweltschützer fast täglich mit einem neuen Unglück. „Durch die neue Pipeline vom Kaspischen Meer zum russischen Ölhafen Noworossisk am Schwarzen Meer wird sich die Zahl der Tanker, die durch den Bosporus fahren, verdoppeln bis verdreifachen“, sagt Necet Pamir vom Institut für Eurasische Strategische Studien. „Es wäre ein Wunder, wenn nicht bald ein große Ölpest auf uns zukommt.“ Er fordert die türkische Regierung deshalb auf, die Schiffspassage durch den Bosporus neu zu regeln, um die Sicherheit zu erhöhen.

Türkische Umweltschützer sind alarmiert, nachdem letzte Woche die Pumpen für die erste große Ölpipline aus dem Kaspischen Meer testweise angeschaltet wurden. Ab Juni sollen am russischen Schwarzmeer-Verladeterminal in Noworossisk die ersten Tanker ablegen. Durch die neue Pipline werden dann täglich bis zu 1,5 Millionen Barrel Öl gepumpt werden. Transportieren Tanker dieses Öl vom Schwarzen Meer durch die türkischen Meerengen nach Europa, wird die Verschmutzung selbst ohne Havarien drastisch zunehmen. „Dem Schwarze Meer“, so Greenpeace Türkei, „droht bereits jetzt der ökologische Tod.“

Doch obwohl der Schutz der Meerengen zu den wenigen Themen gehört, bei denen die Regierung sich mit der Umweltbewegung einig ist, kann sie nicht viel tun. Die Durchfahrt ist im Vertrag von Montreux von 1936 geregelt. Danach ist die Türkei verpflichtet, in Friedenszeiten jedem zivilen Schiff Durchfahrt zu gewähren. „Bei Vertragsunterzeichnung passierten pro Tag rund zehn Schiffe den Bosporus, heute sind es 150“, sagt der Seerechtsexperte Erhan Basyurt.

Nachverhandlungen des Vertrages, auf die die türkische Regierung seit Jahren drängt, scheitern bislang am Widerstand Russlands. Deshalb denkt sie nun darüber nach, die Durchfahrt durch den Bosporus wirtschaftlich unattraktiv zu machen, indem sie die Wartezeiten drastisch erhöht. Experten raten, aus Sicherheitsgründen nur noch einen Tanker gleichzeitig passieren lassen. Dann würde es zu gigantischen Staus kommen.

Ölkonzerne und die russische Regierung argwöhnen aber, die ökologischen Argumente der Türkei seien nur vorgeschoben, es gehe ihr vielmehr um wirtschaftliche und politische Vorteile. Die Kontrolle über die Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen des kaspischen Beckens ist seit dem Zusammenbruch der UdSSR einer der größten geopolitischen Zankäpfel. Die US-Regierung hat jahrelang versucht, mit Hilfe der Türkei Russland aus dem Bosporus zu verdrängen. Um Russland bei der Erschließung dieses letzten großen Energiereservoirs auszuboten, wollen Amerikaner und Türken selbst eine große Pipline von Baku direkt ans türkische Mittelmeer bauen. Dem sind die Russen mit ihrer Pipline zuvorgekommen. Jede Umweltmaßnahme am Bosporus werten die Russen deshalb als Angriff auf ihre wirtschaftlichen Interessen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH