DieWahrheit hochzerren

Sara Mendéz spricht in der Werkstatt 3 über die Verschwundenen der Militärdiktaturen in Argentinien und Uruguay  ■ Von Theo Bruns

Mitte der 70er Jahre herrschten in sechs Ländern des lateinamerikanischen Südkegels Militärdiktaturen. In gemeinsamen Kommandos machten sie Jagd auf Oppositionelle und Regimegegner. „Operation Condor“ war der Name für die länderübergreifende Repression. Sie erwies sich bald als eine Internationale des Staatsterrorismus: Insgesamt 30.000 Verschwundene gab es allein in Argentinien, jeder fünfte Einwohner Uruguays wurde inhaftiert und gefoltert. Eines der bedrückendsten Kapitel jener Epoche ist das der verschwundenen Kinder. Ein Fall, der unter anderem durch das Buch des österreichischen Schriftstellers Erich Hackl international bekannt wurde, ist das Schicksal von Sara und Simon.

Sara Méndez, eine junge Aktivistin der Anarchistischen Föderation Uruguays, geriet Anfang der 70er Jahre in das Visier der Repressionsorgane und flüchtete in das benachbarte Argentinien. Doch 1976 putschten auch hier die Militärs. Sara, die damals im neunten Monat schwanger war, ging in den Untergrund und brachte dort einen Sohn zur Welt. Auf den Namen ihres falschen Passes wurde er ins Geburtsregister eingetragen: Simón Riquelo.

Zwanzig Tage später stürmte ein vom uruguayischen Major Gavazzo angeführtes Kommando die Wohnung in Buenos Aires. Sara Méndez wurde von ihrem Kind getrennt und in die berüchtigte Folterwerkstatt Automotores Orletti verschleppt. Ein Todesurteil.

Ihr Überleben „verdankt“ sie einem makabren Einfall der uruguayischen Militärs: Um der Weltöffentlichkeit das Fortdauern der „subversiven Gefahr“ zu beweisen, wurde Sara zusammen mit zwanzig weiteren Gefangenen heimlich nach Uruguay zurückgebracht und in eine Villa gesteckt. Die „Terroristenhöhle“ wird in einer fingierten Polizeiaktion umzingelt; später wurde dies der staunenden Öffentlichkeit als Fahndungserfolg präsentiert. Sara Méndez wurde bald darauf von einem Militärgericht verurteilt und verbrachte viereinhalb Jahre Haft im Frauengefängnis Punta de Rieles. Seit ihrer Haftentlassung im Jahr 1981 ist sie nun auf der Suche nach ihrem verschwundenen Sohn, der mit hoher Wahrscheinlichkeit von Militärs oder Polizisten als „Kriegsbeute“ adoptiert wurde. Ihr Fall ist inzwischen zu einem Symbol für die Suche nach den Verschwundenen der Militärdiktatur geworden. Sara Méndez ist zudem eine der wenigen entführten Mütter, die überlebt hat. Und sie kennt die Namen der Entführer: José Nino Gavazzo und sein Vorgesetzter im militärischen Geheimdienst Juan Antonio Rodríguez Buratti. Beide leben unbehelligt im Ruhestand in Uruguay. Ihr oberster Dienstherr, der uruguayische Präsident Jorge Batlle, hat nun eine Kommission eingesetzt, die das Schicksal der Verschwundenen aufklären soll. Dem argentinischen Dichter Juan Gelman gelang es kürzlich, die Tochter seines ermordeten Sohnes in Montevideo ausfindig zu machen. Sara Méndez' Sohn Simón aber bleibt bis heute verschwunden.

Erst vor wenigen Tagen demonstrierten 70.000 Menschen in Montevideo, um des 25. Jahrestages der Entführung und Ermordung zweier uruguayischer Parlamentarier, Zelmar Michelini und Gutíerrez Ruiz, in Argentinien zu gedenken. Ihre Losung: „Die Wahrheit lässt sich nicht entführen, die Erinnerung nicht verbieten.“ Die Erinnerung aber ist ein umkämpftes Terrain. Bis heute sichern Amnestiegesetze die weitgehende Straffreiheit der Mörder in Uniform. Seit den Ermittlungen des spanischen Richters Garzón und der Verhaftung Pinochets in London ist allerdings Bewegung in die Angelegenheit gekommen. Es ist, als wäre endlich eine jahrelange Lähmung verflogen.

Auch in der Bundesrepublik laufen Ermittlungsverfahren wegen der in Argentinien verschwundenen deutschstämmigen BürgerInnen. Die damalige Bundesregierung hatte – wie im Fall Elisabeth Käsemann – nichts zu ihrer Rettung unternommen. Die Komplizenschaft beschränkte sich allerdings nicht auf die Politik. Denn es verschwand auch der gesamte Betriebsrat von Mercedes Benz Argentina während der Militärdiktatur. Alle Indizien deuten darauf hin, dass er von der Werksleitung an die Militärs ausgeliefert wurde.

Die Suche nach Simón ist ein Kampf gegen das Vergessen, der durchaus Berührungspunkte mit bundesrepublikanischen Verhältnissen hat.

Im Rahmen einer Europareise spricht Sara Mendéz am Donnerstag, 7. Juni, um 19.30 Uhr in der Werkstatt 3.