Europa will auf Sendung gehen

Mit dem von der Europäischen Union vorgeschlagenen Satellitennavigationssystem Galileo würde sich die Gemeinschaft einen Zukunftsmarkt sichern

von JENS UEHLECKE

„Und sie bewegt sich doch“, soll der italienische Astronom Galileo Galilei gemurmelt haben. Damals, im Jahre 1633, nach einem Vortrag vor der versammelten römischen Elite, war es ihm trotz handfester Belege nicht gelungen, Wissenschaftler und Kirchenleute davon zu überzeugen, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Stattdessen erntete Galilei Hohn und Spott und wurde als weltfremder Fantast verbannt.

Ein ähnliches Schicksal droht dem nach dem italienischen Wissenschaftler benannten Satellitennavigationssystem der Europäischen Union. Zwar gaben die zuständigen EU-Verkehrsminister bei ihrem letzten Treffen im April den Startschuss für das rund 6,4 Milliarden Mark teure Galileo-Projekt und wollen sich heute in Luxemburg über die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens einigen. Doch steht die Finanzierung des ehrgeizigen Vorhabens noch in den Sternen. EU und die europäische Raumfahrtagentur ESA wollen nur 3,4 Milliarden Mark der Kosten übernehmen – die restlichen 3 Milliarden Mark sowie ab 2008 jährlich 440 Millionen Mark für den Betrieb soll die Privatwirtschaft zuschießen. Schließlich werde diese ja auch am meisten davon profitieren, argumentieren die Minister. Da sich die Industrie jedoch bislang nicht sonderlich begeistert zeigt, läuft das Galileo-Programm Gefahr, ein Produkt der Fantasie zu bleiben.

Dabei spricht einiges dafür, dass Galileo den Europäern dereinst volkswirtschaftliche und sicherheitspolitische Vorteile bringen wird. Das Institut für Wirtschaftsforschung (ifo), die Münchner Bundeswehruniversität sowie die Stiftung Wissenschaft und Politik argumentieren in einer gemeinsamen Studie, dass sich Europa mit den geplanten 30 Satelliten den Weg in einen neuen High-Tech-Markt ebnen und auch noch 100.000 Arbeitsplätze schaffen könnte. Galileo würde sich in eine Serie erfolgreicher Entwicklungen wie die Trägerrakete Ariane oder die Airbus-Flotte einreihen.

Kritiker halten dagegen, Galileo sei überflüssig, da im Orbit bereits zwei funktionierende Satellitennavigationssysteme existieren, deren Positionssignale zudem noch völlig kostenlos genutzt werden könnten. Doch verschweigen sie gern, dass sowohl das amerikanische GPS als auch das russische Glonass unter der Kontrolle von Militärs stehen. Und: Sowohl Amerikaner als auch Russen wollen nicht garantieren, dass ihre Satelliten auf Dauer kostenlos funken. Ganz im Gegenteil, es ist sogar zu befürchten, dass die Militärs im Falle regionaler Krisen, wie zum Beispieldes Kosovo-Konflikts, die Signale absichtlich verfälschen oder das System teilweise abschalten.

Das aber wäre fatal: Vor allem GPS ist mittlerweile zum unverzichtbaren Bestandteil des zivilen Lebens geworden. So berechnen etwa Verkehrsflugzeuge mit Satellitenhilfe ihre Position, moderne Autonavigationssysteme kalkulieren die schnellste Route zum nächsten Supermarkt, und so mancher Pfadfinder verlässt sich auf seinen Wanderungen durch unbewohnte Gebiete auf die Technologie made in USA. Gerade weil es kostenlos und zuverlässig ist, wird GPS immer beliebter. Wer seine Koordinaten auf dem Globus bestimmen will, benötigt dafür nur einen entsprechenden Empfänger, der wenige hundert Mark kostet, und Funkkontakt zu mindestens drei Satelliten. Deren Signale wertet das Gerät aus und bestimmt daraus in Sekundenbruchteilen die genaue Position – auf 25 Meter genau.

Es ist also nicht verwunderlich, dass die EU-Kommission schon seit Jahren darauf pocht, Europa mit einem eigenen Navigationssystem aus dem Klammergriff amerikanischer Technologie zu befreien. Ihr Kalkül: Erstens wird dem Weltmarkt für solche Systeme eine blühende Zukunft prognostiziert. Vor allem durch das Zusammenwachsen von Mobiltelefon- und Navigationsanwendungen erwartet die Kommission einen „spektakulären Wachstumsschub“. Zudem soll Galileo genauer als GPS sein und den Europäern damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Zweitens wird das Risiko kostspieliger. Schon 2015, so eine Modellrechnung der Kommission, würde eine nur wenige Tage dauernde Abschaltung von GPS Europa rund eine Milliarde Mark kosten. Und drittens würde Europa auch sicherheitspolitisch wesentlich unabhängiger.

Fehlt also nur noch das Geld. Der im April verabschiedete Finanzplan sieht vor, dass interessierte Firmen sich bis Dezember an den Ausschreibungen beteiligen müssen. Dass die Wirtschaft sich wunschgemäß einbringen wird, ist aber fraglich. Zwar hatte Kommissionspräsident Romano Prodi beim vorletzten EU-Gipfeltreffen in Stockholm kurzfristig eine erste Zusage über immerhin 390 Millionen Mark aus dem Hut gezaubert. Doch bei genauem Hinsehen verwundert dies nicht: Die Zusagen stammen aus der europäischen Raumfahrtindustrie, die auf Aufträge zum Satellitenbau hofft. Autohersteller, Handyproduzenten, Mobilfunkunternehmen und die Luftfahrtindustrie winken hingegen ab und verweisen auf das bestehende GPS.

Entsprechend zurückhaltend verhalten sich noch die europäischen Verkehrsminister. Im April gaben sie zunächst nur 200 Millionen Mark für die Entwicklung von Galileo frei. Mehr Geld soll erst im Dezember fließen, wenn klar ist, inwieweit die Wirtschaft sich beteiligt. Aber auch wenn von privater Seite zu wenig Geld fließen sollte, hieße das nicht, dass Galileo endgültig scheitert. Zwar würde das Projekt dadurch stark verzögert, doch bekämen wahrscheinlich wieder Länder wie Italien und Frankreich Auftrieb, die schon länger ausschließlich öffentliche Finanzierung favorisieren, um das Navigationssystem militärisch weiter ausbauen zu können. Dann kämen Galileo und seine Befürworter, wie sein Namensvetter, doch noch zu spätem Ruhm.