„Lokale Medikamente schützen“

Aufgrund seiner Herstellung billiger Aids-Medikamente steht Brasilien wegen angeblichen Bruchs des Patentrechts am Pranger der Welthandelsorganisation WTO. Ein Gespräch mit dem Leiter des staatlichen brasilianischen Aids-Programms, Paulo Teixeira

Interview: GERHARD DILGER

taz: Die USA klagen bei der Welthandelsorganisation WTO gegen ein brasilianisches Gesetz, das die Herstellung von Generika (billigen Medikamentkopien) im eigenen Land ermöglicht. Was ist der Hintergrund dieser Beschwerde?

Paulo Teixeira: Das brasilianische Patentgesetz von 1996 gibt uns die Möglichkeit, drei Jahre nach der Registrierung eines Patents einem einheimischen Produzenten eine Lizenz zu erteilen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn eine Firma ihr Patent missbraucht, etwa indem sie ein bestimmtes Medikament nicht im Lande herstellt. Frankreich, Großbritannien oder Italien haben ganz ähnliche Bestimmungen, und wir sehen auch keinen Widerspruch zum Trips-Abkommen der WTO über den Schutz von Urheberrechten.

Die USA argumentieren, dadurch würden die Patentrechte der ursprünglichen Herstellerfirmen verletzt, und die Pharmakonzerne verweisen auf hohe Forschungskosten.

Bei einer Zwangslizenz zahlen wir dem Patenteigentümer selbstverständlich angemessene Gebühren. Seriöse Untersuchungen belegen, dass Forschungskosten 12 Prozent des Endpreises der Medikamente ausmachen, Marketing- und Werbekosten dagegen 32 Prozent. Brasilien achtet das geistige Eigentum und die Forschung. Nur bei der Höhe der Preise haben wir Vorbehalte.

Wie ist der Stand der Dinge bei dem Streit vor der WTO?

Bisher wurden nicht einmal die Richter ausgewählt. Nach unserem Eindruck drücken die USA nicht aufs Tempo, und das gibt uns Raum zu verhandeln.

Nachdem Sie vor kurzem erreicht haben, dass Merck die Preise zweier Aids-Medikamente um 59 bzw. 65 Prozent gesenkt hat, soll nun Hoffmann-La Roche gezwungen werden, das Präparat Nelfinavir (Handelsname: Viracept) billiger abzugeben. Sonst wollen Sie es durch ein einheimisches Generikum ersetzen.

Ja. Dieses Medikament ist das teuerste von allen. Wir haben Roche zu einem weiteren Treffen eingeladen und hoffen, dass wir uns bald auf einen gerechten Preis einigen können.

Möchten Sie im großen Stil in die Herstellung von Aids-Medikamenten einsteigen?

Nein, unsere Priorität ist es, die nationalen Bedürfnisse zu befriedigen. Wir möchten regulierend in den Markt eingreifen. Wir wollen uns auch nicht zu einem Exporteur entwickeln. Sobald ein Konflikt gelöst ist, wie jetzt mit Merck, lenken wir unsere Mittel in andere wichtige Bereiche um, beispielsweise in den Kampf gegen die Malaria.

Die indische Firma Cipla bietet den Aids-Medikamentenmix für 600 Dollar pro Patient und Jahr an. Haben Sie daran gedacht, ihn zu importieren?

Nein. Diese Fragen müssen im Rahmen globaler Verhandlungen besprochen werden.

Sie haben wiederholt die übergroße Vorsicht von UN-Institutionen wie der WHO oder der UNAIDS kritisiert.

Ja, aber ich sehe mit großer Befriedigung, dass sich aufgrund des großen Drucks der Weltöffentlichkeit diese Haltungen ändern. All diese Organisationen, auch die WTO, haben erkannt, dass man vor diesem Problem nicht weiter davonlaufen kann.

Was schlagen Sie in Oslo vor?

Wir möchten, dass die lokale Produktion strategischer Medikamente in Notsituationen unter Schutz gestellt wird. Außerdem sollte ein internationaler Fonds zum Kauf von Aids-Medikamenten für Entwicklungsländer eingerichtet und die Entwicklung neuer Präparate bezuschusst werden.

Welche Bedeutung hat für Sie der Prozess in Südafrika, bei dem sich 39 Pharmaunternehmen und die südafrikanische Regierung gegenüberstehen?

Er ist sehr wichtig für uns, denn durch ihn verstärkt sich der internationale Druck im Sinne unserer Anliegen. Wir hoffen, dass wir ein Bündnis mit Südafrika schließen können.