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■ Über die soziologischen Folgen von Stadtplanung: Der Berliner taz-Autor Jochen Becker liest heute im Freizi Friese aus seinem Buch „Bigness?“

Noch immer gilt die Marktwirtschaft als passive Reaktion auf gewandelte Konsum- und Freizeit-Wünsche der Menschen, wert- und ideologiefrei: Die Leute wollen billig und schnell einkaufen? Gut, gebt ihnen Shoppingmails. Die Leute wollen Events? Okay, lasst uns ein paar Musicaltheater und Erlebnisparks hochziehen. Allenfalls im System Werbung ist man bereit, ein Herummanipulieren an unseren Werte-, Alltags- und Freizeitgestaltungen einzugestehen.

Jochen Becker misstraut dieser Idee, derzufolge die Mentalität der Menschen die Ursache und die Stadtarchitektur die Wirkung ist. In dem von ihm herausgegebenen Buch „Bigness?“ wird gezeigt, wie die Wirtschaft gezielt private Lebensabläufe und gesellschaftliche Strukturen umdefiniert.

Das Extremstbeispiel Oberhausen, wo auf dem Areal der ehemaligen „Gute-Hoffnung-Hütte“ mitten im Zentrum eine Einkaufsarchitektur unter ausschließlich ökonomischen Gesichtspunkten hochgezogen wurde, dient als „Blaupause“ ebenso wie Rem Koolhaas' Idee eines gigantischen Verkehrknotenpunkts als Stadtzentrum im französischen Lille.

Da der fleißige (freie) taz-Autor eine substanzielle Hinterfragung der neuen „Bigness“ weniger im Wissenschaftsbetrieb, sondern eher in NGOs lokalisiert, lässt er in seinem Buch jede Menge kleiner Initiativen zu Wort kommen, unter anderem drei aus Bremen. Sie haben sich in den letzten Jahren mit Veranstaltungsreihen und Ausstellungen in der „Gesellschaft für aktuelle Kunst“ (GAK), im Atrium und im Schlachthof mit der geplanten Videoüberwachung von Tenever und Sielwalleck auseinandergesetzt oder mit den Schwarzen Sheriffs, die Einkaufspassagen „clean“ halten von Obdachlosen und anderen Störenfrieden luxuriösen Einkaufsgefühls. „city.crime.control“ (c3) ist eine davon.

Anlass dieses Zusammenschlusses von Leuten von „Chance 2000“, Freizi Friese, ZAKK und der überregionalen Plakatgruppe Loesje war eine Winzigkeit: Als vor ein paar Jahren im Viertel das wilde Plakatieren untersagt wurde, um das Erscheinungsbild des Viertels zu schönen und Werbefläche effektiver zu vermarkten, bemerkte c3, dass damit die Existenzbedrohung subkultureller Veranstaltungen einherging.

Auch andere architektonische Maßnahmen haben oft verborgene soziologische Folgen: Die Marmorisierung der Innenstädte zementiert (im Verein mit dem billigen sozialen 70-er-Jahre-Wohnungsbau an den Rändern) zunehmend jene Klassengesellschaft, die es angeblich gar nicht mehr geben soll.

Doch es sind auch andere Modelle einer in Architektur gegossenen Zweidrittelgesellschaft möglich. Die logische Ergänzung der zunehmend rechts- und polizeifreien Großstadt-Slums in den USA bildet die „Disney-eigene Stadt-Celebration, in der unter strengem Reglement kleinstädtisches Idyll gelebt wird“ (c3). bk

Zur c3-Veranstaltung heute (20 Uhr) in der Friesenstr. 110 kommt neben Jochen Becker auch Madeleine Bernsdorff. Sie zeigt Kurzfilme zum Thema, die für das Kurzfilmfestival Oberhausen entstanden sind. Weitere Infos unter www.citycrimecontrol.net/bigness