Der Regenmacher

Rave der Kasbah: Für den Stil-Nomaden Rachid Taha sind orientalische und elektronische Musik keine Gegensätze, sondern Seelenverwandte. Als Provokateur ist der Musiker in Frankreich berüchtigt

von DANIEL BAX

Rachid Taha fühlt sich niemandem verpflichtet. Auch nicht der arabischen Community: „Wenn ich im Ausland unterwegs bin, kommen oft Einwanderer aus dem Maghreb zu meinen Konzerten – und sind dann schockiert, weil sie mit meiner Musik nichts anfangen können. Immigranten können sehr konservativ sein. Aber man muss mit den Scheißklischees brechen.“

Rachid Taha ist einfach nicht zu fassen. „Was soll die Frage?“, knurrt er gleich zu Beginn der Begegnung in seinem Hotelzimmer in Hamburg. Mit Rachid Taha ist nicht gut Pistazien essen, und auf offenkundige Versuche, ihn auf eine bestimmte Position festzunageln, reagiert er mit rhetorischen Pirouetten, die weit vom angestrebten Gegenstand wegführen. Vorsicht, bissiger Musiker!

Verständlich, wenn man sich von Stereotypen umstellt sieht. Gerade in Frankreich besteht zum Beispiel die Tendenz, jeden arabisch klingenden Ton unter Rai zu verbuchen, der algerischen Populärmusik. Ein Fehler, denn es ist nicht alles Rai, was Schmelz hat: „Rai ist Rai“, sagt Rachid Taha, „und arabische Musik ist arabische Musik.“ Und Rachid Taha ist Rachid Taha. Ein arabischstämmiger Musiker, der mit Rai erst einmal gar nichts zu tun haben will. Taha ist ein Eklektiker, der sich, ursprünglich vom Rock kommend, inzwischen vor allem an der Kreuzung von orientalischen und elektronischen Klängen versucht. Ein Außenseiter, der sich mit seinem kreativen Zickzackkurs aber längst in die Hautevolee des französischen Pop gespielt hat.

Douce Frrrance

Erste Aufmerksamkeit erregte er schon Mitte der 80er als Kopf einer Gruppe arabischer Rockabillies mit Namen „Carte de Séjour“ – zu deutsch: Aufenthaltsgenehmigung. Landesweit Notiz nahm man von der Band aus Lyon allerdings erst, als sie „Douce France“, die Liebeserklärung des Chansonniers Charles Trenet an seine Heimat, mit maghrebinisch rollendem R zum Schlachtgesang selbstbewusster Migranten ummodelte. Carte de Séjour lieferten damit die Begleitmusik zur wachsenden Antirassismusbewegung jener Zeit: Ne touche pas mon copain. Gleichzeitig stieß Rachid Taha schon früh die Vereinnahmung der Bewegung durch eine staatliche Politik auf, die nur zu gern mit dem Finger auf die Front National zeigte, um sich selbst in ein umso günstigeres Licht zu setzen.

Rachid Taha weiß, was es heißt, diskriminiert zu werden: in vielen Diskotheken in Lyon erhielt man als Araber keinen Zutritt. Also schmiss er mit den Kollegen von Carte de Séjour in einem Lokal eigene Partys, bei denen er als DJ alles auf seinen Plattenteller legte, was Gefallen fand: Funk und Flamenco, Rock und Rap, Soul und arabische Schlager. „Das war ein politischer Akt“, sagt Rachid Taha, der sich aus dieser Zeit eine prinzipielle Offenheit gegenüber allen Stilen bewahrt hat: „Ich mag Musik, die den Körper und den Kopf in Bewegung bringt.“

Davon gab es in den 80ern in Frankreich plötzlich eine Menge. Das Klima jener Zeit scheint das hemmungslose Wuchern der wilden Stilgewächse begünstigt zu haben, die zum Erkennungszeichen von Gruppen wie den Negresses Vertes und Mano Negra wurde. In diese Tradition gehörten auch Carte de Séjour, und heute setzen französische Polit-bands wie Zebda und Noir Désir die Linie fort. Anders als etwa in Deutschland findet in Frankreich die politische Haltung ihre Entsprechung in einem Sound, der sich ganz bewusst aus vielfältigen Quellen speist.

