Wider die Festlegung auf Standortinteressen

Wenn es nicht gelingt, die sozialen Konflikte zu internationalisieren, bleibt der gewerkschaftliche Kampf erfolgslos

Der Triumph der Marktgesellschaft hat die Gewerkschaften ebenso wie die politische Linke in die Defensive gedrängt. Das Glaubensbekenntnis von der Alternativlosigkeit des Marktmodells findet breite Anerkennung. Wichtiger noch: Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung und soziale Spaltung erschweren die kollektive Gegenwehr.

Doch sollten wir darüber nicht vergessen: Die eigene Schwäche ist nicht allein extern verursacht, sie ist auch selbst verantwortet. Die Theologie der Globalisierung, die politischer Gestaltung angeblich keinen Spielraum lässt, beherrscht ja nicht allein deshalb die Köpfe, weil sie in wundersamer Fügung den Renditeinteressen des international agierenden Kapitals entspricht. Es ist ja auch so bequem, einen scheinbar übermächtigen Gegner für die eigene Ohnmacht verantwortlich zu machen und über die eigenen Versäumnisse hinwegzusehen.

Für die Gewerkschaften heißt das, ihr politisches Mandat ernst zu nehmen. Die sozialen Auseinandersetzungen brauchen politische Perspektiven, auch den Mut zu Utopie. Wenn die Teilhabe aller am gesellschaftlich erarbeiteten Reichtum, wenn Autonomie, Emanzipation und Chancengleichheit die Maximen einer menschenwürdigen Gesellschaft sein sollen, muss dies Folgen haben für die Organisation und Verteilung der Arbeit, für die Fortentwicklung und Verbreiterung der sozialen Sicherung, für die Einkommens- und Reichtumsverteilung, für die Ausgestaltung der öffentlichen Infrastruktur.

Kurzum, notwendig sind Gegenentwürfe zum neoliberalen Programm der ungebändigten Renditesteigerung und der kommerziellen Kolonisierung des gesellschaftlichen Lebens. Das von Bourdieu vorgeschlagene Bündnis zwischen Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Intelligenz ist unverzichtbar. Leitbild gewerkschaftlicher Politik können nicht allein die sein, die (noch) Arbeit haben. Die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse muss namentlich die einbeziehen, die in besonderer Weise Opfer der Deregulierung geworden sind: Arbeitslose, Arbeitsmigranten und nicht zuletzt die Frauen. Diskriminierende Arbeitsbedingungen und soziale Polarisierung untergraben auch die Chancen derer, die sich als Modernisierungsgewinner noch auf der sicheren Seite wähnen. Oder: Emanzipation zielt nicht nur auf gleiche Chancen für die Frauen, sondern auch auf Befreiung der Männer von den Verbiegungen ihrer Karrierezurichtung.

Das Beispiel verweist zugleich auf die Notwendigkeit, die sozialen Interessen lebensweltlich zu definieren und sie nicht auf die im betrieblichen Ablauf sichtbaren Belange zu verkürzen. Angesichts der kulturellen Dimension eines gesellschaftlichen Reformprojekts ist das Bündnis mit anderen Initiativen unverzichtbar. Bündnisse gedeihen freilich nur auf dem Boden der Gleichberechtigung und mit der Bereitschaft, Konflikte und andere Erfahrungswelten zu ertragen. Je stärker sich Lebenslagen und Erwerbsbiografien ausdifferenzieren, desto notwendiger ist die produktive Verarbeitung unterschiedlicher Erfahrungen. Innerhalb der Gewerkschaften wie in Kooperation mit anderen Initiativen und Organisationen.

Die politische Orientierung darf an den nationalen Grenzen nicht Halt machen. Das gilt erst recht in Zeiten, in denen der nationale Wettbewerbsstaat sich auf Standortinteressen festlegen lässt und meint, der verschärften internationalen Konkurrenz durch Dumpingstrategien begegnen zu können. Sicher, die Gewerkschaften ziehen ihre Durchsetzungskraft aus der Bodennähe betrieblicher und sozialer Kämpfe im nationalen Raum. Doch wenn es nicht gelingt, diese Konflikte zu internationalisieren, bleibt gewerkschaftlicher Kampf erfolglos. Es gibt keinen dauerhaften Wohlstand auf Kosten anderer Länder. Und keine stabile Beschäftigung auf der Grundlage sozialen Dumpings.

Die bestehenden internationalen Bünde sind wichtig. Doch ebenso notwendig sind direkte Kontakte, etwa zwischen betrieblichen Gewerkschaftsvertretern. Ebenso notwendig ist die Offenheit der gewerkschaftlichen Politik für die Arbeit anderer Nichtregierungsorganisationen. In Seattle, Nizza und jetzt in Québec gab es erste hoffnungsvolle Anzeichen für die gewerkschaftliche Beteiligung. FRANZISKA WIETHOLD,
MICHAEL SOMMER, DETLEF HENSCHE

Franziska Wiethold ist Vorstandsmitglied, Michael Sommer ist stellvertretender Vorsitzender der neu gegründeten Diensleistungsgewerkschaft Ver.di. Detlef Hensche ist scheidender Vorsitzender der IG Medien.