„Erst mal vorsichtig abtasten“

Liane Schalatek, IWF-Expertin bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, über eine Frühjahrstagung fast ohne Demonstranten, dafür aber mit lauter Neulingen

taz: Zum Auftakt der Tagung sind gerade mal 25 Demonstranten auf die Straße gegangen, nicht gerade viel. Wie kommt’s?

Liane Schalatek: Das liegt daran, dass gerade erst letztes Wochenende in Quebec über die amerikanische Freihandelszone verhandelt wurde, wo Tausende von Demonstranten auf der Straße waren. Das sind die gleichen Gruppen, die jetzt auch in Washington demonstriert hätten. Ich habe aber schon mit einigen Gruppen gesprochen. Die haben einen „heißen Herbst“ für die IWF-Jahrestagung im September angekündigt.

Wenn Sie an einer Kundgebung teilgenommen hätten, gegen was hätten Sie protestiert?

Ich hätte vor allem eine Vertiefung des Schuldenerlasses für die Entwicklungsländer gefordert. Der Erlass kommt zu langsam voran. Das liegt vor allem daran, dass bei den G-7-Staaten der politische Wille fehlt. Auch jetzt auf der Tagung haben sich die Finanzminister und Notenbankpräsidenten hauptsächlich auf das globale Wachstum konzentriert und auf ein paar Krisengebiete wie Türkei und Argentinien. Die ärmsten Staaten, vor allem die Subsahara-Staaten, sind dabei wie üblich ein bisschen unter den Tisch gefallen.

Was für eine Figur macht der neue IWF-Chef?

Im Vergleich zur Herbsttagung in Prag, wo ich ihn das erste Mal erlebt habe, hatte ich den Eindruck, dass Köhler sehr viel selbstsicherer wirkte. Das hat wohl auch damit zu tun, dass er mittlerweile glaubt, seine Rolle gefunden zu haben. Und zumindest nach außen wirkt er bis jetzt erfolgreich.

Was erwarten die NGOs von Köhler?

Es sieht auch so aus, als sei er flexibler als sein Vorgänger: Er scheint eher auf Forderungen der Zivilgesellschaft zu hören. Andererseits lässt die Besetzung des Postens des US-Finanzministers mit O’Neill eher Pessimismus aufkommen, was eine künftige Vertiefung des Schuldenerlasses angeht. Da wird Köhler an seine Grenzen stoßen.

Im Vorfeld der Tagung wurden Spannungen zwischen den USA und Europa wegen der unterschiedlichen Zinspolitik erwartet. War der Ton dann tatsächlich schärfer als sonst?

Nein, zumindest ist nichts nach außen gedrungen. Was bisher geschieht, ist ein gegenseitiges Kennenlernen beider Positionen. Die Neuen müssen sich erst mal vorsichtig abtasten. Auch hat die neue US-Administration viele Posten im Finanzminsterium, gerade auch auf der Arbeitsebene für die Jahrestagung, noch gar nicht besetzt.

INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN