Der Kandidat ist auf der Hut

Zwölf Stahlriegel sichern die Eingangstür, das Fenster zur Hauptstraße ist vier Zentimeter dick. In Larne muss sich ein katholischer Politiker gut schützen

aus Larne RALF SOTSCHECK

Wenn er das Zimmer betritt, sieht man zuerst seinen Bauch. Danny O’Connor ist schwergewichtig, seit er nicht mehr zum Training in die Sporthalle geht. „Ich habe keine Zeit mehr dafür“, sagt der 36-Jährige, „und seit mir die Loyalisten mit Mord gedroht haben, ist es auch zu gefährlich geworden.“ Vor zwei Wochen haben sie zweimal sein Haus in Larne angegriffen, in der Hafenstadt nördlich von Belfast, wo er mit seinen Eltern lebt. Das angeblich kugelsichere Glas ist dabei zersplittert.

O’Connor lebt gefährlich, weil er Katholik ist und für die SDLP, die nordirische Sozialdemokratische und Arbeiterpartei, bei den Westminster-Wahlen am 7. Juni kandidiert. Sein Parteibüro auf der Hauptstraße in Larne über einem Fleischerladen ist gesichert wie eine Bank. Das Treppenhaus überwachen zwei Kameras, das Toilettenfenster ist vergittert, das Fenster zur Hauptstraße ist vier Zentimeter dick. Neben dem Computer und in der kleinen Küche sind Panikknöpfe angebracht, mit denen O’Connor die Polizei rufen kann. „Gott sei Dank leben wir in einer Demokratie“, sagt er sarkastisch.

Der Schweiß läuft ihm den Rücken herunter. Es ist der bisher wärmste Tag des Jahres, gut 20 Grad, das ist viel für eine nordirische Hafenstadt. O’Connor hat Besuch von zwei Wählern, die sich bei ihm über die Renovierung einer Parkanlage erkundigen und beraten, wie man Vandalismus verhindern kann. „Für die Jugendlichen gibt es nicht viel in Larne“, sagt er. Die beiden großen protestantischen paramilitärischen Organisationen, die Ulster Defence Association (UDA) und die Ulster Volunteer Force (UVF), haben deshalb leichtes Spiel. Zwar sind beide im Waffenstillstand, doch sie rekrutieren immer noch Jugendliche ab 14. Zwischen UDA und UVF herrscht eine Rivalität, die in der Vergangenheit oft gewaltsam ausgetragen wurde. Einig sind sie sich in ihrem Hass auf Danny O’Connor.

Als er den Vorhang öffnet, bleiben unten auf der Straße vier Jugendliche stehen und zeigen ihm den gestreckten Mittelfinger. O’Connor muss stets auf der Hut sein. Einmal war er leichtsinnig und ist in der Dämmerung nach Hause gelaufen. Unterwegs, an einem Schnellimbiss, haben sie ihm aufgelauert und ihn zusammengeschlagen.

Larne hat ca. 20.000 Einwohner, ein Viertel davon sind Katholiken. Aber sie leben nicht in ihren eigenen Vierteln wie in den meisten anderen nordirischen Städten, sondern in gemischten Gegenden. Das ist UDA und UVF ein Dorn im Auge. Sie führen eine Terrorkampagne gegen die katholische Minderheit. William McCambridge, einem arbeitslosen Schreiner, haben sie neulich um Mitternacht eine Rohrbombe durch das Wohnzimmerfenster geworfen. Er hatte Glück, er selbst, seine Frau und die vier Kinder blieben unverletzt. „Das passiert täglich, überall in der Stadt“, sagt er. „Menschen werden attackiert, Autos zerstört, Fenster eingeworfen, manchmal fliegt ein Molotowcocktail und nun eine Rohrbombe. Niemand unternimmt etwas dagegen.“ Die Polizei greift nicht ein, die Beamten fürchten Übergriffe.

Der katholische Pfarrer Archie Molloy hat die Hoffnung auf bessere Zeiten aufgegeben: „Ich kann Familien, deren Häuser angegriffen werden, nicht raten, in Larne zu bleiben. Es ist besser, sie ziehen weg.“ Seine Kirche, wie alle katholischen Kirchen, ist von einer hohen Mauer und Stacheldraht umgeben. Die protestantischen Kirchen stehen offen.

Auf einer großen Wiese hinter der presbyterianischen Kirche sind Holzpaletten aufgestapelt. Jugendliche sammeln schon jetzt das Holz für die Freudenfeuer, die in den protestantischen Gegenden Nordirlands am 12. Juli angezündet werden. An diesem Tag vor 311 Jahren besiegte Wilhelm von Oranien seinen katholischen Widersacher und Schwiegervater Jakob II. in der Schlacht am Boyne und sicherte dadurch die protestantische Thronfolge in Britannien.

Die Möbel verbrannt

Neben der Wiese an einer Giebelwand hat jemand ein Porträt von „King Billy“, wie er von den Protestanten genannt wird, gemalt. Der König sitzt auf einem weißen Pferd, darunter stehen die Buchstaben „UDA“. Im Erdgeschoss des Hauses befindet sich ein Zeitungsladen. „Mein Onkel lebte in der Wohnung über dem Laden“, sagt O’Connor. „Eines Tages kam die UDA, jagte ihn davon, schleppte seine Möbel hinaus und verbrannte sie.“ Viele Eingangstüren und Fenster in dieser Straße sind zugemauert, die katholischen Bewohner vertrieben.