Nach dem Einwandererviertel Barbès benannte Rachid Taha sein erstes Soloalbum, und auch nach der Trennung von seiner Band bastelte er weiter an der permanenten musikalischen Metamorphose. In den Neunzigerjahren entdecke er dabei die Möglichkeiten der elektronischen Musik für sich, und seinem Mischpult entsprangen immer neue, seltsame Zwitterwesen aus Techno, House und nordafrikanischem Traditionsgut – wie den Trance-Rhythmen der Gnawa-Bruderschaften, den Schlagern des Chaabi und den Arabesken des Rai. Auf dem Cover seines Albums „Olé Olé“ ähnelte er, mit sauerstoffblondem Schopf und grünen Augen, gar einem Androiden. „Ich wollte aussehen wie ein Arier. So wie Helmut Berger bei Visconti“, erklärt Rachid Taha rückblickend seine Camouflage – ein Kommentar zur rassistischen Logik der französischen Polizei, nach der sich Ausweiskontrollen und andere Schikanen besonders gegen Araber richten.

Bei so viel popkultureller Guerillataktik mutet es fast wie ein Missverständnis an, dass Rachid Taha in dem Moment der größte Erfolg beschieden war, als er sich dem Rai-Sound am meisten angenähert hatte. Für sein letztes Album „Divan“ nahm er sich alte Evergreens des Maghreb vor und verpasste ihnen einen zeitgemäßen Look. Sein Song „Ya Rayah“, ein Remake eines alten arabischen Schlagers, ließ er mit seiner markanten orientalischen Darbuka-Perkussion mehr als einen Sommer lang nicht nur in Frankreich, sondern auch in der Türkei und Israel, ja bis weit nach Südamerika die Bäuche wackeln.

Und dann war da noch der große Auftritt im Herbst 1998 bei der Orient-Extravaganza „1,2,3 Soleils“. Die beiden Rai-Stars Khaled und Faudel sowie Rachid Taha boten, begleitet von einem 20-köpfigen Streichorchester aus Ägypten, ihrem Publikum im Stadion von Bercy eine Gala-Show des Rai, die anschließend als Live-CD und Videomitschnitt ausgiebig vermarktet wurde. Wenn es also einen Rai-Boom gegeben hat, dann war Rachid Taha daran nicht ganz unbeteiligt: „Wenn man Frieden schließen will, dann muss man das mit seinen Feinden tun“, merkt er süffisant an: „Alles andere macht doch keinen Sinn, oder?“

Die Totengräber des Rai

Vielleicht war es auch nur der Versuch, ein wenig auf der Welle mitzureiten, so lange sie noch trägt. Denn jetzt, meint Rachid Taha, sei schon wieder alles vorbei: „Der Rai in Frankreich ist tot“, behauptet er. „Es gibt einfach keine kreative Weiterentwicklung mehr.“ Seiner Meinung nach sind daran die Künstler selbst schuld. Die großen Stars wie Khaled oder Cheb Mami sind in erster Linie Sänger. Sie komponieren nicht selbst und versuchen stets, mit ihrem Sound auf Nummer Sicher zu gehen. Rachid Taha hat davor wenig Respekt: „Es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber die meisten Rai-Sänger verfügen über keine große Persönlichkeit. Es liegt hier dran“, sagt er und tippt sich auf die Stirn. „Sie sind im Grunde Hochzeitssänger, eher einer traditionellen als einer industriellen Kultur verhaftet.“

Zack. Da hat er mal eben der gesamten Rai-Prominenz in Paris einen Seitenhieb verpasst. Seinem Ruf als Provokateur und Nestbeschmutzer, darin dem verstorbenen Serge Gainsbourg nicht unähnlich, ist er damit wieder einmal gerecht geworden. Aber das ist keine Arroganz, sondern kann auf gute Argumente verweisen. „Der Rai, wie man ihn heute kennt, ist europäischer Pop, der auf Arabisch gesungen wird“, findet Rachid Taha. „Aber um einen Hit im Radio zu landen, muss ein Rai-Star wie Khaled sogar die Sprache wechseln. Oder er muss sich mit einem ausländischen Star assoziieren – so wie Cheb Mami mit Sting.“

