Sinnlose Konkurrenz

Die Konflikte zwischen Europa und den USA sind zahlreich. Wenig beachtet, aber folgenreich ist die gestörte Zusammenarbeit bei der Rüstung und dem Waffenhandel

Amerika ist ohne Europa nicht denkbar – weder kulturell noch ökonomisch oder politisch-konstitutionell

Waren die europäischen Befürchtungen schon vorher beträchtlich – die bisher kurze Amtszeit von US-Präsident George W. Bush, demnächst hundert Tage, hat die Sorgen eher noch verstärkt. Stichworte sind die Bomben auf Bagdad, die Aufkündigung des Klimaschutzabkommens von Kioto oder die Infragestellung des Balkan-Engagements. Spürbar wird eine stärkere Betonung der US-Interessen.

Die amerikanische Politologin Campbell resümiert: „Während der Bush-Jahre wird es auf beiden Seiten des Atlantiks zu existenziellen Vertrauenskrisen kommen.“ Und der Direktor des Institute for International Economics, Bergstein, früher Unterstaatssekretär im US-Finanzministerium, warnt: „Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union befinden sich am Rande eines latenten Handels- und Wirtschaftskrieges.“

Eines dieser Konfliktfelder ist die Sicherheits- und Rüstungspolitik. Doch während die Auseinandersetzungen um das Raketenabwehrsystem NMD oder die EU-Interventionsarmee auch öffentlich für starke Irritationen sorgen, bleibt das Problem des Handels mit Rüstungsgütern und der Rüstungskooperation bisher weit gehend unbeachtet.

Die USA importieren ein Prozent ihres militärischen Materials aus Europa, die Europäer hingegen kaufen 45 Prozent vom großen Bruder. Für die amerikanischen Streitkräfte gilt „buy american“, Ausnahmen sind möglich, aber selten. Rüstungskooperation gestaltet sich immer wieder schwierig. Komponenten werden als „black box“ zugeliefert, die technischen Details bleiben selbst vor Industriepartnern innerhalb der Nato geheim: „American eyes only!“ Und nicht nur bei gemeinsamen Rüstungsprojekten behalten die USA sich ein Veto gegen Exporte vor, sondern auch, wenn sie nur Teile zu europäischen Systemen beisteuern. So scheiterte beispielsweise der Kauf des schwedischen Kampfflugzeugs „Gripen“ durch Finnland am Einspruch der Amerikaner, weil der Gripen mit Luft-Luft-Raketen des US-Typs Amraam bewaffnet ist. Die Finnen kauften später stattdessen F-18-Jäger direkt in den USA, bei Boeing.

Insofern ist der Fall, der jetzt für Aufregung sorgt, eine seltene Ausnahme: Die USA versprechen Taiwan dieselbetriebene U-Boote, die sie gar nicht selbst herstellen, sondern aus Deutschland oder den Niederlanden beziehen müssten. Allerdings hat die Bundesregierung dagegen schon ihr Veto eingelegt; nach den Richtlinien des Bundessicherheitsrates dürfen solche Waffensysteme nicht nach Taiwan exportiert werden.

Nicht nur beim Handel mit Rüstungsgütern zeigt sich ein Ungleichgewicht, sondern auch bei den Konzernverflechtungen: Während es kaum deutsche Beteiligungen an oder Übernahmen von amerikanischen Waffenschmieden gibt, sind amerikanische Rüstungskonzerne wie Raytheon oder Lockheed auf dem europäischen Markt auch als Shareholder immer stärker präsent. Es geht um den Ausverkauf europäischen Industrie-Know-hows, um technologische amerikanische Hegemonie. Wenn etwa General Dynamics (GD) den staatlichen spanischen Panzerbauer Santa Barbara Blindados kauft, der den deutschen Leopard 2 in Lizenz produziert, dann geht mit einiger Sicherheit der Technikvorsprung des Leopard-2-Konsortiums Kraus-Maffei-Wegmann/Rheinmetall an GD verloren. GD baut das Nato-Konkurrenzmodell, den etwas schwächeren Kampfpanzer M1-Abrams.

