Schwierige Annäherung

Eine Gruppe Lokalpolitiker aus dem Kosovo kommt auf einer Seminarreise in Deutschland miteinander ins Gespräch. Aber die Verständigung bleibt mühsam, die Gräben sind tief – selbst bei den Gemäßigten

von ULRIKE SCHNELLBACH

Der Graben zeigt sich in Kleinigkeiten. Auch wenn sie gemütlich im Café am Münsterplatz zusammensitzen und sich sehr versöhnlich geben: der Kosovo-Albaner Kadri Kryeziu, 42, Gymnasiallehrer aus Prizren; der „Ägypter“ Bislim Hoti, 42, Bauingenieur aus Gjakova, Vertreter der „albanisch-ägyptischen“ Minderheit im Kosovo (eine Art muslimischer Roma); und der Serbe Jakovljević Bojau, 38, Volkswirt aus Leposavic an der Grenze zu Serbien.

Alle drei sind Stadträte in ihren Gemeinden und nehmen an einem Seminar der Friedrich-Ebert-Stiftung im Studienhaus Wiesneck bei Freiburg teil, in dem sie die deutsche Kommunalverwaltung kennen lernen sollen. Wie funktioniert das Sozialsystem, wie der Haushalt der Stadt Freiburg? Gespräche mit Stadtplanern und Politikern, Exkursionen in neue Stadtteile – „uns interessiert alles“, sagt Bislim Hoti, „weil wir im Kosovo noch ganz am Anfang stehen“. Sein Kollege Kadri Kryeziu ergänzt: „Wir sind sehr dankbar, dass wir diese mehr als notwendigen Erfahrungen in Deutschland machen können.“

Der Graben zeigt sich schon darin, wie sie ihr Land bezeichnen: Damit ich ihnen den Artikel zuschicken kann, schreiben sie ihre Adressen auf. „Kosova“, notieren der Albaner und der „Ägypter“. Der Serbe schreibt „Jugoslavija“. Der Graben zeigt sich auch darin, dass der Serbe, der kein Albanisch versteht, seinen eigenen Dolmetscher hat. Die Albaner hingegen können selbstverständlich Serbokroatisch, das jahrzehntelang Amtssprache war. Natürlich spreche er serbisch, sagt Kadri Kryeziu, der Albaner, „ich war zehn Jahre politischer Gefangener im serbischen Gefängnis. Aber wir sprechen hier albanisch, weil es jetzt die Mehrheitssprache ist.“ Es tue ihm leid, antwortet der Serbe Bojau höflich, dass der Kollege im Gefängnis war. Und es störe ihn nicht, wenn dieser albanisch spreche.

Der Graben ist tief, auch wenn die drei Politiker zu den Gemäßigten gehören und keiner von ihnen, wie sie erzählen, im Krieg gekämpft hat. Bojau war nach eigenem Bekunden „nach dem Krieg der erste, der die Albaner in den anderen Dörfern besucht“ hat. Hoti war im Krieg Sprecher der Kosovovertriebenen in Albanien. Kryeziu gehört der gemäßigten „Allianz für die Zukunft Kosovas“ an und war bis vor kurzem Bürgermeister von Prizren.

Aber direkt ins Gespräch kommen die drei nur, weil ich darauf dränge, dass sie einander direkt antworten. Erst dann entspinnt sich eine Auseinandersetzung über die Zukunft des Kosovo. Die Gegensätze werden deutlich. Aber auch Anknüpfungspunkte für eine Verständigung.

Kryeziu, der Albaner: „Wir sind im Kosovo ein Volk, unser Ziel, das wir bereits vor dem Krieg gewaltfrei betrieben haben, ist die Unabhängigkeit.“

Bojau, der Serbe: „Das Kosovo ist nach der UN-Resolution ein Teil Serbiens, das soll auch so bleiben. Im Zuge der europäischen Einigung ist es eigentlich überflüssig, über eine neue Grenze zu reden.“

Hoti, der „Ägypter“: „Der Krieg wurde für die Unabhängighkeit geführt, jetzt soll das Kosovo auch unabhängig werden.“

Kryeziu: „Ich glaube, dass im Kosovo alle außer den Serben für die Unabhängigkeit sind. Das Kosovo ist schon jetzt praktisch ein Staat, seit Milošević nicht mehr im Amt ist. Wir Albaner müssen große Verantwortung übernehmen, besonders gegenüber den Minderheiten. Ihr Schutz ist auch Bedingung für eine Aufnahme in Europa.“

Ein Satz wie aus dem Lehrbuch für Demokratie. Dass der Albaner ihn sagt, wertet Studienleiter Dieter von Schrötter als eine Frucht des Seminars. „Wir haben versucht klar zu machen, dass der Weg zu einer Aufwertung der Halbsouveränität nur über den Schutz der Minderheiten läuft.“ Allerdings, so die Einschätzung des Osteuropaexperten, sei das schwer in die Köpfe zu bekommen: Dass man eine Staatsgründung nicht mit einer ethnischen Säuberung à la Milošević beginnen kann. Er wolle nicht schwarz malen, sagt von Schrötter, aber das Seminar habe wieder gezeigt: „Es wird sehr schwierig mit dem Zusammenleben der Minderheiten im Kosovo.“ Bezeichnend, dass beim Gespräch im Café die Frage der Volksgruppen im Mittelpunkt steht.

