„Ein Konservativer neuen Typs“

„Die Konservativen in Europa wissen gar nicht, welche Schlange sie mit Berlusconi an ihrer Brust genährt haben“. Der italienische Politologe Angelo Bolaffi zur Gefährlichkeit des Wahlsiegers

taz: Muss Europa Angst vor Berlusconi haben?

Angelo Bolaffi: Es gibt zwei Dinge, die Europa Sorgen bereiten sollten. Erstens: Berlusconis Medienmacht. Er hat zwar versprochen, dass er das Problem innerhalb der ersten hundert Tage im Amt, durch die Übergabe an einen Treuhänder oder ähnliches, lösen wird. Aber daran glaube ich nicht wirklich. Ich gehe sogar davon aus, dass er dieses Problem gar nicht lösen kann. Und da wird es für Europa dann wirklich gefährlich. Und zweitens: Wir wissen noch nicht, ob Berlusconi auf die Unterstützung der Lega Nord angewiesen sein wird. Denn nach ihren Stimmenverlusten wird die Lega noch entschiedener auf ausländerfeindliche Stimmungsmache setzen. Wenn Berlusconi die Lega braucht, hat er ein Riesenproblem. Und Europa auch.

Ist Berlusconi ein ganz normaler Konservativer?

Nein. Berlusconi ist ein Konservativer neuen Typs. Nicht zu vergleichen mit José María Aznar, Helmut Kohl oder Margaret Thatcher. Das sind alles Politiker. Berlusconi ist Unternehmer und ein Konservativer neuen Typs wie Ross Perot oder der Schweizer Christoph Blocher. Diese Leute machen keinen Unterschied zwischen Wirtschaft und Politik.

Was bedeutet das politisch?

Der Politiker muss immer an das Gemeinwohl denken, der Unternehmer an Profit. Das ist der schon ganze Unterschied. Und Berlusconi verwechselt ständig Profit und Gemeinwohl miteinander. Politisch interessant ist an Berlusconi die moderne Form der Demagogie, mit der er Politik betreibt, sein Populismus.

Wird Berlusconi nach dem Erfolg zum Vorbild für Europas gebeutelte Konservative werden?

Ja, das ist ein Problem. Es war zum Beispiel ein Riesenfehler von Helmut Kohl, den ich sonst sehr schätze, Forza Italia in die Europäische Volkspartei aufzunehmen. Er hat ja keine Ahnung, welche Schlange er an seinem Busen genährt hat. Das ist sehr gefährlich. Denn mit diesem Erfolg werden sich alle konservativen Parteien fragen, ob sie ihm nicht folgen müssen. Ich finde es sehr bedrohlich, dass sogar Wolfgang Schäuble, der doch ein ganz intelligenter Typ ist, jetzt Berlusconi unterstützt hat.

Die Konservativen setzen mit Berlusconi also aufs falsche Pferd?

Sie setzen auf ein gefährliches Pferd. Ob es das falsche ist, weiß ich nicht.

Das letzte Mal musste Berlusconi nach sieben Monaten gehen. Wie lange bleibt er diesmal?

Wenn er das Problem mit seinen Medienbeteiligungen lösen kann, dann wird er lange bleiben. Aber ich glaube nicht daran, dass er es löst.

Was wird dann passieren?

Dann wird der Druck aus Europa wachsen. Und auch der Staatspräsident wird Druck ausüben. Außerdem wird er Probleme mit seinen Verbündeten bekommen. Berlusconi hat alle strategischen Partner mit diesem Wahlergebnis niedergewalzt. Die extremen und die gemäßigten Kräfte. Die werden sich jetzt profilieren müssen. Das birgt Stoff für Konflikte. Der knappe Sieg wird ein Problem für Berlusconi.

Was hat Europa politisch von Berlusconi zu erwarten?

Das ist das Problem. Wir wissen es nicht. Sozialpolitisch wird es sicher einen Rechtsruck geben. Die europäischen Verträge wird er einhalten. Aber mehr ist im Moment noch nicht zu sagen.

Sollte Europa, wie im Falle Österreichs, Sanktionen gegen Italien verhängen?

Zunächst nicht. Europa muss abwarten und genau beobachten, was Berlusconi entscheidet und wie er sich politisch verhält. INTERVIEW: VOLKER WEIDERMANN