Selbsthilfe für Exkriminelle

Die PDS ist keine normale Partei, sondern steht immer noch in der SED-Tradition. Sie darf nicht mitregieren; das würde die Aufarbeitung der Vergangenheit verhindern

Die politische Linke muss sich konsequent auf die Seite der Opfer der kommunistischen Regime stellen

Sozialdemokraten und Grüne in Berlin – unterstützt von ihren Parteizentralen – machen einen großen, möglicherweise sehr folgenreichen Fehler. Zu Recht kritisieren sie die politische Rechte, die aus allzu offensichtlichen Gründen die PDS dämonisiert – doch lassen sie dem eine völlig falsche Analyse der SED-Nachfolger und ihres großen Einflusses in den fünf neuen Bundesländern folgen. Mit der Ankündigung, Gysis schillernde Truppe möglicherweise in eine rot-rot-grüne Koalition in Berlin einzubeziehen oder sich von ihr dulden zu lassen, verhelfen sie dieser Regionalbewegung von Unrechts-Aufarbeitungssaboteuren zu politischer Anerkennung. Dies diskreditiert nicht nur den Begriff des demokratischen Sozialismus, sondern kann auch der Demokratie Schaden zufügen.

Natürlich handelt es sich bei der PDS nicht um „rotlackierte Faschisten“, wie Helmut Kohl kürzlich meinte. Eine demokratische Linke hat gute Gründe, solcherlei Gleichsetzungsdemagogie zurückzuweisen – und den um ein Comeback ringenden Verfassungsbrecher und Angela Merkels CDU an ihre eigenen Sünden zu erinnern. Allerdings ist die PDS auch keine gewöhnliche kommunistische Partei, die sich etwa mit den Kommunisten in Spanien, Italien und Frankreich vergleichen ließe. Die alten PDS-Kader haben nicht nur in jungen Jahren die Moskauer Schauprozesse gelobt, Stalin gehuldigt, die Niederschlagung des 17. Juni 1953 gerechtfertigt und alle folgenden Emanzipationsversuche in den Diktaturen sowjetischen Typs verurteilt. Und sie trauern auch nicht nur bisweilen bierselig ihren großen Zeiten nach. Sie waren – im Unterschied zu ihren westeuropäischen Bündnispartnern – die Täter eines der menschenrechtsfeindlichen Regime Osteuropas. Über Rechtsanwalt Gysi stellte der Immunitätsausschuss des Bundestags 1998 fest, er habe „in der Zeit seiner inoffiziellen Tätigkeit Anweisungen seiner Führungsoffiziere über die Beeinflussung seiner Mandanten [z. B. Robert Havemann; M. J.] ausgeführt und über die Erfüllung seiner Arbeitsaufträge berichtet.“ Der alte Kaderstamm der PDS repräsentiert nicht lediglich eine Ansammlung politisch gescheiterter, verwirrter alter Männer. Es ist auch ein Selbsthilfeverein ehemaliger politischer Krimineller, die man gegen ihren Willen von der Macht trennen musste und die sich heute programmatisch als linke Sozialdemokraten präsentieren: Wölfe im Schafspelz.

Die Okkupation des Staatsapparates, die Abschaffung der Gewaltenteilung, die Verwandlung aller Parteien, Gewerkschaften und kulturellen Vereinigungen in Transformationsriemen der herrschenden Partei, die beständige „Säuberung“ dieser Organisationen von Querköpfen, die fast vollständige Zerschlagung oder Paralyse aller sozialen, kulturellen und politischen Kommunikationszentren außerhalb der SED, die Mauer, der ökonomische Ruin der DDR und nicht zuletzt die konsequente Ablehnung der politischen, justiziellen und moralischen Haftung für die Verbrechen des Nationalsozialismus – das alles geht nicht nur ideell, sondern faktisch auf das Konto dieser Kader.

Sie erkennen lediglich die Existenz politischer Verbrechen in der DDR an, aber sie sind bis heute nicht bereit. die SED-Diktatur insgesamt als Unrechtsregime anzusehen. Damit haben die ehemaligen Kader die Staatsmonopolpartei nicht aufgelöst, sondern nur umgegründet und umbenannt. Sie wollen so zum Ausdruck bringen, dass der Sozialismus, den sie praktizierten, nicht ein Projekt verdorbener Greise war, sondern lediglich einige Fehler aufwies.

