Wenn Hasen es zu bunt treiben

Scherz, Ironie und tieferer Comic: Der Franzose Lewis Trondheim ist der legitime Nachfolger von Hergé. Er weiß: Eine gute Überraschung ist sehr viel lustiger als die langweiligen Gesetzmäßigkeiten der Wahrscheinlichkeit

Herr Hase will Biologe werden. Doch seine Mutter entscheidet, mit seinem Vater als Banker gibt es „genug schräge Typen in der Familie“. Er solle etwas Ordentliches lernen, nämlich Kunstmaler. Kein Wunder, dass die Löffel des so wissenschaftlich gesinnten Herrn Hase meist melancholisch herabhängen. Zugleich lassen Lewis Trondheim und Frank Le Gall im Comic „Frühlingserwachen“ den Kunstmaler zum ersten Mal die seltsam widersprüchlichen Gefühle der Liebe erfahren. Der Mond spricht zu ihm, er führt Selbstgespräche, und er fragt seinen Butler aus, was denn dieses seltsame Verlangen sei, das er erleide.

Voller Sarkasmus, Ironie und absonderlicher Geschichten sind auch die anderen fünf bisher auf Deutsch vorliegenden Bände von „Herrn Hases haarsträubende Abenteuer“, die der Franzose Trondheim allein zeichnete und textete. Seine liebevollen, absurden und brillant erzählten Tiergeschichten fielen auf: 1994 wurde er in Angoulême, 2000 in Erlangen ausgezeichnet. Dabei ist die Situation im europäischen Musterland der bandes dessinées alles andere als günstig: Die Alben-Produktion ist zwar groß, doch für Experimente gibt es kaum Raum. Deswegen gründeten 1990 einige Autoren, darunter Jean-Christophe Menu, Killofer und Trondheim, ihren eigenen Verlag „L’Association“. Mittlerweile hat man sich etabliert, es gibt zwei Angestellte; und der deutsche Zeichner Martin tom Dieck bemerkt anerkennend, dass L’Association „in der Lage ist, Honorare zu zahlen und einem regelmäßig Belege zuzuschicken“. Keine Selbstverständlichkeit bei Kleinverlagen.

Trondheim war der Erfolg nicht in die Wiege gelegt. Zu Beginn konnte er nicht einmal zeichnen – so steht es zumindest im ersten Satz seiner Autobiografie: „Als wäre es nicht genug, dass ich nicht zeichnen kann ... ich schlampe auch noch rum.“ Trotzdem wollte der 1964 geborene Trondheim – ein Pseudonym, da er für seinen Namen immer gehänselt wurde – unbedingt Comics machen. Die frühen „Les Aventures de Quand On s’Emmerde en Bagnole“ bestehen aus ganzen zwölf ständig wiederholten Zeichnungen – less is more.

Diese Serialität ist wichtig. Schließlich verdanken Comics ihre Beliebtheit auch der Tatsache, „dass sie im Ozean der Schnelllebigkeit kleine Ruheinseln bildeten, auf denen sich das Dasein Tag für Tag nach unabänderlichen Gesetzen abspielte“. So jedenfalls beschrieb der Ehrenpräsidente der Donaldisten, Andreas Platthaus, einmal das Phänomen der Wiederkehr des ewig gleichen Bildes. Aber Comicleser sind nicht nur Anhänger der Übersichtlichkeit. Sie haben zwar eine kindliche Lust an der Wiederholung des einmal Eingeübten – aber ebenso sind sie fasziniert von der abrupten Variation. Die unabänderlichen Gesetze leben geradezu davon, hin und wieder überschritten zu werden.

Trondheim ist der Meister dieser paradoxen Operation. Am deutlichsten führt er dies in „Mehltau“ vor, einer schwarz-weißen, klassischen run and shoot-Story. Der abgrundtief böse Adelige Mehltau verfolgt einen Aufständischen (natürlich einen Hasen) quer durch ein Schloss, um ihn möglichst grausam zu töten. Der Hase versucht, seinen Schwert schwingenden Verfolger zu beschwichtigen: „Womöglich handeln Sie auf diese Weise, weil Sie eine schwere Kindheit hatten. Reden wir darüber.“ Ohne Erfolg. Also treibt Mehltau den armen Kerl vor sich her, lässt ihn durch Falltüren hinabstürzen, schießt mit Pistolen und Kanonen. Als es dem Hasen zu bunt wird, erweist er sich plötzlich als Meister der fernöstlichen Kampfkunst. Unvermittelt ist er seinem Gegner, der ihn über 58 Seiten (!) vor sich hergetrieben hat, haushoch überlegen. Tschüss Wahrscheinlichkeit, ade Psychologie.

Aber es funktioniert. Eine gute Überraschung ist eben lustiger als die langweiligen Gesetzmäßigkeiten der Wahrscheinlichkeit. Zuletzt gelang es Hergé vor über 20 Jahren mit seinen „Tim und Struppi“-Geschichten, Leser derart zu vergnügen und zu überraschen. MARTIN ZEYN

Frank Le Gall/Lewis Trondheim: „Herrn Hases haarsträubende Abenteuer“, Bd. 6, Frühlingserwachen, Carlsen 2001, 48 S., 19,90 DMLewis Trondheim: „Mehltau“, Reprodukt 2000, 134 S., 29,80 DMTrondheim signiert: 10. 4. Nürnberg, 11. 4. Freiburg, 12. 4. Zürich