PALÄSTINA: DIE STIMMUNG IST ZU GUNSTEN ISRAELS UMGESCHLAGEN
: Arafat muss handeln

Israel erlebte am Freitag den grausamsten Terroranschlag seit Jahren. 20 Teenager kamen ums Leben, über 90 wurden zum Teil schwer verletzt. Dieser Anschlag wurde nicht nur weltweit einhellig verurteilt. Er hat auch dazu geführt, dass Autonomiepräsident Jassir Arafat endlich zum Handeln gegen die islamischen Gruppen gezwungen ist. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer hat dem PLO-Chef mehr als deutlich gemacht, dass die Zeit des Handelns für ihn langsam abläuft. Vorher hatte Fischer in einer noblen Geste den Toten seine Reverenz erwiesen. Ungewollt ist er in eine Vermittlerrolle geraten, die er durch die Verlängerung seines Aufenthalts geschickt spielt.

Israels Premier Ariel Scharon hat derweil nicht gemäß seinem Image gehandelt wie ein Draufgänger. Der Anschlag hat ihn lediglich dazu veranlasst, seine Europareise, die ihn auch nach Deutschland geführt hätte, abzusagen – und Arafat eine Frist zu setzen, innerhalb deren der Palästinenserchef nun zeigen muss, ob er noch Herr seines Inselreichs ist. Scharons Zurückhaltung wird Israel im Westen Sympathien einbringen. Arafat dagegen blieb nur, den Terrorakt öffentlich auf das Schärfste zu verurteilen. Den Schaden, den der Anschlag der palästinensischen Sache zugefügt hat, kann er damit nicht wettmachen. Die Stimmung ist endgültig umgeschlagen – zu Ungunsten der Palästinenser.

Deren Sache wäre am besten durch einen gewaltfreien Widerstand gedient, wie dies einige palästinensische Intellektuelle fordern. Denn die Unterdrückung durch die israelische Besetzung ist so unerträglich geworden, dass allein das Aufzeigen dieses Unrechtes ein viel überzeugenderes Argument wäre als jeder Selbstmordanschlag. Wenn einige islamische Gruppen trotzdem glauben, der Hisbollah nacheifern zu müssen und Israel „libanonisieren“ zu müssen, so liegen sie falsch. Dies würde zum Ende einer palästinensischen Präsenz im historischen Palästina führen. In Israel spricht die politische Klasse offen davon, die zweite Hälfte von 1948 zu vollenden. Der Premier selber sieht die augenblickliche Auseinandersetzung als die Fortsetzung des Kampfes von damals. Der Slogan „Lasst die Armee gewinnen!“ macht deutlich, wohin die Reise für die Palästinenser gehen kann.

Arafat muss also ein Interesse daran haben, der Weltöffentlichkeit klar zu machen, dass der Widerstand seines Volkes nicht die primäre Ursache der Gewalt ist – sondern die Folge von Entrechtung, Demütigung der Palästinenser und der physischen und strukturellen Gewalt Israels. Er hat gute Argumente: Wer in einem Friedensprozess die Gebiete in A-, B- und C-Zonen einteilt; wer einer Bevölkerung 40 Prozent ihres eigenen Landes anbietet, während er selber 60 Prozent behält; wer winzige Streifen Landes in ein Hochsicherheitsgefängnis verwandelt und sie zusätzlich noch in „gelbe, weiße, blaue und grüne Gebiete“ einteilt; wer 6.000 Siedlern 40 Prozent dieses Streifens überlässt und über eine Million Menschen zu Gefangenen und Sklaven degradiert; wer ein separates Straßensystem im Westjordanland errichtet, 30 neue Siedlungen baut, 1.300 Häuser zerstört, die Zahl der Siedler im Friedensprozess verdoppelt; wer permanent Gebiete abriegelt und den Bewohnern ihr Wasser stiehlt, ihre Landschaft und Umwelt verwüstet und, wenn die Menschen dies alles nicht hinnehmen wollen, gegen sie zu guter Letzt mit Panzern, Kampfhubschraubern und F-16-Kampfflugzeugen vorgeht ... – der braucht sich nicht zu wundern, wenn sich die betroffene Bevölkerung wehrt.

Gibt es einen Ausweg aus dem augenblicklichen Dilemma? Politische Vorschläge für eine Wiederannäherung der beiden Seiten liegen mit dem Mitchell-Bericht und der ägyptisch-jordanischen Initiative auf dem Tisch. Ob sie sich umsetzen lassen und ob die Umsetzungen auch eingehalten werden, ist jedoch eine andere Frage. Die Gewalt auf beiden Seiten könnte durch eine internationale, bewaffnete Schutztruppe unter UN-Leitung eingedämmt werden. Sie könnte auch die Kontrolle über die Grenzen des Gaza-Streifens und des Westjordanlandes übernehmen. Israels Besatzungstruppen könnten sich so schrittweise aus den besetzten Gebieten zurückziehen und somit die Bedingungen der UN-Resolution 242 erfüllen.

Bei aller Sympathie für Israel: Der Westen sollte in Palästina größtes Interesse an der Umsetzung des Völkerrechts haben. Denn damit käme man einer Lösung wesentlich näher. LUDWIG WATZAL

Politologe & Nahostexperte. Homepage: www.watzal.com