Eine demokratische Linke, die etwas auf sich hält, kann dies nicht durchgehen lassen – auch wenn sie die Überwindung privatkapitalistischer Systemstrukturen für erstrebenswert hält, und nicht für ein verwerfliches Projekt an sich. Wer die Verteidigung der Menschenrechte auf seine Fahnen geschrieben hat, muss sich konsequent auf die Seite der Opfer der osteuropäischen Regime stellen. Dies gilt auch dann, wenn er – wie Sozialdemokraten und Grüne dies in den 70er- und 80er-Jahren aus sehr guten Gründen gemacht haben und auch heute tun – den Dialog mit diktatorischen kommunistischen Parteien und Regime befürwortet. Eine solche Linke muss nicht allen politischen Vorschlägen der Opfer folgen, muss aber lernen, die Welt der kommunistischen Regime durch ihre Augen zu sehen und sich zum Anwalt ihrer Ansprüche machen. Hier wird jedoch gleich erkennbar, was Sozialdemokraten und Grünen gegenwärtig fehlt. Beide Parteien haben einen Teil ihres historischen Gedächtnisses betäubt, wenn nicht gar abgestoßen. Die sozialdemokratischen Opfer der SED haben keine Stimme in der SPD, und bei den Grünen spielen die ostdeutschen Bundesgenossen aus der kleinen DDR-Opposition der 70er- und 80er-Jahre kaum noch eine Rolle. Vertreter von SED-Opfern fühlen sich darüber hinaus auf Tagungen der CDU mit ihren Erfahrungen eher angenommen als bei Sozialdemokraten und Grünen. Für ihren Kulturkampf gegen Rot-Grün instrumentalisiert die Rechte ungeniert die Erfahrungen der Opfer der SED-Diktatur, weil die Linke ihre Zuständigkeit dort bislang nicht zeigt. Sie hat es noch nicht einmal vermocht, den Umstand zu skandalisieren, dass die politische Rechte ja längst ihren Frieden mit einem Teil der SED-Diktatur gemacht hat – mit der CDU (Ost) nämlich, dem SED-Transmissionsriemen im kirchlichen Milieu.

Darüber hinaus scheinen Sozialdemokraten und Grüne zunehmend der Meinung zu sein, dass für die SED-Kader kein anderes Maß als für die Nazitäter gelten solle, die ja schließlich auch von der Bundesrepublik integriert worden seien – zumal sich der menschenverachtende Charakter des Nationalsozialismus gar nicht mit jenem der SED-Diktatur vergleichen lasse.

Die politische Rechte hat ja längst ihren Frieden mit einem Teil der SED-Diktaturgeschlossen

Die selbstexkulpatorische Gleichsetzung von Nationalsozialismus und DDR wird von der demokratischen Linken völlig zu Recht zurückgewiesen. Vergessen jedoch scheint, wie lange es nach der Integration der Nazitäter dauerte, bis überhaupt angefangen wurde, den Nationalsozialismus justiziell und moralisch aufzuarbeiten. Wie lange mussten die überlebenden NS-Opfer die leugnenden und verharmlosenden Reden der überlebenden Täter und ihrer Nachfahren ertragen? Diese Lektion wäre durchaus übertragbar: Demokratie funktioniert nicht ohne die Aufarbeitung des Unrechts.

Der große Erfolg der PDS in den neuen Ländern beruht darauf, dass sie den vielen Lehrern, Gewerkschaftern, Polizisten, Ärzten, kurz dem weiterwurstelnden Personal der untergegangenen arbeitsteiligen Diktatur unter dem Motto „Anerkennung der Lebensleistungen“ die Argumente liefert. An der Macht beteiligt wird sie das tun, was ihre Kader, aber auch viele ihrer Wähler erwarten: Schluss mit der Aufarbeitung, Schluss mit den Finanzen für Opferverbände. Dies schadet der Idee einer demokratischen Linken und der Demokratie insgesamt. Eine rot-grün-gelbe Koalition in Berlin wäre wünschenswert, eine rot-rot-grüne darf es nicht geben.MARTIN JANDER