Steuervorteil: Lösegeld


von GABY WEBER

Das Opfer selbst könnte es wissen. Aber Heinrich Metz, vor über 25 Jahren als Mercedes-Manager in Argentinien entführt, erklärte, über seine Entführung oder die Höhe des gezahlten Lösegeldes könne er keine Auskunft geben. Das habe er seinem früheren Arbeitgeber versprochen. Auch nicht über die Entbehrungen in der Gewalt der Geiselnehmer? Nein, auch darüber nicht, sagt der heute 73-Jährige, der 20 Jahre für Daimler in Argentinien gearbeitet hat und heute in der Nähe von Wiesbaden lebt.

Oktober 1975. Im Argentinien Isabel Peróns hat der Kampf zwischen linker Guerilla und Armee an Heftigkeit zugenommen. Das Land steht kurz vor dem Putsch der Generäle. Am 24. Oktober wird der deutsche Mercedes-Manager Heinrich Metz von revolutionären Guerilleros entführt. Für seine Freilassung verlangen die „Monteneros“ die Wiedereinstellung von 115 von Daimler gefeuerten Arbeitern und die Zahlung einer „Geldstrafe“. Daimler-Benz stellt nach Verhandlungen mit den Kidnappern die entlassenen Arbeiter wieder ein. In Zeitungsanzeigen versichert die Direktion, „die von den Beschäftigten gewählten Anführer (als Tarifpartner) anzuerkennen“ und nach Lösung des Konflikts „keine Repressalien gegen sie auszuüben“. Auch zahlt Daimler-Benz das geforderte Lösegeld. Wie viel, verschweigt die Firma bis heute.

„Versprochen, nichts zu sagen“

Nicht ohne Grund, denn die Aussagen einiger an der „Lösung des Konflikts“ Beteiligter deuten darauf hin, dass der Stuttgarter Autokonzern mit der Entführung seines Mitarbeiters womöglich ein glänzendes Geschäft gemacht hat: indem er dem Fiskus ein weitaus höheres Lösegeld als „besondere Betriebskosten“ meldete, als er den Entführern überbringen ließ. Klaus Oertel, den Daimler-Benz 1974 in seine argentinische Niederlassung geschickt hatte und der 1975 mit den Entführern über die Freilassung seines Kollegen verhandelte, erinnert sich, wie er sagt, ganz genau. „Aber ich habe versprochen, nichts zu sagen. Und daran halte ich mich auch nach 25 Jahren“, erklärt Oertel, der heute als Geschäftsmann in den USA lebt. Die Summe sei aber „viel höher als die 4 Millionen Dollar“ gewesen, die 1987 in der Anklageschrift gegen einen mutmaßlichen Entführer angegeben wurden.

Daimler-Benz hat die Höhe des gezahlten Lösegeldes nie bekannt gegeben. Die Firmenleitung dementierte aber auch nicht, als die Tageszeitung Die Welt zu berichten wusste, die Stuttgarter Automobilfirma habe „das höchste Lösegeld bezahlen müssen, das je von Deutschen erpresst wurde: 7,5 Millionen US-Dollar“. Das waren zu jener Zeit immerhin 20 Millionen Mark.

Während die argentinischen Mercedes-Direktoren Ruben Cuevas und Pedro Adolfo de Elías laut ihrer richterlichen Aussage, die sie 1985 im Rahmen der argentinischen Ermittlungen im Falle Metz machten, 4 Millionen Dollar übergeben haben wollen, ist sich der Mann, dem das Lösegeld überbracht worden ist, ganz sicher, wie viel Bares er damals ausgehändigt bekam: „2 Millionen Dollar“ hätten in jenem Seesack gesteckt, in dem ihm die „Geldstrafe“ überbracht wurde, erzählt Julio Alsogaray, der heute in der Chefetage einer großen argentinischen Bank arbeitet, aus seiner Vergangenheit indes keinen Hehl macht. Wie sein Bruder sei er damals zwar Mitglied der Monteneros gewesen, habe aber an der besagten Entführung nicht teilgenommen. Über den Einwand, Cuevas und de Elías hätten unter Eid 4 Millionen angegeben, schmunzelt Alsogaray. Über den Bericht der deutschen Zeitung, wonach Daimler-Benz 7,5 Millionen Dollar gezahlt habe, muss er lachen.

