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: Béla Guttmann, fußballerischer Weltumsegler

Von Hakoah zu Benfica

Manchmal liegt ein ganzes Leben in zwei banalen Bananenkartons. Aber in diesen Behältnissen, die in einem verstaubten Wiener Antiquariat vor ihm standen, das wusste Auktionator Wolfgang Fuhr, verbarg sich keine normale Biografie. Es war die Hinterlassenschaft von Béla Guttmann, einer Institution des modernen Weltfußballs. Heute wird dieser Nachlass in Kassel versteigert.

An Guttmann lässt sich der internationale Aufschwung dieses Sports ablesen. Als er 1899 in Budapest geboren wurde, existierten dort schon 63 Fußballvereine. Guttmann avancierte in der verspielten Kultur des „Donaufußballs“ – dabei kam ihm sein mit 16 Jahren erworbenes Tanzdiplom zugute – schnell zu einem eleganten Mittelläufer. Seine ausgefeilte Technik ließ ihn bald Profi werden; bereits als 17-Jähriger wechselte er zu MTK Budapest, einem von jüdischen Kaufleuten geförderten Spitzenverein.

Auch Guttmann war Jude, und als er trotz eines Länderspieleinsatzes 1921 gegen Deutschland keinen Stammplatz ergattern konnte, ging er zur Hakoah nach Wien. „Hakoah“ ist hebräisch und heißt so viel wie „Kraft“. Keine zufällige Bezeichnung, denn mit aller Kraft wollte der Verein gegen antisemitische Vorurteile vom körperlich unterlegenen Juden antreten. 1925 gewann Hakoah die Meisterschaft, angeführt vom begnadeten Spielmacher Guttmann, der ein Viertel des gewiss nicht kleinen Etats kassierte. Ein großer Titel, in Wien schlug schließlich das Fußballherz des Kontinents.

Es war jene Epoche, in der sich der Fußball internationalisierte. Mittendrin in diesem pulsierenden Prozess bewegte sich Guttmann und knüpfte überall Kontakte. Denn die berühmte Fußballelf unternahm viele Tourneen, sie spielte in Palästina, Rumänien, Polen, Lettland, Litauen und England. Nach Auftritten in Berlin schrieb das Fachorgan Fußball beeindruckt, Hakoah habe „das Märchen von der körperlichen Minderwertigkeit der Juden vernichten geholfen“, und schwärmte von der Fairness der Wiener.

Von einer Reise kehrte Guttmann nicht zurück; nach Zuschauerrekorden bei Spielen Hakoahs in den USA, die bis zu Pelès und Beckenbauers Zeiten bei Cosmos New York halten sollten, hatten ihm die New York Giants ein gutes Angebot unterbreitet. Dass das Niveau mit Mitteleuropa nicht zu vergleichen war, scherte Guttmann wenig; er verstand Fußball ohnehin mehr als profitablen „Wanderzirkus“ – eine wegweisende Auffassung in einer Zeit, in der das spießige Fußballdeutschland noch diskutierte, ob man mit Sport überhaupt Geld verdienen dürfe.

1932 kehrte Béla Guttmann nach Wien zurück. Hugo Meisl, der Betreuer des legendären österreichischen „Wunderteams“, vermittelte den ersten großen Trainerjob. Nach Erfolgen in Enschede ging er zu Ujpest Budapest, das unter anderem den „Mitropa-Cup“, den Vorläufer des Europapokals, gewann. Der meisterhafte Psychologe Guttmann (Motto: „Kuscht der Star, kuscht die Mannschaft.“) genoss im Sommer 1939 seinen Status als europäischer Fußballkönig. Dann kam der Krieg. Was mit Guttmann geschah, geht auch aus einer 1964 erschienenen Biografie nicht hervor: „In diesen Jahren musste Guttmann nicht mehr und nicht weniger ertragen, als die vielen Millionen seiner europäischen Zeitgenossen“, heißt es dort lakonisch.

Nach 1945 ging Guttmann jedenfalls zu Vasas Budapest, das, wichtig in der Nachkriegsära der „Kartoffelspiele“, glänzende Kontakte zur Lebensmittelindustrie besaß. Nach einem Zwischenstopp bei Ciocanul Bukarest, Nachfolger des 1940 verboten jüdischen Klubs, kam er 1947 zurück zu Ujpest, dem Heimatverein. Nebenbei trainierte er die Nationalmannschaft. Dann begann seine erneute fußballerische Weltumsegelung: Auf Kispest Budapest folgten Engagements in Italien (AC Padua, AC Triest, AC Mailand, Lanerossi Vicenza), Argentinien (Boca Juniors), Zypern (Apoel Nikosia), bei Honved Budapest, FC São Paulo, FC Porto, Benfica Lissabon, Peñarol Montevideo, Servette Genf und Panathinaikos Athen.

Seine Teams gewannen insgesamt 17 nationale Titel. Weltberühmt als Trainer aber machten den Kosmopoliten die beiden Europapokalsiege mit Benfica Lissabon. Vor allem das mit 5:3 gewonnene Finale 1962 gegen Real Madrid, mit dem zauberhaften Eusebio in der Hauptrolle, prägte sich ein in das kollektive Fußballgedächtnis.

Doch Béla Guttmanns Biografie zeugt von weit mehr als nur banalen Fußballdingen. Seine Herkunft, der Drang Hakoah Wiens nach Anerkennung, die kommerzielle Auffassung vom Fußball als Massensport und das von ihm verkörperte Konzept der Internationalität künden von vielen anderen Welten: Es war ein in jeder Hinsicht modernes Leben, das der Fußballer Béla Guttmann führte. 1981 ist er gestorben. Die Sozialgeschichte des Fußballs wird sein Leben vermutlich nie würdigen können. Denn bald ist das, was davon übrig ist, die Postkarten, Medaillen und Briefe eines Fußballverrückten, in alle Winde verstreut.

ERIK EGGERS