Gegenüber der Tankstelle

Junge Songwriter an der Gitarre, Techno-Hasardeure am Computer und das alte Erbe der Griots: die Musikszene in Mali ist im Umbruch

von JAY RUTLEDGE

Im Djembe Club in Lafiabougou, einem Außenbezirk der Hauptstadt Bamako, spiegelt sich Malis desolate Musikszene. Eine kleine, offene Kaschemme mit einer Theke, an der man sich Malis vorherrschende Biersorte „Flag“ bestellen kann, eine Tanzfläche und ein Paar große Lautsprecher, die manchmal ausfallen. Gegen Mitternacht füllt sich der Laden allmählich. Ein paar Prostituierte saugen gelangweilt an ihrer Cola, und einige leicht angetrunkene Gäste tanzen schon zu den Klängen der jungen Musiker, die sich warm spielen. Die meisten der Gäste, die der Musik wegen kommen, kennt man schon, denn es zieht sie zu den immer gleichen Orten in Bamako: Samstagabends landen alle meist im Djembe, weil hier regelmäßig Malis musikalisches Urgestein, der Gitarrist Djelimady Tounkara, mit seiner legendäre Rail Band zu hören ist. Doch an diesem Abend bleibt es bei guter Live-Covermusik, in der nur ab und zu einige perlende Gitarrenläufe aufblitzen, in denen die ganze Klasse Djelimadys aufscheint.

Riffs à la James Brown

Tags darauf holt mich Djelimadys Sohn mit dem Mercedes vor dem Club ab. Der Wagen ist ein Geschenk vom großen Patron Babani Sissoko, der fast allen Griots in Mali ein Gönner ist. Djelimady wohnt keine 300 Meter vom Djembe Club entfernt und ist an diesem Morgen in Plauderlaune. Er lässt sich von einem seiner Söhne einen Kassettenrekorder bringen, um sein aktuelles Album „Sigui“ (Label Bleu/Indigo) vorzuspielen: „Kennst du es?“, fragt er, sichtlich stolz auf das Werk. Dann greift er zu seiner akustischen Gitarre, lächelt und spielt Ton für Ton alle Soli und Begleitfiguren des Titelsongs mit. „Im Studio in Amiens haben natürlich alle gedacht, ich hätte mich nicht vorbereitet auf die Aufnahme, wie die meisten Afrikaner. Aber ich wusste ganz genau, was ich wollte. Nicht die Standardmusik der Griots eben, wie man sie kennt. Deswegen hat es ein bisschen länger gedauert, bis alle meine Musiker wussten, was ich von ihnen wollte, und es auch spielen konnten.“

Dann setzt Djelimady zu einem kleinen historischen Exkurs an: Er erzählt, wie sein Onkel ihm in seiner Jugend eine Kassette mit Musik von Django Reinhardt mitgebracht hatte und er alles perfekt nachspielen lernte, wie später auch jeden neuen Song des legendären kongolesischen Gitarristen Franco, der im Radio lief. Während er so erzählt, spielt Djelimady ein paar seiner kubanischen Lieblingsstücke an und streut ein paar Riffs à la James Brown ein.

Auch manch unerwartetes Idol kommt ihm in den Sinn: George Benson etwa, sagt Djelimady, der sei für ihn der wahre Afrikaner unter den amerikanischen Jazzern. Oder die Skorpions: „Ich habe sie einmal live auf einem Festival gesehen. Die Art, wie der Gitarrist seine Soli genauso wie auf der CD gespielt hat, das hat mich schon beeindruckt. Die Scorpions sind ja sehr populär hier in Mali.“ Dann kehrt er wieder zur eigenen Musik zurück: „Auf meinem Album versuche ich eine Gratwanderung zwischen wirklich traditioneller, alter, tiefer Griotmusik und modernen Einflüssen. Aber ich vermische das nicht einfach, sondern weiß ganz genau, wann und wo ich was spiele.“

Je mehr Djelimady seine Songs erklärt, desto mehr klingt die Erfahrung des Gitarristen durch. Und man versteht, weshalb der englische Produzent Nick Gold vor ein paar Jahren auf ihn aufmerksam geworden war. Er wollte in Kuba ein Album aufnehmen mit Musikern aus Afrika und alten Son-Legenden von der Insel. Alles war vorbereitet, das Studio in Havanna gemietet. Nur Djelimady konnte nicht kommen, weil sein Patron Babani Sissokko ihn gerade zu sich eingeladen hatte. Aus dem Projekt in Kuba wurde der Buena Vista Social Club, und Djelimady bekam stattdessen ein neues Auto und einige tausend Mark von seinem Patron geschenkt.

Wenn Djelimadys Musik tief in der Welt der Griots verwurzelt ist, dann entdeckt Habib Koité, der junge Shooting Star aus Mali, die Traditionen seines Landes gerade erst für sich – und stößt dabei auf einen unendlichen Schatz an musikalischem Rohstoff. Zwar ist auch Habib Koite ein Griot von Geburt. Preislieder, wie sie Griots auf ihre Patrone und Gönner singen, sucht man auf seinem aktuellen Album „Baro“ (Putumayo / Exil) aber vergeblich. In Mali wird Habib Koité eher dem Lager der neuen Generation moderner professioneller Musiker zugerechnet, vergleichbar mit seiner jungen Kollegin Rokia Traoré. Mit dem Unterschied, dass Habib Koité ein Vollblutmusiker ist, der jahrelang in den Bars von Bamako unterwegs war, bevor er Gitarre studierte und selbst lange Zeit an der nationalen Kunstakademie unterrichtete hat. Rokia Traoré, die in Frankreich Soziologie studierte, ist in ihren Ansichten und in ihrer Musik ein wenig radikaler: Sie kombiniert Instrumente, die so noch nicht kombiniert wurden, und erschuf dabei fast so etwas wie eine folklore imaginaire. Habib Koité hingegen ist geerdeter: Er könnte auch auf traditionellen Hochzeiten auftreten, so treu bleibt er den Musikstilen seiner Heimat.

Die Musik der Jäger

Wenn Habib Koité sich bei seinen Auftritten in einen Bogolan kleidet, den traditionellen Stoff der Jäger Malis, lässt das ahnen, woher er seine Inspiration schöpft: „Ich arbeite viel mit der Musik der Jäger, ihre Musik ist ein großes kulturelles Erbe Malis.“ Dann demonstriert er seine Kompositionstechnik an einem Beispiel: „Die Musik der Jäger bleibt immer in einer Tonart“, sagt er, während er von einem Akkord zum anderen wechselt. „Um einen Song daraus zu machen, füge ich dazwischen andere Akkorde ein. Aber an die Skalen halte ich mich fast religiös.“

Seit seiner ersten Single „Cigarettes abana“ – seinem größten Erfolg in Mali und später auch im im Ausland – hat er drei Alben veröffentlicht. Wenn Koité heute in Bamako auftritt, dann nicht mehr im Djembe, sondern eher im CCF, dem französischen Kulturinstitut. Seine Musik, in der sich Einflüsse diverser Ethnien mischen, klingt, für den Geschmack vieler seiner Landsleute, eine Spur zu modern. Doch Habib Koité sieht darin die Zukunft: „Seit drei, vier Jahren haben die Leute hier begonnen, sich mehr für die Musik anderer Ethnien zu interessieren, die oft tanzbarer ist als die textlastige Musik der Griots“, räsoniert der Vielbeschäftigte im Innenhof seines Hauses.

