Bitte demonstrieren Sie jetzt!

Beim Castortransport aus dem brandenburgischen Rheinsberg hoffte man auf Proteste: als Filmkulisse für einen ORB-Krimi. Doch echte Gegner kamen nur ein paar dutzend. Ansonsten wimmelte es von Journalisten, Schauspielern und Schaulustigen

aus Rheinsberg THOMAS GERLACH

Der Castortransport vom brandenburgischen Rheinsberg nach Greifswald rollte reibungslos aus der Stadt hinaus. In aller Herrgottsfrühe verfrachtete die Polizei den Pressetroß mit einem Shuttle zur „Medieninsel 1“ am Kraftwerkstor, ein Beamter schwor: „Sie kriegen garantiert ein paar bewegte Bilder!“, dann öffnete die „Medieninsel 2“ am Rheinsberger Bahnhof, gegen sieben Uhr kam der Zug, hielt zehn Minuten und rollte weiter. Fertig. Auf dem Bahnhofsvorplatz weitab vom Zug wärmten sich ein paar Castorgegner am Feuer. Irgendwo gab’s eine Gleisbesetzung, zwei Dutzend Leute. Aber das ist den meisten Anwesenden ohnehin nicht wichtig.

Wichtig ist, dass es demnächst beim Castortransport den ersten Mord geben wird. Irgendwann im Herbst, wenn der ORB seinen „Polizeiruf 110“ ausstrahlt, Arbeitstitel „Castor“. Dann rollt ein Castorzug aus dem AKW Rheinsberg, Hubschrauber kreisen, Polizisten stehen Seit’ an Seit’, irgendwo eine Leiche, der falsche Dorfpolizist Horst Krause und die falsche Kriminalistin Jutta Hoffmann ermitteln, und nach 90 Minuten ist alles vorbei. Der gestrige Castortransport war dagegen langweilig und vorhersehbar – wertvoll nur als Kulisse für einen Krimi.

Dumm nur, dass so wenige demonstriert haben. „Nee, wir waren völlig enttäuscht,“ sagt einer am Set. Die Realität ist fad: Keine Einbetonierung, keine Steine – der Protest blieb meilenweit hinter der Fiktion zurück. Mit gutem Grund: Schließlich handelt es sich, anders als in Gorleben, um einen Castortransport, der für den schnellen Abriss eines AKW nötig ist.

Am Vorabend gab es die letzte Demonstration in Rheinsberg: 60 Leute versammeln sich in Bahnhofsnähe, die eine Hälfte Castorgegner, die andere Presse. Einheimische sind auch dabei, doch die meisten halten auf Distanz. „Die Rheinsberger auf der anderen Straßenseite sind herzlich eingeladen, hierher zu kommen!“, ruft Reinhard Dalchow vom kirchlichen Umweltkreis Menz, einem Dorf in Kraftwerksnähe. Die Worte des Pfarrers fruchten nicht. Die Einheimischen sind misstrauisch, zwischen ihnen und der Demo liegt nicht nur die Straße, sondern auch das Absperrband der Polizei. „Früher gab’s doch auch solche Transporte, da hat kein Hahn danach gekräht“, ruft einer mit Hosenträgern. In Wasserbecken sei das alles transportiert worden. „Na ja, ob das sicher war, hat auch keiner gewußt.“ Eine Frau arbeitet im Kraftwerk. „Die Castoren müssen jetzt weg, sonst können wir nicht mit dem Abriss weitermachen“, erklärt sie. „Aber protestieren dürfen sie natürlich.“ Der Mann hat die Arme verschränkt, Polizei rauscht vorbei. „Polizeistaat“, sagt einer. Von drüben schallt Applaus herüber. „Da, jetzt klatschen sie sich Mut zu“, ruft der mit den Hosenträgern. Die Rheinsberger hatten ihr Schauspiel. Jetzt wird es langweilig, sie gehen nach Haus. Dass die Castoren verschwinden, stört auf dieser Seite keinen.

„Dass wir hier nicht auf große Gegenliebe stoßen, war uns klar“, sagt Andreas von der Anti-Atominitiative Regionalplenum Ost. Die Morgensonne wärmt noch nicht, ein Feuer qualmt. „Trotzdem versorgen uns Leute hier mit Essen und Trinken.“ Die Castorgegner halten seit der ersten Demonstration am Sonntag vor dem Bahnhof Mahnwache. Zelte, Liegestühle, Lagerfeuer – ein gemütlicher Protest, dem Dutzend Atomkraftgegner bleibt nichts weiter übrig. Platzverweise haben sie sich längst eingehandelt. Proteste? „Weiter außerhalb könnt’s eine Gleisblockade geben. Hier ist das völlig zwecklos.“ Zu viel Polizei.

Enttäuscht klingt das nicht. Das ist ja das Schöne daran. Wo haben jemals ein paar Dutzend Atomkraftgegner so viel Aufmerksamkeit erregt? Gleichungen werden erstellt: Auf einen Castorgegner kommen 30 Polizisten und ein Journalist. Da wirkt das Gorlebenaufgebot der Polizei nahezu sparsam. Protestaktionen sind gar nicht mehr nötig. „Nö, wir sitzen hier und trinken Kaffee.“ Fernsehteams kreuzen auf, Fotografen fragen. Auch die Mahnwache mit ihrem Protest ist zur „Medieninsel“ geworden wie die ganze Stadt mit dem Heer an Komparsen, freiwilligen und unfreiwilligen.

Wie absurd das Ganze ist, wird klar, als zwei Polizistinnen aufeinander stoßen. „Ich wär Ihnen sehr dankbar, wenn Sie nicht da herüber gehen würden! Dann nehm ich Sie in Gewahrsam. Das ist mein voller Ernst!“ Sagt die eine zur anderen. Die erste ist eine echte Polizistin, die andere eine Fernsehkommissarin. Die reagiert denn auch wie eine Schauspielerin: Sie dreht sich zum Kamerateam um – und ruft enttäuscht: „Warum habt ihr das nicht gedreht?“