Illegale Gentests

Würzburger Humangenetiker scheiterten vor Gericht. Sie wollten der taz verbieten lassen, heimliche Genuntersuchungen von Blutproben geistig behinderter Heimbewohner als illegal zu bezeichnen

von WOLFGANG LÖHR

„Illegale Forschungen an Behinderten.“ So titelte die taz im Dezember 1999 einen Bericht über heimliche Gentest an geistig behinderten Bewohner des St.-Josefs-Stifts im oberfränkischen Eisingen. Durchgeführt wurden die genetischen Untersuchungen vom Humangenetischen Institut der Universität Würzburg. Dort wurden die von der Heimärztin des St.-Josefs-Stifts gewonnen Blutproben von mehr als 230 geistig behinderten Bewohnern einem Gentest unterzogen. Das fand mittlerweile eine Expertenkommission heraus. Vorgestern sind die Humangenetiker vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht erneut gescheitert, die taz und den Autor des Berichts, den Journalisten Klaus-Peter Görlitzer, zu einem Widerruf zu zwingen.

Bereits im Juni vergangenen Jahres hatte das Landgericht Stuttgart unter anderem festgestellt, die Äußerung „Humangenetiker der Universität Würzburg hätten illegale Forschungen an Behinderten vorgenommen“ sei nicht nur eine zulässige Meinungsäußerung, sondern die Behauptung „illegal“ sei „auch wahr“ (taz vom 15. 12. 2000). Auch der Abdruck eines Zitats aus einem Brief der Vorsitzenden des Eisinger Elternbeirats an den Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags, in dem die Befürchtung geäußert wurde, dass außer den Gentests, mit den Bewohnern auch Experimente durchgeführt worden seien, wertete das Landgericht seinerzeit als eine zulässige Meinungsäußerung.

Einzig bei der siebenzeiligen Ankündigung des Textes, in der von „heimlichen Blutzapfern“ die Rede war, folgten das Landgericht der Argumentation der Kläger, dem Institutsvorstand der Würzburger Humangenetik, Professor Holger Höhn, und dem Leiter der Abteilung für medizinische Genetik, Professor Tiemo Grimm. Das Gericht sah in der Ankündigung einen eigenständigen Artikel, in dem die Kläger als „heimliche Blutzapfer“ bezeichnet würden. Das sei eine unwahre Behauptung. Der damaligen Argumentation des taz-Anwalts Johannes Eisenberg das Ankündigung und Text zusammengehörten, wollte das Gericht nicht folgten. Im Text sei schließlich deutlich klar gestellt worden, so Eisenberg, dass nicht die Würzburger Humangenetiker die Blutproben von den Eisinger Heimbewohner abgenommen hätten, sondern die damals im Heim angestellte Ärztin. Beide Parteien legten gegen das Urteil des Landgerichts Berufung ein.

Vorgestern nun wurde der Streit vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verhandelt. Das Ergebnis: Weder muss der ursprünglich im Dezember 1999 veröffentlichte Artikel zurückgezogen, noch müssen einzelne Textpassagen oder Aussagen widerufen werden. Der Vorschlag des Gerichts: Die taz und der Autor Klaus-Peter Görlitzer erklären, sie hätten nie behauptet und auch nicht behaupten wollen, dass die Humangenetiker Versuche an Bewohnern des St.-Josefs-Stifts in Eisingen vorgenommen hätten und sich auch nicht als heimliche Blutzapfer betätigt hätten. Sie erklären weiter, dass sie eine solche Behauptung auch künftig nicht aufstellen würden. Im Gegenzug, so das Gericht, würde das Klagebegehren der Humangenetiker nicht weiter verfolgt.

Als illegale Forschung dürfen die Gentest jedoch von taz und Autor weiter bezeichnet werden. Das Gericht ließ in der mündlichen Erörterung erkennen, dass es diese Bewertung nicht für abwegig hält. Der Berichterstatter wies ausdrücklich darauf hin, dass es nach Bekanntwerden der Eisinger Vorgänge an hinreichenden Bemühungen der beteiligten Forscher gefehlt hätte, die

Vorwürfe aufzuklären.

Der nun vom Oberlandesgericht vorgelegte Vorschlag kann jedoch nicht gerade als ein salomonisches Urteil bezeichnet werden – auch wenn taz und Autor damit nicht eingestehen müssen, falsch berichtet zu haben. Denn sie sollen erklären, etwas nicht behauptet zu haben, was in der Tat auch nie behauptet worden ist: Die taz hatte in dem ursprünglichen Artikel schließlich schon deutlich gemacht, dass nicht die Humangenetiker, sondern die Heimärztin das Blut von den Heimbewohnern abgenommen habe.

