Der Ästhet

Eigentlich wollte der Vietnamese Dat Vuong Japanologe werden. Doch inzwischen lehrt er lieber den Genuss am Essen und am Sein. Ein Porträt

von PETRA WELZEL

Auf die Details kommt es an. Dat Vuong fährt garantiert den stilvollsten Motorroller in Berlin-Mitte. Schwarz glänzt sein Gehäuse, die braune Ledersitzbank lädt wie der Sattel auf einem Araberhengst zum Aufsteigen ein. Irgendwie hat alles, womit sich Dat Vuong umgibt, diese unaufdringliche, aber unwiderstehliche Eleganz. Selbst der Lieferant und Freund hat sich eine neue silbergraue Karosserie zugelegt, dass Dat vor die Tür tritt und begeistert ausruft: „Das ist aber ein schickes Auto!“ Und nur wenige Stufen hinauf im handtuchschmalen Imbiss in der Gipsstraße, vor dem Roller und Wagen parken, stellt man fest: Hier bin ich, hier möchte ich sein.

Orange ist alles, dass einem ganz warm ums Herz wird. Im Fenster schwimmen im Aquarium unterm Esstisch orangerote Goldfische. Putzmunter sind sie, als wollten sie den Flaneuren, die draußen vorbeischlendern, mit ihren Luftblasen zu verstehen geben: Kommt herein und seht, was Monsieur Vuong hier geschaffen hat. Im Bermudadreieck der Galerien zwischen August-, Linien- und Gipsstraße ist Monsieur Vuongs gleichnamiger vietnamesischer Imbiss eine Art Kunstschule des Essens. Die Küche ist authentisch, das Ambiente eine ästhetische Wohlfühloase. Angenehm durchwabert den Raum ein Stilmixjazz, der keine musikalische Anleihe auslässt. Doch wo in die Höhe treibende Immobilienpreise Galerien und Läden unauffindbar schlucken, soll auch für das „Monsieur Vuong“ kein Platz im Boot mehr sein. Dat sagt, er gehe freiwillig. Sein Vermieter, der Galerist und Rechtsanwalt Lothar Poll, sagt, es habe Beschwerden gegeben. Vor allem, weil sich Dat nicht mehr an die Absprache mit den Gastronomen in der Nachbarschaft halte: Er dürfe das Tages-, die anderen Restaurants aber das Abendgeschäft mitnehmen.

Als Dat Vuong vor knapp drei Jahren seinen Imbiss noch zwischen lauter Baustellen für zeitgenössische Kunst eröffnete, war sein Vater extra angereist, um ihn doch nur zu entmutigen: „Dat, das war dein erster Fehler! Du hättest einen China-Imbiss eröffnen sollen.“ Fünf Jahre lang hatte Dat bis zu diesem Zeitpunkt Japanologie studiert, nachdem er seiner Mutter nach Köln gefolgt war, eine der Boatpeople, die sich Mitte der 80er in Deutschland niederließ. Zum Studium kam Dat vor acht Jahren nach Berlin und verdiente sein Geld in verschiedenen Restaurants. „Ich wollte schon immer in die Gastronomie“, sagt der kleine Mann, der mit seinen 32 Jahren in blauem T-Shirt und karierten Bluejeans noch wie ein Jugendlicher aussieht und mit seinem ebenmäßigen schönen Gesicht, den ausgeprägten Muskeln und geschmeidigen Bewegungen auch genausogut Tänzer oder Filmstar sein könnte.

Ist er aber nicht. Und Japanologe auch nicht. „Es gibt nicht viel Aufregendes in meinem Leben“, behauptet Dat von sich: „Ich bin ein schlichtes Wesen.“ Was er gelernt habe während seines Studiums, sei ihm beim Jobben aufgefallen. Nirgendwo hätten sie sinnliche Hände für ihre Arbeit gehabt, erzählt er und reibt dabei mit vorgehaltenen Händen seine feinen Finger aneinander. „Wenn du leidenschaftlich arbeitest, bist du mit allen Gefühlen und Sinnen dabei.“ Eine der Angestellten bringt ihm auf einer Untertasse einen Löffel mit der Brühe von der Tagessuppe. Es duftet nach Kokosnussmilch, Chili und Koriander. Dat befindet den Geschmack für gut. Dann fällt ihm ein, was er anders macht als seine alten Arbeitgeber: „Ich biete ein unterscheidbares Produkt an. Wir kochen hier wie zu Hause, was anderes können wir auch gar nicht.“

Dat will eben nicht einfach chinesisches Glutamat-Fast-Food anbieten, sondern ein ganzes Lebensgefühl. Die Vietnamesen würden zwar nicht so viel auf Äußerlichkeiten geben wie er, aber im Essen, was sie den ganzen Tag täten, offenbarten auch sie ihre Menschlichkeit. Er möchte ein anderes Licht auf die Kultur werfen, aus der er kommt. Dem negativen Bild hierzulande ein positives entgegensetzen. „Denkt daran!“, sagt er auch immer seinen MitarbeiterInnen. „Ich bin Vietnamese, in dem, wie ich fühle, wie ich handle.“

Das Licht, das sich durchs Prisma der Fensterscheibe bricht, lässt Dats schwarzes kurzes Haar und die langen Augenwimpern dunkelblau schimmern. Mit einem Teelöffel aus Holz rührt er seinen Espresso auf süßer Kondensmilch um. In Vietnam trinkt man den Kaffee im Sommer so, also im Prinzip das ganze Jahr, aber eisgekühlt. Die menschliche Wärme ist es, die Dat in Deutschland oft fehlt. Er denkt schon längst an Rückkehr, obwohl er seit drei Jahren eingebürgert ist. „Der Aufenthalt ist wichtig für meine berufliche Entwicklung, aber der Seele tut er nicht gut.“ Einmal im Jahr fährt er nach Saigon, die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen ist.

Ein „kleines menschliches Guesthouse“ möchte er dort irgendwann eröffnen, „liebevoll und aussagekräftig“ einrichten. Wohl wie seinen Imbiss hier. Mit schlichten, schönen Möbeln. Glasregalen und hellen Holztischen und -hockern. Einem buddhistischen Hausaltar auf rotem Sockel, auf dem er Räucherstäbchen anzündet. Er weiß, dass das Leben nicht immer so weitergehen wird wie jetzt. „Das Berliner Publikum ist ein unberechenbares und launisches Publikum“, sagt er. In sechs Wochen zieht er um, in die Alte Schönhauser Straße. Wegen des Ärgers mit den Nachbarn. Aber darüber möchte er nicht sprechen. Dat Vuong ist ein liebenswerter Mensch. Bis er nach Saigon zurückgehen kann, wird er noch viele Suppen kochen müssen – sagt er selbst.