Superrendite oder Verlust?

Kapitalanlage und der Faktor Demographie: Womöglich werden die heutigen Aktienkäufer im Alter ihre Wertpapiere nicht wieder los. Die alternde Bevölkerung schafft keinen Nachschub an Käufern

von BIRGIT BOSOLD

Mit der Rentenreform wurde das bisher weitgehend umlagefinanzierte Alterssicherungssystem in Deutschland um eine kapitalgedeckte Komponente ergänzt. Damit will man dem sich abzeichnenden Kollaps der gesetzlichen Rentenversicherung begegnen. Dieses Finanzierungssystem, das auf einem fiktiven Generationenvertrag basiert, bei dem die Erwerbstätigen die Rentner finanzieren, gerät wegen der sich zunehmend umkehrenden Alterspyramide an seine Grenzen. Während 1992 noch zwei Arbeitnehmer einen Rentner finanzierten, wird es im Jahr 2030 nur noch einer sein.

Doch auch das jetzt angestrebte kapitalgedeckte Vorsorgesystem ist diesen demographischen Risiken ausgesetzt, die es gerade zu kompensieren sucht. Gerät man also womöglich vom Regen in die Traufe? Darauf zumindest weist eine Studie der Hypovereinsbank hin. In einer – aus demographischer Sicht – alternden Gesellschaft verschlechtert sich nämlich nicht nur bei den staatlichen Sicherungssystemen das Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern, sondern auch das Verhältnis von „Sparern“ zu „Entsparern“ auf den Kapitalmärkten – jenen also, die ihre gesparten und angelegten Gelder irgendwann dem Kapitalmarkt entziehen. Während in der Erwerbsphase mit zunehmendem Alter und Einkommen die Sparquote steigt, nimmt sie bei näher rückendem Ruhestand ab. Im Rentenalter kommt sie dann nicht nur zum Erliegen, sondern das ersparte Vermögen wird aufgelöst und konsumiert.

Dieser Zyklus könnte in Anbetracht der demographischen Entwicklung der nächsten Jahrzehnte unangenehm werden für die heute noch erwerbstätige und sparende, später dann ihre Ersparnisse auflösende Generation der Baby-Boomer. Besonders die Aktienmärkte, die ja für den Aufbau der privaten Altersvorsorge eine zunehmend wichtige Rolle spielen, sind nicht nur von konjunkturellen Zyklen, sondern auch von solchen demographischen Entwicklungen und von dem auf Lebenszyklen basierenden Anlegerverhalten abhängig. So, wie sie schon im Kindergarten, in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt immer „zu viele“ waren, werden die Baby-Boomer „im Alter die Erfahrung machen, dass alle gleichzeitig ihr angespartes Kapitel versilbern wollen“, lautet die düstere Prognose der Bank-Studie. Doch werde es demgegenüber immer weniger Käufer geben, denen sie ihre Wertpapiere verkaufen könnten. Während heute auf einen dieser „Entsparer“ jenseits der 60 noch etwa 1,7 „Sparer“ kommen – die Nachfrage übersteigt aus Sicht der Verkäufer also das Angebot –, wird sich dieses Verhältnis bis 2040 ausgleichen. Folge: fallende Aktienkurse mangels Nachfrage und damit sinkende Renditen.

Ein vom Bundesverband Deutscher Investment-Gesellschaften (BVI) in Auftrag gegebenes Gutachten des Hannoveraner Professors Stefan Homburg behauptet indes genau das Gegenteil. Die demographischen Änderungen belasteten die Renditen der Kapiteldeckung „so gut wie gar nicht“. Es gebe keine Hinweise darauf, so Homburg, dass Kapitalrenditen in einer wachsenden Volkswirtschaft negativ würden. Die Produktivität des Kapitals liege auf Dauer über den Wachstumsraten des Sozialprodukts – deshalb werfe das Kapitaldeckungsverfahren im Rentensystem auch langfristig höhere Renditen ab als das Umlageverfahren. Das gelte schon für geschlossene Volkswirtschaften, und erst recht für eine offene, international verflochtene Volkswirtschaft wie die der Bundesrepublik. Das Kapital der deutschen „Entsparer“ könnte in demographisch junge Volkswirtschaften mit hohen Wachstumspotenzialen – wie die Lateinamerikas oder Asiens – transferiert werden und somit die hiesigen Kapitalrenditen stabilisieren.

Diesen Gedanken nimmt auch die Studie der Hypovereinsbank auf. Gleichzeitig verweist sie aber auf erhebliche Risiken. So habe die Asienkrise 1998 gezeigt, dass die Aufnahmefähigkeit dieser Länder für Kapital zwar sehr hoch sei. Das garantiere aber nicht, dass dort auch rentable Investitionsmöglichkeiten vorhanden wären. Vielmehr hätten die exzessiven Kapitalzuflüsse sogar die wirtschaftliche Stabilität jener Region gefährdet.

Was also tun? Nie wieder Aktien kaufen, sondern doch lieber – wie seit altersher – fürs eigene Häuschen bausparen? So ähnlich lautet jedenfalls der Rat der Hypovereinsbanker. „Logische Konsequenz“ sei es, in solche Aktienwerte zu investieren, die langfristig von der Alterung der Gesellschaft profitieren, also Pharma, Biotech, Medizintechnik, aber auch Lifestyle und Freizeit sowie Finanzdienstleistungen. Außerdem könnte die Bildung von „Realkapital“ – sprich Immobilien zur Eigennutzung – wieder zum wichtigen Bestandteil der privaten Vorsorge avancieren. Und hier trifft der bei der Bewertung der BVI-Studie häufig angeführte Hinweis, die Investmentgesellschaften seien Hauptprofiteure der privaten Vorsorge, ebenso auf die Hypovereinsbank zu: Schließlich ist eines ihrer wichtigsten Geschäftsfelder – wie der Name ja schon verrät – die Immobilienfinanzierung.

Der Anleger steht also – wenn er neben dem täglichen Marktrisiko bei Wertpapieren auch das demographische Risiko berücksichtigen will – noch immer vor der Frage: „Was ist zu tun?“ Die Studie der Hypovereinsbank weist darauf hin, dass wir als „alternde Gesellschaft“ in einer historisch völlig neuen Situation stehen: Es gibt schlechterdings keine Erfahrungswerte darüber, wie sich demographische Entwicklungen tatsächlich auf die Kapitalmärkte auswirken. Ebenso wenig weiß man, wie sich die demographisch jungen „Schwellen-Märkte“ entwickeln, welches Potenzial etwaige neue Superindustrienationen wie China, Indien oder Lateinamerika wirklich entfalten können.

Weil man das aber nicht weiß, bleibt für den braven Anleger nur – wie gehabt – der Rat: Streuung des Risikos – und damit die Investition in unterschiedliche Anlageformen, und eben auch in Aktien. Vorläufig werden jedenfalls – und da sind sich die Experten einig – die europäischen Börsen von Nachholeffekten profitieren, weil die Europäer bisher vergleichsweise wenig Kapital in Aktien investierten und die geburtenstarken Jahrgänge ihre Altersvorsorge aufbauen müssen. Und das könnte, so glaubt jedenfalls die Financial Times Deutschland, zu „einer neuen, demographiegetriebenen Super-Hausse“ führen.

Die Autorin ist Finanzplanerin im Berliner Unternehmen „Das Finanzkontor“. Kontakt: Tel. (0 30) 21 47 47 90