Nach wie vor ist jedoch immer noch nicht geklärt, was in Eisingen tatsächlich geschah. Seit über drei Jahren wird mittlerweile darüber gestritten, ob die genetischen Untersuchungen, die das Humangenetische Institut der Universität Würzburg an dem Blut von mehr als 230 geistig behinderten Bewohnern des St.-Josefs-Stifts durchführten, ethisch und rechtlich zulässig waren. Wer letztendlich die Verantwortung dafür trägt, dass die meisten der Heimbewohner einem Gentest unterzogen wurden, ohne die Angehörigen und Betreuer davon überhaupt in Kenntnis zu setzen? Auch die Frage, ob die heimlichen Gentests nur zu Forschungszwecken durchgeführt wurden oder medizinisch begründet waren und somit dem Wohle der einzelnen Heimbewohner dienten, ist noch umstritten. Ein Dickicht aus Lügen, Vertuschungsversuchen und bewusstem Wegsehen verhindert bis heute eine vollständige Aufklärung des Eisinger/Würzburger Skandals.

Vor allem die in der Kritik stehenden Würzburger Humangenetiker weigerten sich, ihren Teil an der Aufklärung beizutragen. Sie sahen sich stattdessen einer „ausufernden Rufmordkampagne“ ausgesetzt. „Den Diffamierungen konnten letztendlich nur von Seiten der Gerichte Einhalt geboten werden“, rechtfertigten sich die Professoren Holger Höhn und Tiemo Grimm in einem Schreiben an die Sorgeberechtigten der Eisinger Heimbewohner. Und von den Würzburger Professoren eingeleitete Gerichtsverfahren gab es inzwischen zuhauf, nicht nur gegen die taz. Auch andere Medien, die über die Vorfälle berichtet hatten, bekamen Briefe von den Anwälten der Würzburger Humangenetiker. Betroffen von der Klagewelle der Würzburger Forscher waren auch Sorgeberechtigte der Eisinger Heimbewohner. So wurde neben Thekla Huth, deren Schwester in dem Eisinger Heim wohnte, auch die Vorsitzende des Heimelternbeirats vor Gericht zitiert. Beide Verhandlungen endeten mit einem Vergleich. Der Elternvertreterin wurde damit unter anderem untersagt, weiterhin zu sagen, „es dränge sich die Befürchtung auf, dass darüber [über die Gentest, d. Red.] hinaus auch Versuche an den Bewohnern des St.-Josefs-Stifts vorgenommen worden sind“.

Thekla Huth hatte hingegen öffentlich behauptet, dass auch ihre Schwester einem Gentest unterzogen wurde. Einen stichhaltigen Beweis dafür konnte sie jedoch nicht vorlegen. Denn immer noch weiß selbst der inzwischen ausgewechselte Geschäftsführer des St.-Josefs-Stifts nicht, an welchen seiner Anvertrauten ein Gentest durchgeführt worden ist. Selbst eine vom Heim eingesetzte fünfköpfige Expertenkommission unter der Leitung des Hamburger Psychiaters Klaus Dörner konnte nach Durchsicht der Eisinger Unterlagen nicht herausfinden, von welchen Heimbewohner tatsächlich Blutproben an die Würzburger Universität geliefert worden sind.

Nach den Erkenntnissen der Expertenkommission sind die Ergebnisse der Gentests unter anderem zu Anfertigung von Doktorarbeiten genutzt worden. Zu der gleichen Bewertung kam auch der bayerische Landesbeauftragte für Datenschutz. Wegen der fehlenden Einwilligungen der Sorgeberechtigten beanstandete er die Nutzung von Blutproben der Heimbewohner durch die Forscher. Diese Bewertung lehnen die Würzburger Professoren weiterhin ab. Vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht versuchten sie mit zwei Gutachten die Ergebnisse der Expertenkommission, die ihrer Meinung nach unfähig sei, zu widerlegen. Das Oberlandesgericht wollte dem jedoch nicht folgen.

Die Ergebnisse der Eisinger Expertenkommission sind veröffentlich worden und beim St.-Josefs-Stift, Nikolausstraße 1, 97249 Eisingen (www.josefs-stift.de) erhältlich: Klaus Dörner und Ulrich Spielmann: „Geistige Behinderung, Humangenetik und Ethik – Der Würzburg-Eisinger Fall“. Eisingen 2001, 141 Seiten, 49,90 Mark, zzgl. Versandkosten