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: Kompromiss der Vernunft

24 US-Soldaten können aufatmen: Sie dürfen China verlassen, sobald die „notwendigen Formalitäten“ abgeschlossen sind. Das ermöglicht ein Ende der Krise, die am 1. April mit der Kollision eines amerikanischen Spionageflugzeugs mit einem chinesischen Kampfjet begonnen hatte. Und zugleich lassen die nicht weiter definierten „Formalitäten“ China eine Hintertür offen, um die Freilassung der Amerikaner gegebenenfalls doch noch verzögern zu können.

Kommentarvon SVEN HANSEN

US-Außenminister Colin Powell hatte den Chinesen bereits am Sonntag mit seinem „Sorry“ einen gesichtswahrenden Ausweg vorgegeben. Den Ausschlag jedoch gab ein Brief, den der US-Botschafter in Peking gestern übergab. In dem Schreiben drücken Powell und Präsident George W. Bush ihr „tiefes Bedauern“ aus – sowohl über den Tod des chinesischen Piloten als auch über das Eindringen ihrer Maschine in den chinesischen Luftraum. Das ist nicht die von Peking geforderte und mit einem Schuldbekenntnis einhergehende Entschuldigung. Aber die USA sind China ein gutes Stück entgegengekommen.

Washingtons „Very sorry“ kann durchaus als Entschuldigung gewertet werden und ermöglicht so einen Kompromiss der Vernunft. Dabei haben die USA in der Substanz die Oberhand behalten. Peking ist es nicht gelungen ist, den Amerikanern ein Ende der Spionageflüge abzuhandeln. Dass Chinas Außenminister diese Forderung gestern genauso wiederholte wie die nach einem US-Schuldbekenntnis, ist Diplomatie. Chancenlos dürfte Peking spätestens dann sein, wenn die US-Besatzung wieder zu Hause ist.

Mit dem jetzigen Kompromiss haben auf beiden Seiten die Pragmatiker gesiegt. Eine Fortsetzung der Krise hätte sowohl für die USA wie für China einen hohen Preis bedeutet. Die zunehmende Verflechtung ihrer Ökonomien macht es für beide immer dringlicher, Konflikte rational und diplomatisch zu regeln. Texanische Hemdsärmeligkeit und auftrumpfender chinesischer Nationalismus helfen hierbei nicht. Doch trotz der jetzt gefundenen Lösung bleibt offen, welche Konsequenzen beide Seite aus dem Konflikt ziehen. Das gilt besonders für die Frage, wie eine aufstrebende Großmacht und eine Supermacht, die ihre Hegemonie wahren und ihre Strategien überdenken will, künftig miteinander umgehen wollen. Wenn dafür keine konstruktive Antwort gefunden wird, ist der nächste Zwischenfall nur eine Frage der Zeit.

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