Der Serbe Bojau sagt: „Seit dem Krieg haben 250.000 Serben das Kosovo verlassen, das vergisst man. Ich erwarte, dass die Albaner deren Rückkehr ins Kosovo unterstützen. Alle sollen nach Hause zurückkehren können.“

Kryeziu: „Die Zahl, die der Kollege nennt, ist eine imaginäre Zahl. Es gab nur etwa 130.000 Serben im Kosovo. Die Geflüchteten waren Kollaborateure von Milošević, sie waren verantwortlich für alles, was passiert ist. Wir Albaner appellieren an alle, die damit nichts zu tun hatten, zurückzukommen. Das Kosovo gehört nicht nur den Albanern, sondern allen, die dort gelebt haben und weiter leben wollen. Alle Menschen- und Minderheitenrechte werden garantiert, auch die Rückkehr auf den eigenen Grund und Boden. Ich sage das, weil ich weiß, was es heißt, als Minderheit unterdrückt zu werden.“

Bojau: „Die Extremen beider Seiten müssen sich aus der Entscheidung über die Zukunft des Kosovo heraushalten. Das Miloševićregime war totalitär, das gebe ich zu, aber nicht nur gegenüber den Albanern, auch gegenüber dem eigenen Volk. Ich bitte meine Kollegen hier, dass sie nicht so ein Regime mit umgekehrten Vorzeichen aufbauen.“

Genau dies, so von Schrötter, sei die Gefahr: Dass einige Albaner den Spieß nun umdrehen und versuchen, das Kosovo zu albanisieren. „Und da fehlt auch den gemäßigten politischen Gruppen der Mut oder auch die Überzeugung, diesen Ansätzen entgegenzutreten.“ Schlimmer noch, aus den Nebentönen während des Seminars könne man heraushören, dass großalbanische Träume noch nicht ausgeträumt seien.

Besonders zu denken gibt von Schrötter das, da die Teilnehmer des Seminars als „Gemäßigte“ ausgewählt wurden, Männer, auf die die internationale Gemeinschaft für weitere Zusammenarbeit baut. „Auch die gemäßigten Kräfte“, sagt der Seminarleiter, „haben noch einen langen Lernprozess vor sich.“

Hoti, der Vertreter der „ägyptischen“ Minderheit, ist nicht so pessimistisch. Er sagt: „Das Bild, das von den Medien über das Zusammenleben im Kosovo zurzeit verbreitet wird, ist nicht realitätsbezogen. Wir arbeiten zielgerichtet an einer Konzeption für ein langfristiges Zusammenleben. Aber für alle, die an Völkermord, Vergewaltigungen, Ausbeutung der Nachbarn teilgenommen haben, gibt es keinen Platz im Kosovo.“

Bojau: „Dafür bin ich auch, dass diese Leute nie mehr zurückkommen. Aber das gilt nicht nur für die Serben, sondern für alle, die so etwas gemacht haben.“

Kryeziu: „Die Bereitschaft des serbischen Kollegen zuzustimmen, dass das Miloševićregime verbrecherisch war, ist ein großer Fortschritt. Kein Albaner beschuldigt das ganze serbische Volk. Es ist aber leider bekannt, dass ein Großteil der Bevölkerung Milošević unterstützt hat. Deshalb müssen die Serben sich öffentlich entschuldigen und sich von diesem Regime distanzieren.“

Jakovljević Bojau lacht und wendet sich zum ersten Mal direkt den beiden anderen zu: „Hiermit sind Sie sicher einverstanden: Die beste Entschuldigung des serbischen Volkes war die Verhaftung Milošević’. Dasselbe müsste allerdings mit den Extremisten der anderen Seite passieren.“

Kryeziu: „Dafür bin ich auch: In einem demokratischen Staat ist kein Platz für Extremisten.“

Und was ist mit den UÇK-Kämpfern?

Kryeziu: „Welche? Die im Kosovo oder die in Makedonien? Im Kosovo sind sie transformiert. Die Albaner in Makedonien stellen ganz menschliche Forderungen. Aber der Weg, den sie gewählt haben, ist der falsche. Die albanische Frage ist ungelöst, aber sie muss über den politischen Dialog gelöst werden. Einen Dialog, der auf neutralem Boden bei Kaffee und Schwarwälderkirsch funktioniert. Das Seminar hat gezeigt, dass es noch ein weiter Weg ist zu friedlicher Koexistenz im Kosovo. Am Ende des Seminars bedauert der Vertreter einer weiteren Minderheit, ein Türke, dass er nicht auch seinen eigenen Dolmetscher gehabt habe. Dabei sprach er sowohl serbisch wie auch albanisch fließend.

ULRIKE SCHNELLBACH, 35, ist Politikredakteurin der „Zeitung zum Sonntag“ in Freiburg