Aus der Position der globalen Nummer eins ist es verständlich, dass nach Ende des Kalten Krieges den Amerikanern alle europäischen Bestrebungen nach weltpolitischer Eigenständigkeit oder gar Gleichrangigkeit suspekt erscheinen. Die Anstrengungen zur Schaffung einer gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) innerhalb und neben der Nato, inklusive 60.000 Köpfe starker EU-Eingreiftruppe, werden von der Bush-Administration mit Skepsis betrachtet. Gleichzeitig überfordern sich die USA selbst: Sie sind die Einzigen, die Beschlüssen der Vereinten Nationen oder anderer kollektiver Sicherheitssysteme weltweit unter allen Umständen Geltung verschaffen können. Wenn es ernst wird, sind aufgrund ihrer strategischen Aufklärungs- und Transportfähigkeiten sowie der vielfachen Überlegenheit ihrer Seeluftstreitkräfte die USA immer lead nation.

Entlastung durch die Europäer wäre also durchaus sinnvoll. Doch die USA, traditionell schwankend zwischen Isolationalismus, Unilateralismus und Internationalismus, hegen ambivalente Gefühle: Die Europäer als kleiner Bruder und stärker werdende Partner beim burden sharing – ja. Stärker werdender Partner und gelegentlich Konkurrent in der weltpolitischen Arena – nein!

Angesichts der tatsächlichen Verteilung von Mitteln und Fähigkeiten wären solche Sorgen der Amerikaner allerdings absurd: Deutschland zum Beispiel, Europas größtes Nato-Mitglied, gibt 47 Milliarden Mark im Jahr für Verteidigungszwecke aus; der US-Militäretat für das Haushaltsjahr 2001/2002 ist auf 310 Milliarden Dollar veranschlagt, nach heutigem Wechselkurs 674 Milliarden Mark.

Markieren die ökonomischen und ökologischen, aber eben auch diese strategischen und militärisch-industriellen Differenzen ein Ende der deutsch-amerikanischen Freundschaft? Es sollte nicht so sein und wird wohl nicht so kommen. In der multipolaren Welt am Beginn des 21. Jahrhunderts wird der europäische Akteur, mit Deutschland in der Mitte, zur globalen Nummer zwei. Amerika bleibt die einzige Supermacht – aber sie ist mit dem demokratischen Europa nicht nur auf vielfältigste Weise verbunden und verbündet, sie ist ohne oder gegen Europa weder kulturell noch ökonomisch oder politisch-konstitutionell denkbar. Amerika und Europa, das bleibt „der Westen“, ein Universum derselben Machart, Alte und Neue Welt. Russland, China, Japan, Indien liegen uns und – wenn sie ehrlich mit sich sind – auch den Amerikanern ferner.

Es geht um den Ausverkauf europäischen Know-hows, um US-Hegemonie bei Waffensystemen

Wenn sich die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, ihre Präventions- und Interventionsfähigkeit sowie ihre wehrtechnische Industrie konsolidiert haben, dann ist das nächste Thema nicht der globale Wettbewerb, sondern die kostensparende, gleichberechtigte Kooperation mit den USA. Dazu gibt es bereits heute Projekte beim mittleren Artillerieraketen-System (GMLRS), der Nahbereichs-Luftabwehr für Schiffe (RAM), dem Anti-Radar-Flugkörper (HARM Upgrade) und dem Datenfunk der dritten Generation (MIDS-LVT). Künftig könnte vor allem bei taktischer (MEADS) und strategischer Raketenabwehr (MD) zusammengearbeitet werden. Im neuen Material- und Ausrüstungskonzept der Bundeswehr sind diese teuren Hochtechnologieprojekte nicht enthalten. Kanzler, Außen- und Verteidigungsminister halten sich alle Optionen offen: gemeinsame Systementwicklung oder ein eigenes europäisches System (mittlerer Reichweite) oder nichts. So ist, in aller Freundschaft, die Welt heute.

HANS-PETER BARTELS

DELF KRÖGER