Bis heute ist unklar, ob Daimler-Benz, heute DaimlerChrysler, das Finanzamt betrogen hat und den Steuerzahler das Lösegeld für Heinrich Metz berappen ließ. Immerhin bestätigt der ehemalige Mercedes-Mitarbeiter Klaus Oertel, dass das Finanzamt das Lösegeld damals als notwendige Betriebsausgabe anerkannt hat. So sparte der Konzern 12 Prozent Gewerbesteuer und 56 Prozent Körperschaftssteuer. Wenn also die Firma 7,5 Millionen Dollar beim Fiskus geltend gemacht hat, bedeutet das eine Steuerersparnis von über 5 Millionen. Abzüglich der 4 Millionen, die Daimler seinen argentinischen Geschäftsführern Cuevas und de Elías überreichte, ergebe das einen Reingewinn von über 1 Million Dollar. Eine ansehnliche Summe, die in den Taschen von Daimler-Managern gelandet sein muss und womöglich die Aktionäre auf der morgigen Hauptversammlung von DaimlerChrysler in Berlin beschäftigen wird.

Der Autorin gegenüber wollte sich DaimlerChrysler zu der wundersamen Vermehrung des Lösegeldes nicht äußern. „Ihr Interesse gilt Vorgängen, die nunmehr ein Vierteljahrhundert zurückliegen“, hieß es aus der Vorstandsetage des Konzerns. Im Auswärtigen Amt in Berlin gibt man sich zugeknöpft. Zunächst will man keine Akte besitzen. Auf den Einwand, dass das Lösegeld für den entführten Daimler-Manager immerhin in einem deutschen Diplomatenkoffer nach Buenos Aires gelangt sei, wird man hellhörig. Ja, das könne sein, denn damals hätten in Argentinien strenge Devisengesetze geherrscht.

Daimler: an Aufklärung kein Bedarf

Schließlich taucht ein „vertraulicher Vorgang“ auf. Doch Einblick wird verweigert, der AA-Mitarbeiter begnügt sich mit der Bemerkung, ein Hinweis auf die Höhe des Lösegeldes befinde sich darin nicht. Nach Eintreffen des Lösegeldes im Diplomatengepäck lagerte es bis zur Übergabe im Safe der deutschen Botschaft in Buenos Aires. Jörg Kastl, der damalige Botschafter und Duzfreund des Daimler-Unterhändlers Klaus Oertel, sagt, an die Summe erinnere er sich nicht. Umso besser an die Umstände und die eigene Rolle: „Die argentinische Regierung hatte verboten, mit Terroristen zu verhandeln und Lösegeld zu zahlen. Ich habe dem Innenminister die Lage auseinander setzen können und ihn gebeten, Augen und Ohren zu schließen“, erzählt Kastl, der heute in Berlin lebt. „Das tat er dann auch.“

Nach dem Stillhalteabkommen zwischen dem deutschen Botschafter und dem argentinischen Innenminister nimmt die Firma die Sache in die Hand. Das Lösegeld wird übergeben, Heinrich Metz wird nach zwei Monaten Geiselhaft an Heiligabend 1975 freigelassen. Auch nach dem glücklichen Ende der Geiselnahme tut die Polizei nichts. Und Daimler-Benz hat an Aufklärung keinen Bedarf. „Diese Frage ist seinerzeit in Stuttgart überlegt worden“, weiß Exmanager Klaus Oertel. „Aber wir sahen keinen besonderen Sinn darin.“ Warum, das sollte erst im Laufe der Ermittlungen klar werden.

