Ende der moralischen Weltmacht

Der Vatikan verbot 1968 die Pille. Ein Fehler: Seither nehmen ihn die KatholikInnen nicht mehr ernst

BERLIN taz ■ Das hatten die braven KatholikInnen noch nie gewagt: Eine „katholische außerparlamentarische Opposition“ (Kapo) verteilte auf dem Katholikentag in Essen 1968 aufmüpfige Plakate gegen den Papst: „Sich beugen und zeugen“ oder „Wir reden nicht über die Pille, wir nehmen sie“.

Grund der Aufregung war die Enzyklika „Humanae Vitae“ von Papst Paul VI. Am 25. Juli 1968 veröffentlichte das Lehramt in Rom die endgültige Ablehnung dieser Art der Empfängnisverhütung. Der Grund: „Eine von Gott bestimmte unlösbare Verknüpfung der beiden Sinngehalte – liebende Vereinigung und Fortpflanzung –, die dem ehelichen Akt innewohnen“, wie „Pillenpapst“ Paul VI. an seine Gläubigen schrieb. Nur wenn beide Elemente beachtet würden, „behält der Verkehr in der Ehe (von Sex außerhalb der Ehe war sowieso nicht die Rede, d. Red.) voll und ganz den Sinngehalt gegenseitiger und wahrer Liebe“, so das heftig umstrittene Lehrschreiben weiter.

Diese Lehre gilt nach wie vor. Doch intern wissen auch die alten Männer in Rom, dass sie einen schweren strategischen Fehler gemacht haben. „Humanae Vitae hat viele Frauen von der Kirche entfremdet und die Gemeinden ungemein polarisiert“, sagt etwa Christa Nickels, grüne Abgeordnete und seit Jahrzehnten kritische Katholikin. Denn das Schreiben war der bewusste Kontrapunkt des Vatikans gegen die Liberalisierung der Kirche, die im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) begonnen hatte. Nun stellte sich die Kirche wieder gegen den gesellschaftlichen Trend. Und gegen die Frauen.

Damit vergraulte der Vatikan seine treuesten Anhänger. Das Kirchenvolk folgte nicht den Weisungen aus Rom, sondern ignorierte sie. Unterstützt von vielen Pfarrern und auch den deutschen Bischöfen entdeckten immer mehr katholische Paare ihr Gewissen und damit die Pille. Auch Katholikinnen nahmen und nehmen die Pille, ernst nimmt die katholische Sexuallehre heute kaum einer mehr. „Zu dem Thema gibt es heute fast keine Anfragen“, sagt Margret de Haan von der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschland. Die Frauen haben den Widerstand gelernt und gründeten etwa nach dem Aussteig der Kirche aus der Schwangerschaftsberatung den Beratungsverein „Donum Vitae“.

Die Pille hat die katholische Kirche tief erschüttert. Viele ChristInnen entdeckten mit der Pille, dass sie auf die Institution Kirche auch verzichten konnten. Vor allem Frauen, immer und bis heute die Stütze der ehrenamtlichen Arbeit in den Gemeinden, kehrten der Kirche zunehmend den Rücken – und nahmen ihre Kinder mit. Zur Jahrhundertwende hatte der Vatikan die Arbeiterschaft verloren, weil er auf die sozialen Fragen des Kapitalismus keine Antwort hatte. In den Siebzigerjahren verließen die Frauen die Kirche, weil Rom den Umbruch in den westlichen Gesellschaften ignorierte. BERNHARD PÖTTER