Sting hatte jüngst den Rai-Musiker aus Paris als Duett-Partner verpflichtet. Für das Stück „Desert Rose“, in dem Sting wie im Fiebertraum von einer Wüstenblume halluziniert, steuerte Cheb Mami eine ornamentale Gesangskoloratur bei. „Jedes Mal, wenn ich dieses Video sehe, könnte ich kotzen“, sagt Rachid Taha. „Das ist der Westler, der gönnerhaft seinen Arm um den armen Drittweltler legt. Genau das ist die Gefahr – wie irgendeine Kakaosorte behandelt zu werden.“ Womit er den Fall gleichauf exemplarisch auf eine höhere Ebene hebt: „Du gibst ihnen deinen Rohstoff, und sie verkaufen dir das Endprodukt zu einem höheren Preis wieder zurück. Das ist doch das, was im Allgemeinen mit Afrika geschieht. Fuck!“ Von Rai-Musikern hört man solche kritischen Töne selten. Darum gilt Rachid Taha als politischer Kopf, als Sprachrohr der beurs, ja der gesamten arabischen Subkultur in Frankreich, und eine proletarische Familienvergangenheit hat er auch noch. Sein Vater war Fabrikarbeiter in Lyon. „Möglich, dass mich das für Politik sensibilisiert hat“, mutmaßt Taha. „Und natürlich die Tatsache, in Frankreich aufzuwachsen. Man darf nicht vergessen: Die Musiker des Rai kommen aus einem Land, in dem es keine Demokratie gibt.“

Sie kommen aus Algerien – einem Land, in dem Rachid Taha zwar auch geboren wurde, dem er aber als Kind bereits den Rücken kehrte und wo er schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gewesen ist. „Ich habe mich immer verloren gefühlt dort drüben“, sagt er. Dafür kennt er sich besser aus und weiß eine fundiertere Meinung zur politischen Lage in Algerien zu formulieren als seine Kollegen, die dort viel länger gelebt haben.

Tour de Trance

Sein neues Album, obschon angeblich „Made in Medina“ – arabisch für Stadt –, ist denn auch nicht in Algerien entstanden, sondern in den USA, in der Abgeschiedenheit von New Orleans. Trotzdem war der Maghreb nicht weit. „In der Umgebung tragen viele Städte algerische Namen“, sagt Rachid Taha – ein Erbe der französischen Kolonialzeit, als die Stadt noch Nouvelle Orléans hieß.

„Made in Medina“ knüpft dort an, wo „Olé Olé“ vor fünf Jahren geendet hatte: beim experimentellen Orient-Techno. Als Nomade zwischen den Genres vertraut Rachid Taha einem bewährten Führer: Steve Hillage, früher in der Progressive-Rock-Band Gong und heute ein Experte für orientalische Klänge, steht Taha schon seit dessen ersten Solo-Eskapaden zur Seite. Ihre gemeinsame „Medina“ ist ein polyglotter Ort: Er bringt die Stimmen marokkanischer Berberinnen in einen Dialog mit verzerrten Gitarren und treibenden Dub-Rhythmen, orientalische Geigen mit zerhackten Beats und Loops, das leichthändige Flirren orientalischer Handtrommeln mit schwer rumpelnden Samples und Rachid Tahas kehlige Rufe mit dunkel dräuenden Motiven, die von klassischen arabischen Flöten und Lauten umgarnt werden: der Rave der Kasbah, auf Festplatte gebannt.

Der Aspekt der Trance sei das verbindende Element zwischen orientalischer Tradition und elektronischer Moderne, meint Taha, und ein zentrales Thema von „Medina“. In tribalen Riten noch in Reinkultur enthalten, fänden sich Reste der Essenz noch in der heutigen Musik – „so wie natürliche Medizin in modernen Medikamenten“.

Als Musiker sieht sich Rachid Taha deshalb, wie schon so mancher Techno-DJ vor ihm, als legitimer Erbe der Schamanen: „Manchmal habe ich bei meinen Konzerten versucht, es regnen zu lassen“, grinst er. „Aber das hat leider nicht funktioniert.“

Rachid Taha: „Made in Medina“ (Barclay/Universal)