Vor allem die Sängerinnen aus der Wassoulou-Region im Süden des Landes haben in letzter Zeit für Furore gesorgt. Auch die bislang erfolgreichste Kassette des Jahres stammt von dort: das neue Album „Laban“ – von Oumou Sangaré, der Nummer eins unter den Wassoulou- Sängerinnen – ist Mitte März erschienen und bricht alle Kassenrekorde. Schon nach einem Tag wanderten allein in Mali 30.000 Kassetten über die Ladentische, am zweiten Tag waren es schon 100.000 in ganz Westafrika: „Ich wollte ein Album für Afrika machen“, erzählt Oumou Sangaré, erschöpft von unzähligen Radio- und Fernsehinterviews. „Die jungen Leute brauchen eine Musik, zu der sie in den Nachtclubs tanzen können. Immer, wenn ich in einem Club war, stellte ich fest, dass dort zwar ab und zu eine meiner alten Aufnahmen aufgelegt wurde. Aber so richtig konnte oder wollte keiner dazu tanzen, weil die Musik einfach zu traditionell ist. Deshalb habe ich meine Musik für neue Einflüsse geöffnet.“ Das Ergebnis ist „Yalla“, ein funkiger Wassoulou-Track, auf dem sich der Klang der für ihre Heimatregion typischen N’goni-Laute mit Diskorhythmen mischt. Das Video dazu drehte sie – mit hochtoupierten Haaren, hautenger Hose mit Leopardenmuster, einem Neontop und weißen Buffaloboots aufgedonnert wie eine afrikanische Tina Turner – in einem Nachtclub von Bamako.

Sie weiß, dass dieses Outfit ihr Weltmusik-Publikum im Ausland, das bisher nur ihre traditionelle Seite kennt, schockieren könnte: „Meine Fans in Europa werden ziemlich überrascht sein über mein neues Album“, sagt sie und lacht.

Auch Oumou Sangaré singt auf „Laban“ erstmals Stücke anderer Ethnien. Ihre Plattenfirma in Europa, World Circuit, hat allerdings bis heute noch keinen Termin für die Veröffentlichung festgelegt. Wie es scheint, wird Oumou Sangaré nochmal ins Studio gehen müssen, um das Album ein wenig traditioneller klingen zu lassen, dem westlichen Markt zuliebe. Das Herz von Malis Musikbusiness schlägt in Quizambogou. Man erreicht den Ort mit dem Taxi über die Ansage „Station Shell“, denn nach Adressen kann man sich in Mali nur begrenzt richten.

Gegenüber der Tankstelle befindet sich MaliK7, Malis derzeit größte legale Plattenfirma, die außerdem das einzige Kassettenpresswerk des Landes besitzt. Gleich daneben befindet sich das „Studio Bogolan“ von Yves Wernerts, das derzeit einzige funktionierendes Aufnahmestudio des Landes. Issa Bagayogo ist fast immer da. Wenn er nicht vor dem Studio oder in einem kleinen Nebenraum, in dem alles mögliche Gerümpel lagert, mit seinem Kumpel Moussa Koné probt, sitzt der großgewachsene, aber eher unscheinbare Issa vorne am Eingang und trinkt mit den Wachmännern Tee.

Roots am Computer

20.000 Kopien verkaufte er von seinem Debütalbum „Sya“, einer Fusion aus rootsiger Wassouloumusik und dezenten Beats, die Yves Wernert in seinen Computer tippte. Die Raubkopien mitgezählt, dürften etwa 60.000 Kassetten davon in Umlauf sein. Der Erfolg hat Techno Issa, wie er seitdem von allen genannt wird, gut getan. Früher war er schüchtern, verschlossen und sprach kein Wort Französisch. Jetzt wirkt er wie aufgeblüht. Seine Probleme – seine Frau, die ihn verließ, weil er kein Geld hatte, und seine Familie, die glaubte, er sei in der Stadt verrückt geworden – sind vergessen.

Auch die Geschichte, dass er bei den Aufnahmen zu seinem ersten „Techno“-Album „Sya“ die Flucht ergriffen haben soll, weil er dachte, Yves Wernert würde ihn verhexen, kann er heute mit Humor nehmen. Mittlerweile hat er sich an den Computer und die Arbeit mit Yves gewöhnt. Erst kürzlich konnte MaliK7 einen Lizenzdeal mit dem US-Label „Six Degrees Records“ für ihn an Land ziehen, erzählt Philippe Berthier, Chef von MaliK7. Allein schon der Werbeetat der Plattenfirma in San Francisco übersteigt alles, was sich MaliK7 bisher leisten konnte.

Jetzt hofft man, dass sich Techno-Issa zum Zugpferd für die anderen Künstler des Studios – wie Mamou Sidibé oder Adama Yalomba – entwickeln könnte. Im Sommer will Techno-Issas erst einmal auf eine längere Europatournee gehen, die ihn und seine etwas moderneren Beats auch nach Deutschland führen wird.