Verspäteter Aprilscherz?

Faruk Sens Empfehlung, das Kindergeld in der Türkei anzulegen, stößt auf heftige Kritik. Cem Özdemir: „Eventuell muss man dem Zentrum für Türkeistudien Gelder kürzen“

BERLIN taz ■ Cem Özdemirs Antwort auf den Vorschlag von Faruk Sen fällt deutlich aus. „Das zählt für mich zur Rubrik verspäteter Aprilscherz“, sagte der innenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion der taz. Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, hatte in einem Neun-Punkte-Maßnahmenkatalog für die türkische Regierung eine gewagte Empfehlung ausgesprochen: deutschtürkische Eltern sollten ihr Kindergeld in der Türkei anlegen. Damit könne der Wirtschaftskrise in der Türkei möglicherweise begegnet werden. (taz vom 20. 4. 2001)

Das Zentrum hat zahlreiche Sponsoren, unter anderem das Ministerium für Arbeit und Soziales in Nordrhein-Westfalen. Zu seinem Vorstand zählt auch Edzard Reuter, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Daimler Benz AG. Ginge es nach Özdemir, dürften Vorschläge wie die von Faruk Sen nicht ungestraft bleiben. Eine Möglichkeit: den Geldhahn zudrehen. „Wenn das Zentrum einen großen Teil seiner Mittel aus Nordrhein-Westfalen bezieht, sollte man mal darüber nachdenken, denen die Gelder zu kürzen“, sagte der Abgeordnete.

Faruk Sen war in seiner Modellrechnung von 300.000 investitionswilligen Eltern ausgegangen, die mit dem deutschen Kindergeld die türkische Wirtschaft sanieren würden. Er hatte errechnet, dass mit 300.000 Eltern, die die 270 Mark Kindergeld für das erste Kind monatlich in die Türkei investieren, nach zehn Jahren fast zehn Milliarden Mark in die türkische Haushaltskasse fließen würden. Özdemir sieht die Zahl der Bereitwilligen weniger optimistisch: „Ich glaube nicht, dass eine große Bereitschaft da ist, das Kindergeld zweckzuentfremden und in die Türkei umzulenken.“

Von der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats, Barbara John, schlägt dem Essener Professor völliges Unverständnis entgegen: „Dieser Vorschlag ist schräg – das Kindergeld ist doch dazu da, den Kindern in Deutschland eine Chance zu geben und ihre Bildung zu unterstützen.“ Es sei ihr schon bewusst, dass jeder das Geld ausgebe, wofür er will, sagte sie der taz, „aber ich spreche doch nicht eine solche Empfehlung aus.“ Safter Cinar, Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg sieht die Sache etwas gelassener: „Bei dem Kindergeld, das die deutschen Eltern bekommen, fragt doch auch keiner ‚Versäufst du das?‘“ Schließlich investiere jeder das Geld dort, wo es am gewinnbringendsten erscheine.

Faruk Sen verteidigte sich gegen die Vorwürfe. „Wir haben eben ausgerechnet, wie viel man bekommen würde, wenn man das Kindergeld anlegt. Das ist doch kein Geschenk für die Türkei, die Zinsen kommen ja wieder nach Deutschland zurück“, sagte er der taz. Es gebe genug Türken in Deutschland, die Ersparnisse hätten – diesen müsse man in der Türkei günstige Anlagebedingungen bieten.

Das Zentrum für Türkeistudien, das Sen leitet, ist ein Institut der Universität Essen und hat sich in den 15 Jahren seines Bestehens durch sozialwissenschaftliche Studien einen Namen gemacht hat. Trotz des Renommés der Institution hält der innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Özdemir die Wirkung, die Sens Aufruf auf die in Deutschland lebenden Türken haben könnte, für sehr gering: „Den Einfluss schätze ich genauso niedrig ein wie die Qualität des Vorschlags.“

ANNA HOLZSCHEITER

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Das Thema: Politische Entwürfe jenseits der Realpolitik – Sonntag, 29. 04, 13.00 Uhr