Frage nach dem Rock'n'Roll

■ Neil Young hütete im Stadtpark die Antwort wie ein Geheimnis

Das Warten begann um Acht. Die Vorband war noch nicht ganz von der Bühne, da begann die graumelierte Masse in dem seit Wochen ausverkauften Stadtpark die Minuten ihres Stars zu zählen. Doch der kam nicht. 20 Uhr 15: Blues vom Band. 20.30 Uhr: Blues vom Band, erste Pöbeleien. 20.45 Uhr: Jemand will immerhin Reinhold Beckmann im Publikum entdeckt haben, was einen anderen fatalistisch werden lässt: „100 Mark für nichts!?“

Doch noch ehe die Lage eskalieren konnte (“Brennt die Hütte nieder!“), betrat Neil Young in einem weißen „Lynyrd Skynyrd“-Shirt und mit drei älteren Herren die Bühne. Später hieß es, der Veranstalter habe unter Aufopferung seines Nervenkostüms den an diesem Abend recht lustlosen Künstler lange von der Sinnhaftigkeit eines solchen Auftritts überzeugen müssen. Er tat gut daran, denn von Unlust war zunächst wenig zu spüren. Wie Pferde bei Gewitter rottete sich die Band um Ralph Molinas Schlagzeug zusammen, um mit gebeugten Rücken zum Publikum ... ja, was eigentlich? Karten zu spielen? Sich Witze zu erzählen? Oder doch wieder ihre Gitarren nach dem Sinn des Lebens, der Liebe, des Sterbens und des Rock'n'Roll zu befragen?

Wie kein zweiter Musiker weiß Young um die Antworten, doch an diesem Abend hütete er ihr Geheimnis wie ein schlechtgelaunter Medizinmann, dem der Gaul durchgegangen war. Tatsächlich verstanden sich Ross und Reiter nicht immer, strauchelten Crazy Horse gleich mehrmals. So geriet ausgerechnet der Solo-Teil zu Mundharmonika, Klavier und einer alten Western-Orgel am eindrucksvolls-ten. „Marlon Brando, Pocahontas and me“ war für Young diesmal die bessere Gesellschaft. Als es dann tatsächlich dunkel geworden war, verfiel Young in den Tanz der alten Gitarrenbücklinge zurück. „Hey hey, my my, Rock'n'Roll will never die“ – manche waren sich da am Ende eines generationsübergreifenden Best-Of-Konzerts keineswegs so sicher. Später beim Rausgehen grölte jemand fröhlich „You are like a Hurricane“. Das wurde zwar nicht gegeben an diesem Abend, war aber auch egal. Das Warten hatte sich wohl gelohnt. Michael Hess