Etwas weiter oben, auf dem Hügel, hält O’Connor in einer anderen Sozialbausiedlung an. „Larne könnte eine der schönsten Städte Irlands sein“, sagt er und zeigt hinunter aufs Meer. Am Horizont sieht man die schottischen Berge. Von seinem eigenen Haus in der Churchill Road blickt man auf eine Mauer. Das Haus ist genauso gesichert wie sein Büro. Nach vorn hinaus beobachten vier Kameras die Umgebung, an der Eingangstür sind zwölf Stahlriegel angebracht. „Die Scheiben bestehen aus mehreren Schichten Glas“, sagt O’Connor. Seine Eltern trauen sich kaum noch auf die Straße. „Wir können bei der Hitze nicht mal die Fenster öffnen“, sagt die Mutter, „aber wenigstens im Haus sind wir sicher, hoffen wir.“

Lena, eine Nachbarin, ist zu Besuch. Vor kurzem ist das Zimmer ihrer drei Kinder von der Straße aus beschossen worden, die Kinder sind seitdem verängstigt und gehen nicht mehr zur Schule. O’Connor versucht, Lena ein Sozialbauhaus in einem anderen Viertel zu besorgen. „Das Ausmaß der Bedrohung ist schwer zu ertragen“, sagt er. „Ich mache mir ständig Sorgen um meine Eltern, ich bleibe oft nachts wach und passe auf, dass nichts passiert. Dann bin ich am nächsten Tag müde und muss mich wieder mit den Konfrontationen auf der Straße auseinander setzen.“ Warum wirft er nicht alles hin?

O’Connor stammt aus Larne, er hat sein ganzes Leben dort gewohnt. „Ich komme aus der Arbeiterklasse, ich würde mich als Sozialist bezeichnen“, sagt er. „Früher habe ich dem militanter Gewerkschaftsflügel angehört.“ Damals hat er noch bei Shorts Brothers als Sicherheitsbeauftragter gearbeitet. Die Rüstungsfirma liegt im protestantischen Ostbelfast, Katholiken bekamen damals nur selten Jobs bei Shorts. „Nachdem die Firma 1989 privatisiert wurde, investierten die neuen Eigentümer in die Modernisierung der Anlagen“, sagt O’Connor. „Diese Arbeiten wurden von Fremdfirmen gemacht, die Polizei überprüfte die 400 Arbeiter. Ich musste die Werkspässe ausstellen und die Leute täglich kontrollieren. Einer von ihnen war Joe Reynolds. Drei Jahre lang hat er mich jeden Morgen begrüßt. Eines Tages wurde er vor dem Werkstor erschossen. Der Leichnam wurde mit einem Tuch bedeckt, die Füße schauten unten noch heraus.“ Kurz darauf wurde der Zeitungshändler erschossen, bei dem O’Connor morgens seine Zeitung holte. „Er war gerade zehn Minuten tot, als ich ankam. Ich hatte vorher noch nie einen Ermordeten gesehen, und nun gleich zwei in einer Woche. Ich wollte irgendetwas unternehmen, um dazu beizutragen, dass die Gewalt aufhört.“ Er wandte sich an den SDLP-Chef John Hume, der vor zwei Jahren gemeinsam mit Unionistenchef David Trimble den Friedensnobelpreis bekommen hat.

O’Connor gründete eine SDLP-Filiale in Larne und wurde 1997 in den Stadtrat gewählt, ein Jahr später zog er ins neue nordirische Regionalparlament ein. Nun kandidiert er für das Londoner Unterhaus. Aber er weiß, dass er in seinem Wahlkreis East Antrim keine Chance hat: „Roy Beggs, der Kandidat der Ulster Unionist Party, wird gewinnen.“ Beggs gehört zwar Trimbles Partei an, doch er ist gegen das Belfaster Karfreitagsabkommen, das 1998 geschlossen wurde, um die Krisenprovinz dauerhaft zu befrieden. Nach den Wahlen wird wahrscheinlich eine Mehrheit von Unionisten ins Unterhaus einziehen, die das Abkommen zu Fall bringen wollen. „Es wird keinen Unterschied machen“, glaubt O’Connor. „Vom Londoner Parlament aus können sie nichts gegen das Abkommen unternehmen. In Larne kooperieren die Unionisten im Rathaus ohnehin nicht mit uns.“ Über dem Gebäude wehen der Union Jack und nordirische Fahne. „Das ist eigentlich laut Belfaster Abkommen verboten, aber die Unionisten scheren sich nicht darum“, sagt O’Connor. „Solche Symbole spielen eine große Rolle in Nordirland. Der Union Jack ist auf allen Wahlplakaten der Unionisten aufgedruckt, auf den Sinn-Féin-Plakaten ist es die irische Flagge. Wenn man ihnen die Fahnen wegnimmt, sind sie nackt.“

Ohne Fahnen nackt

Größere Gefahr droht dem Abkommen von Trimbles angekündigtem Rücktritt. Wenn die IRA bis 1. Juli nicht begonnen hat, ihre Waffen auszumustern, will Trimble sein Amt als nordirischer Premierminister niederlegen. Wenn die Hardliner die Unionistische Partei übernehmen, wird es im Belfaster Regionalparlament zugehen wie im Rathaus von Larne. Dann ist das Abkommen nicht mehr zu retten.

O’Connor ist optimistisch: „Es gibt ja keine Alternative. Irgendwann werden die Protestanten die Nase voll haben von ihren Politikern, von den paramilitärischen Organisationen und der ganzen Kriminalität, die dazugehört, wie Drogenhandel, gefälschte Markenartikel, Raub-CDs. Aber Larne wird wohl der letzte Ort in Nordirland sein, wo das geschehen wird.“