Geschwätz im ZDF-Container

Das „Literarische Quartett“ funktioniert ohne die strenge Großmutter Sigrid Löffler nicht mehr. Und die geistreichen Grantler mutieren zum Lobhudler-Kartell (22.15 Uhr, ZDF)

Sitzen zwei Jungs und zwei Mädels im Container und unterhalten sich. Sagt der eine: „Da habe ich neulich ein Buch gelesen, das war so was von geil – das müssen Sie einfach lesen!“ Sagt die zweite: „Ja, so ein supergut geschriebenes Buch habe ich schon lange nicht mehr gelesen.“ Sagt die dritte: „Das ist eines der besten Bücher, die über diese Zeit geschrieben wurden.“ Sagt der vierte: „Das passt 1a zu einem anderen geilen Buch, das kürzlich ein gewisser Soundso geschrieben hat.“

30 Minuten Lob

Also: Wir scheiben Anfang März. Marcel Reich- Ranicki, Iris Radisch, Hellmuth Karasek und ein Gast, in diesem Fall die Schriftstellerin Elke Schmitter, sitzen im Kölner Literaturhaus und reden über „Geschichte eines Deutschen“, die Aufzeichnungen von Sebastian Haffner über Deutschland in den Zwanziger- und Dreißigerjahren, die postum veröffentlicht wurden. Gegen Ende der fast 30 Minuten währenden Lobeshymnen sagt Hellmuth Karasek: „Dieses Buch ergänzt sich aufs Perfekteste mit den Memoiren eines gewissen Reich-Ranicki.“

Das „Literarische Quartett“, lange Zeit als eine Art modernes Kasperletheater bespöttelt, aber auch geliebt, ist endgültig zum Lobhuddel-Kartell verkommen. Reich-Ranicki lobt Schmitter für ihr Buch „Frau Sartoris“, das er als eines der besten der vergangenen Jahre bezeichnet. Karasek lobt Reich-Ranicki, und alle loben Haffner. (Nur den ewigen Schleimer Karasek kann niemand ernsthaft loben.) Dafür, dass Reich-Ranicki das Buch seines verstorbenen Freundes Sebastian Haffner vielleicht nicht ganz unparteiisch zu beurteilen vermag, kann man ja noch Verständnis haben. Doch die Beliebigkeit, mit der er und seine Mitstreiter Bücher beinahe argumentfrei bejubeln oder verdammen, ist inzwischen ähnlich belanglos wie das Geschwätz im „Big Brother“-Container. Bücher sind einfach nur noch „charmant“ und ihre Autoren „glänzende Beobachter“.

Als hätte es noch eines Beweises bedurft, hat die letzte Sendung endgültig gezeigt, dass die Idee des Literarischen Quartetts nur dank der –manchmal etwas übellaunigen – großmütterlichen Strenge funktionierte, mit der Sigrid Löffler den Kaspar Karasek und das Krokodil Reich-Ranicki an literarische Kriterien und kritische Argumente erinnerte. Seit die Großmutter aus dem Haus ist, gebärden sich die beiden alten Herren endgültig wie pubertäre Jungs, die schenkelklopfend die schlüpfrigsten Stellen ihrer Lieblingsbücher zitieren.

Und Iris Radisch, die Dritte im Bunde, geht nicht etwa dazwischen, nein: sie spielt die Prinzessin. Sie lacht geschmeichelt, wenn einer der beiden Herren ihr gönnerhaft Recht gibt, oder schmollt beleidigt, wenn niemand ihre haareraufend mit viel Verve vorgetragenen Geschmacksurteile teilt.

„Gott sei Dank, Iris Radisch hat Murakami überlebt“, freute sich der Tagesspiegel nach der letzten Sendung – zu beklagen war allerdings ein anderes Opfer: die argumentierende, geistreiche Literaturkritik. Nun mag man einwenden, dass literarische Kriterien im Quartett nie wirklich wichtig waren – doch wie gähnend langweilig es ohne sie wird, zeigt sich erst, seit sie ganz verschwunden sind. Es war einmal ein Quartett, dem immerhin das Verdienst zukam, das Reden über Bücher wieder populär gemacht zu haben.

Bitte einstellen!

Dem Quartett hätte es sicher gut getan, wenn es nach dem Weggang von Frau Löffler einfach eingestellt worden wäre. Dem ZDF, das über sinkende Quoten klagt, wohl auch. Und am allermeisten vermutlich den beiden alten Clowns, die davor bewahrt worden wären, wie heute Abend wieder in die Manege zu steigen – und das bis ans Ende ihrer Tage.DIEMUT ROETHER