Nicht-lineare Spurensuche in der Stadt

■ Nachschlag zur Cinepolis-Reihe: Lost Book Found und Amber City von Jem Cohen

Für eines der schmerzlichsten Missverständnisse im ohnehin bedenklichen Katalog der Subkulturen sorgte die ebenso gängige wie kreuzdämliche Gleichsetzung von „Hardcore“ mit jenen Formen populärer Kraftmeierei, die sich nur allzu gerne ein subversives Etikett auf die breite Brust kleben lassen. Was sich Anfang der 80er Jahre als progressive Opposition zur Vermählung von Kommerz und Punk-Nihilismus formierte, wurde schnell selbst Opfer merkantiler Strategien, die Diversität durch Uniformität ersetzten: starres Genre statt befreiendem Gestus, konservative Stilübung statt radikalem Experiment.

Dies soll jedoch kein nostalgischer Abgesang sein, sondern vielmehr ein möglicher Prolog zu den Filmen von Jem Cohen. Denn hätte die bereits erwähnte Um- und Entwertung des Begriffs nicht stattgefunden, dann könnte Hardcore einen passablen Zugriff auf das seit 1983 andauernde Engagement des New Yorkers abgeben. Und das nicht nur, weil Cohen mit Instrument (1998) eine über zehn Jahre hinweg kompilierte Bildlegende zur Dischord-Band Fugazi geliefert hat. Vielmehr zeugen auch Lost Book Found (1996) und Amber City (1999), die Lasse Ole Hempel am 25. April im Rahmen der Cinepolis-Reihe vorstellen wird, vom Spannungsfeld zwischen kreativen Solipsismus und geforderter Solidarität, in dem Ian McKayes HC-Kollektiv ebenfalls vorbildlich manövrierte.

In Lost Book Found addieren sich Fundstücke visueller Erinnerung an New York zu Collagen, ohne je in plakativer Sinnstiftung zu münden. Statt dessen reißt der Film mit Formatwechseln und kabbalistischen Aufzählungen immer neue Lücken ins kollektive Gedächtnis und setzt so dem modernistischen Großstadtporträt eine geheime Skizze entgegen. Darin brechen die vertrauten Symmetrien urbaner Lebenswelten auf und geben den Blick frei auf die verborgenen Fundamente einer spätkapitalistischen Metropole: Die versprengten Überbleibsel des Warentauschs sowie die Fragmente zahlloser im Verwertungszusammenhang aufgeriebener Biografien.

Durch diesen Schutt streift das Kamera-Auge des Flaneurs. Dabei weiß Cohen zwar um die agitierende Montage Dziga Vertovs und die kulturkritischen Reflexionen Walter Benjamins, gibt aber nie sein eigenes Programm zugunsten einer vorgedachten Perspektive auf.

Das verbietet allein schon der nicht-hierachische Blick, mit dem Cohen oft mehrere Jahre lang seine Materialsammlung betreibt. Wenn sich verschiedene Bildgenerationen und -formate überlagern, dann verweisen diese Gegensätze auch auf ideologische Widersprüche und lassen sie Teil der Narration werden. In Amber City etwa weicht das dominate, vermeintlich integrale Abbild einer italienischen Stadt der nicht-linearen Spurensuche, in deren Verlauf sich dokumentierte und fiktionale Geschichte in einem imaginierten Film-Raum verdichten: Ein fragiler Gruß aus der Zwischenzeit.

Dabei sollte die dem Produktionsweg eingeschriebene Subjektivität – Cohen arbeitet fast ausschließlich allein – nicht über das politische Potential der Filme hinwegtäuschen. Und mehr als einmal scheint es, als ob der beobachtende Flaneur auf ein bestimmtes Signal wartet. Das verbindet ihn wieder mit dem geduldigen Jungen im „Waiting Room“, denn auch bei Fugazi lautete die brennende Frage: „Is anybody moving?“

David Kleingers

Mi, 21.15 Uhr, Metropolis