„Der reine Wahnsinn“

Die Geister, die er rief: Nick Gold über die Gründe seines Erfolgs mit dem „Buena Vista Social Club“, die Folgen des Kuba-Booms und Musik aus Mali

Interview DANIEL BAX

taz: Ihr Label „World Circuit“ ist durch den „Buena Vista Social Club“ groß geworden. Wie kam es zu diesem Projekt?

Meine ursprüngliche Idee war, die Musik aus dem Osten Kubas mit Musikern aus Mali zusammenzubringen. Juan de Marcos wiederum, meinem Partner auf Kuba, schwebte eine Big Band vor, die kubanische Musiker verschiedener Generationen vereinen sollte.

Also buchten wir ein Studio in Havanna und begannen dort mit dem ersten Album, das in sieben Tagen eingespielt war [die „Afrocuban All Stars“, d. Red.]. Während der Aufnahmen erreichte uns dann die Nachricht, dass die Afrikaner nicht kommen könnten – sie hatten ihre Pässe per Post verschickt, um ihre Visa zu beantragen. So hatten wir noch zehn Tage im Studio zu füllen und einen Raum voller Musiker, aber keinen Plan. So entstand das „Buena Vista Social Club“-Album. Viele der Stücke kamen einfach so. Eliades Ochoa und Compay Segundo etwa kannten sich, weil sie in Santiago oft zusammen gespielt hatten. Als Compay ins Studio kam, stimmte Eliades wie zur Begrüßung gleich „Chan Chan“ an. Ein großer Teil des Repertoires gehörte allen, und die Musiker kannten sich gegenseitig, auch wenn sie nie vorher zusammen gespielt hatten, zumindest vom Ruf her. Da war keine Anstrengung.

Was trug Ry Cooder bei?

Er war es, der vorschlug, die Mikrofone hochzuhängen, um die Atmosphäre des Raums einzufangen. Das war der wichtigste Anteil. 90 Prozent des Album wurde live aufgenommen, und alle saßen sehr eng beieinander. Ich glaube, das kann man hören: ein sehr natürlicher Sound.

Warum bedurfte es Ausländer wie Ihnen, um diese Musik wieder bekannt zu machen?

Diese Musik war nicht vergessen auf Kuba. Sie wurde nur nicht mehr von den staatlichen Plattenfirmen veröffentlicht. Es war ja eine Absicht der Regierung, das Alte beiseite zu schieben und zu sagen: Wir hatten eine Revolution, dies ist ein neues Land.

Als ich das erste Mal auf Kuba war, gab es dort nur Platten von Salsa-Gruppen wie „Los Van Van“ und Irakere und von Liedermachern wie Pablo Milanes zu kaufen. Das war allerdings kurz nach dem Kollaps der Sowjetunion, da lief ohnehin nicht mehr viel.

Wie hat sich die Lage auf Kuba seitdem verändert?

Es ist nicht wieder zu erkennen. Jetzt gibt es dort sogar Benetton! Es ist der Tourismus, der Kuba am meisten verändert hat. Früher waren die Hotels schlecht, das Essen dürftig, es gab nicht mal Benzin. Jetzt gibt es Clubs, Läden und überall Hotels, und eine riesige Anzahl Touristen. Und wo Touristen sind, da ist auch Musik für Touristen.

Das „Buena Vista“-Repertoire ...

Ja. Die Musiker in den Hotels spielen alle die Stücke vom „Buena Vista“-Album. Man kann dem einfach nicht entkommen: An jeder Straßenecke hört man „Chan Chan“. Das treibt mich zum Wahnsinn.

Bereuen Sie ihr Werk?

Ja (lacht). Ich kann die Platte nicht mehr hören – weil sie einfach überall läuft.

Besonders nach dem Film?

Der Film hat alles noch einmal von vorne aufgerollt, vor allem in Deutschland. In England sind wir ein bisschen verschont geblieben, hier war das Album nicht sieben Wochen lang auf Platz 1 der Charts.

Die Musiker sind noch immer fast pausenlos auf Tour?

