Vor der Lehre erst aufs Klo

Wer sich beim Basler Chemiekonzern Roche ausbilden lassen will, muss sich einem Drogentest unterziehen. Jetzt soll eine Datenschutzkommission den Fall prüfen

FREIBURG taz ■ Der Basler Chemiekonzern Roche hat sich mit seiner Arbeitnehmervertretung und dem eidgenössischen Datenschutz angelegt. Erst kürzlich wurde bekannt, dass, wer bei Roche (einst F. Hoffmann-La Roche AG) in Basel eine Ausbildung beginnen will, seit 1997 zunächst das Klo aufsuchen muss. Denn wer sich nicht zu laut Roche „freiwilligen“ Urinproben und Drogentests bereit erklärt, muss sehen, wo er bleibt. Trotz zweifacher Rüge durch den Datenschutzbeauftragten Odilo Guntern und seiner Aufforderung, auf die flächendeckenden Tests zu verzichten, bleibt der Konzern bei seiner Linie.

Roche „ist nicht bereit, die Drogentests einzustellen“, heißt es in einer Presseerklärung des Konzerns. Jetzt wurde eine Datenschutzkommission einberufen, den Fall zu klären. Sollte die es dem Konzern erlauben, an der bisherigen Praxis festzuhalten, helfe „auf juristischer Ebene nur noch die Klage eines betroffenen Lehrlings“, so Ewald Ackermann vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund.

Offiziell komme Roche mit den Zwangstests, so die Presseerklärung, lediglich besorgten Eltern entgegen. Die Hälfte der 150 Lehrlinge zöge zum ersten Mal vom Land in die Großstadt und wohne im betriebseigenen Lehrlingsheim. Gewerkschafter Ackermann hält den Verweis auf die Sorge der Eltern jedoch für vorgeschoben. Und Datenschützer Guntern sieht in den verordneten Urinproben gar einen „massiven Eingriff in die Persönlichkeit“ der Jugendlichen.

Den erkennt auch Marie-Lousie Mittelholzer, die als Präsidentin der Arbeitnehmervertretung im Konzern eine Art Betriebsratsvorsitzende ist. Die offizielle Argumentation, man müsse Lehrlinge beim Umgang mit gefährlichen Chemikalien schützen, betreffe schließlich nicht die kaufmännischen Bereiche, so Mittelholzer.

Mario Antonelli vom Schweizerischen Kaufmännischen Verband, der als Jugendbeauftragter des Arbeitnehmerverbandesselbst eine Broschüre zum Thema „Jugend und Drogen“ herausgibt, hält die Konzernpolitik „für eine klare Doppelmoral“. Zudem seien die Tests untauglich. Denn nur Cannabis könne noch Tage nach der Einnahme im Urin nachgewiesen werden, harte Drogen aber nur innerhalb weniger Stunden. „Mit dieser unhaltbaren Philosophie will sich Roche ein gesellschaftspolitisches Saubermann-Image schaffen“, vermutet Antonelli.

Roche-Sprecher Daniel Piller verteidigt die Linie des Konzerns: „Vor Beginn der Lehre geben wir unsere Spielregeln bekannt. Wer die nicht einhalten will, entscheidet sich gegen eine Lehrstelle bei Roche.“ Auch die Lehrlingsbetreuer sind gelassen. Schließlich habe Roche kein Monopol. Jugendliche könnten sich ja auch woanders ausbilden lassen. Von den Lehrlingen wollte sich niemand außern – auch nicht anonym. Marie-Lousie Mittelholzer ist über diese Gefügigkeit ihrer Auzubildenden erstaunt: „Die sagen, man solle bitte nichts unternehmen, weil sie Angst um ihre Lehrstelle haben. Sie seien sehr zufrieden damit, und ihre Eltern seien es auch. Das ist doch wie beim Großen Bruder!“

Die konzerninterne Arbeitnehmervertretung selbst darf die Lehrlinge nach Schweizer Recht nicht vertreten. Denn die Ausbildungsverträge werden nicht mit Roche, sondern mit den kantonalen Berufsbildungsämtern abgeschlossen. Die aber haben im Kanton Basel die Verträge klaglos unterschrieben.

Anderswo, so Antonelli, würden solche Verträge nicht akzeptiert. Er vermutet hinter dieser Toleranz den Einfluss der ansässigen Chemie-Lobby: „In Basel stellt die Chemie 80 Prozent der Arbeitsplätze, und der Kanton finanziert sich zu einem großen Teil über die chemische Industrie.“ Im deutschen Werk von Roche im badischen Grenzach-Whylen gibt es denn auch keine Drogentests. Der Betriebsratsvorsitzende Walter Kleßner sagt: „Wir sind hier in Deutschland, nicht in der Schweiz.“

RENÉ ZIPPERLEN