Die indes werden erst zehn Jahre später aufgenommen, als Argentinien nach der Schreckensherrschaft der Junta (1976–1983) mit bis zu 30.000 „Verschwundenen“ wieder demokratisch ist. Heinrich Metz wird 1987 im argentinischen Generalkonsulat in Frankfurt vernommen. Dort identifiziert er anhand ihm vorgelegter Fotos als seinen Entführer den Mann, mit dem er Ende der Sechzigerjahre jeden Donnerstag über die Arbeitsbedingungen im Betrieb verhandelt hatte: Marcelino Olasiregui. Der Betriebsrat, der seit Anfang der Sechzigerjahre bei Mercedes arbeitete und sich als Arbeiterführer in der Chefetage nicht gerade beliebt gemacht hatte, war 1969 fristlos entlassen worden.

Angezeigt hatte ihn nur wenige Stunden nach der Entführung Mercedes-Geschäftsführer Ruben Cuevas. Der Manager, der später das Lösegeld für Heinrich Metz überbringen sollte, war an jenem 24. Oktober 1975 bei der Bundespolizei in Buenos Aires vorstellig geworden. Er konnte zwar nicht mit Hinweisen auf die Täter dienen, beschuldigte aber mehrere Mercedes-Arbeiter, deren Namen und Personalausweisnummern er zu Protokoll gab, sie hätten sich im Betrieb als „Kommunisten“ hervorgetan und würden Kontakte zu den Monteneros unterhalten. Auch der bereits 1969 entlassene Olasiregui wurde von Cuevas als „Terroristenfreund“ denunziert.

Aufgrund dieser 12 Jahre alten Strafanzeige und der Aussage von Heinrich Metz in Frankfurt wird Marcelino Olasiregui im April 1987 vorgeladen und verhaftet. Wegen Menschenraubs verbringt er zwei Jahre im Gefängnis. 1989 wird er begnadigt. Olasiregui: „Ich lehnte die Begnadigung ab und bestand auf einen Prozess.“ Er wird freigesprochen.

Eine Anzeige mit Todesfolge

Exmanager Klaus Oertel ist noch heute davon überzeugt, „dass Hinweise (auf Heinrich Metz) aus der Firma gekommen“ sind, die Polizei also die „Richtigen“ ins Visier genommen habe. Eine Anschuldigung indes, wie sie Mercedes-Manager Ruben Cuevas am 24. Oktober 1975 gegen Marcelino Olasiregui und eine Reihe von Betriebsräten vorbrachte, konnte damals lebensgefährlich werden. Denn nur fünf Monate später putschten die Militärs und ließen alsbald nicht nur einzelne Regimegegner „verschwinden“, sondern vernichteten die Arbeiterbewegung Argentiniens. Unmittelbar nach dem Staatsstreich vom 24. März 1976 wurden mindestens 14 Betriebsräte der Firma Mercedes-Benz ermordet, unter ihnen Hugo Ventura, dessen Name und Adresse Ruben Cuevas ebenfalls der Bundespolizei in Buenos Aires gesteckt hatte. Ventura wurde verschleppt und ist seitdem „verschwunden“. Für seine Familie steht fest, dass Mercedes-Benz hinter seiner Ermordung steckt. Das ist so unwahrscheinlich nicht. So soll nach Aussagen von Zeugen der damalige Produktionsleiter von Mercedes Benz, Juan Tasselkraut, der Polizei gegenüber den Namen eines Arbeiters erwähnt haben, der noch in derselben Nacht von Soldaten verschleppt wurde. Seit 1999 ermittelt aufgrund einer Strafanzeige des Republikanischen Anwaltsvereins die Nürnberger Staatsanwaltschaft, ob Mercedes in Argentinien Beihilfe zur Ermordung von Betriebsräten geleistet hat. Auf ihren Antrag hin wurden Mitte März 2001 Zeugen in der deutschen Botschaft in Buenos Aires vernommen. Und deren Aussagen erhärten den Verdacht, wonach die Leitung des Werkes von Daimler-Benz aufs Gedeihlichste mit der Diktatur zusammengearbeitet hat. Aus Rache für Metz? Um eventuelle Mitwisser der Lösegeldvermehrung aus dem Weg räumen zu lassen?