Sie könnten jeden Tag irgendwo auf der Welt ein Konzert geben. Der größte Teil unserer Arbeit besteht darin, Anfragen abzulehnen. Manchmal hört man Kritik, wir würden diese alten Leute zu stark beanspruchen. Aber die haben 50 Jahre lang zu Hause gesessen. Alles, was sie jetzt wollen, ist, auf Tour zu gehen und neue Orte kennen zu lernen.

Ging das speziell in den USA ohne Hindernisse?

Man braucht die Erlaubnis der Regierung. Aber nach dem weltweiten Erfolg wäre es wohl peinlich gewesen, kleinen alten Männern, die Gitarre spielen, die Einreise zu verweigern, weil man sie für eine böse kommunistische Bedrohung hält. Wie hätte denn das ausgesehen?

In Miami konnten sie trotzdem nicht spielen.

Miami ist speziell. Compay Segundo ist dort einmal aufgetreten, und es gab Bombendrohungen. Einen Monat vorher waren Los Van Van da, und vor der Tür waren mehr Leute, die protestiert haben, als im Saal.

Das „Buena Vista“-Konzept ist oft kopiert worden. Sogar der Name ...

Social Buena Club Vista (lacht). Es ist schon lustig.

Warum, glauben Sie, hat aber niemand an den Erfolg anschließen können?

Die einfachste Art, eine gute Platte zu machen ist, mit guten Musikern zu arbeiten. Mit guten Musikern ist es eigentlich schwierig, eine schlechte Platte zu machen. Nun gibt es viele gute Musiker auf Kuba. Aber in dieser Gruppe ist der Grad an Professionalität außerordentlich hoch. Juan de Marcos hat die richtigen Leute gewählt. Zum anderen haben wir aber auch gut am Repertoire und den Arrangements gearbeitet.

Würden Sie sich mit Chris Blackwell, der den Reggae auf die Landkarte gesetzt und Bob Marley entdeckt hat?

Ich glaube, er hatte mehr Interesse am Aufbau und an der Expansion seiner Firma. Ich hatte nie diesen Ehrgeiz.

Steckt hinter dem Profil Ihres Labels eine Philosophie?

Nein, es ist einfach nur Musik, die mir gefällt. Und mit der Zeit stellte sich eben herausgestellt, dass die Künstler, die mir am besten gefallen, aus Westafrika oder Kuba kamen.

War das schon immer so?

Früher, als ich Platten gesammelt habe, war ich ein großer Fan von Jazz, von Blues und Reggae aus den 60ern. Unter meinen Altersgenossen galt ich damit als etwas obskur. Die Leute hörten damals Punk. Aber ich fand das nicht so interessant.

Welchen Stellenwert hat Mali noch für Sie?

Durch den „Buena Vista“-Boom hatten wir das Problem, mit der Nachfrage mithalten zu müssen. Aber wenn mich Ali Farka Touré morgen anriefe und sagte, er wolle eine neue Platte machen, würde ich sofort hinfahren.

Zwischenzeitlich wollte er ja gar keine Platten mehr aufnehmen. Er hatte die Nase voll davon, auf seinen Konzerten Musik zu spielen, die ihm etwas bedeutet und die eine Geschichte hat, die 15 Generationen zurückgeht, vor Leuten, die Bier trinken und unaufmerksam sind. Und jeder Journalist stellte ihm die gleichen Frage: „Warum spielen Sie den Blues?“

Muss Weltmusik ein vertrautes Element besitzen, um erfolgreich zu sein?

Es ist zumindest eine enorme Hilfe. Die Blues-Seite von Ali Farka Touré macht seine Musik einfach zugänglich, man kann sie greifen. Andere Aspekte seiner Musik sind schwerer zu verstehen, da muss man Arbeit investieren. Und das ist etwas, das wir mit unserer MTV-Kultur nicht gewöhnt sind.

Das größte Hindernis bleibt die Sprache. Außerhalb Englands wird das leichter akzeptiert. Wir verkaufen deswegen mehr Platten in Holland als in England. Am meisten aber in Deutschland.

Warum ist Weltmusik so populär geworden?

Weil sie anders ist. Die Leute langweilen sich im Westen. Das ist der Grund.