„Neue Zeiten, neue Wörter“

„Bestimmte Begriffe sollten im Diskurs über Einwanderung verschwinden“

Interview MONIKA GOETSCH

taz: Vor einem Jahr wurden in Düsseldorf bei einem Sprengstoffanschlag zehn Zuwanderer aus Osteuropa verletzt. Hat dieses Attentat den politischen Diskurs in Deutschland verändert?

Margarete Jäger: Das Attentat hat einen Prozess beschleunigt, der aber bereits seit Anfang 2000 im Gang war. Im politischen Diskurs geht es nicht mehr um Abschottung. Man kann auch sagen, dass das Gespenst einer „Festung Europa“ in den öffentlichen Debatten vom Tisch ist. Stattdessen wird von Einwanderung und Zuwanderung gesprochen. Wir haben es insofern mit einer neuen diskursiven Konstellation zu tun.

Diese Veränderungen soll allein das Attentat bewirkt haben?

Selbstverständlich nicht. Eine ganze Kette von Ereignissen ist dafür verantwortlich. Angestoßen wurde der Prozess durch die Green-Card-Debatte, die Bundeskanzler Gerhard Schröder auf der Cebit in Hannover initiiert hat. Auch die Einrichtung des „Bündnisses für Demokratie und Toleranz“ war ein Vorstoß, offensiv für Zuwanderung und gegen die damit verbundenen rassistischen Vorbehalte anzugehen. Die Berliner Rede von Johannes Rau, in der er dazu ermahnte, Einwanderung und Asylnot nicht gegeneinander aufzurechnen, ging in die gleiche Richtung. Ich bin aber sicher, dass die Diskussion um ein Verbot der NPD ohne das Attentat nicht zu Stande gekommen wäre. Auch die Debatte um die Leitkultur wäre anders gelaufen, hätte es zuvor nicht diese diskursiven Umorientierungen gegeben.

Ist das alles bloß Schminke –oder steht die neue Politikersprache für echte, andere Überzeugungen?

Für Schminke halte ich das nicht. Aber man muss aufpassen: Die Rede von der Einwanderung könnte zur Schminke werden. Die derzeitige Debatte findet ja vor einem bestimmten Diskurshintergrund statt, der Jahrzehnte lang restriktiv war und große Ausgrenzungspotentiale in sich barg. Diese restriktiven Elemente verschwinden nicht einfach so. Die neuen Gedanken und Einstellungen treffen schließlich auf einen rassistischen Hintergrund. Derzeit wird aber das, was im Einwanderungsdiskurs sagbar ist, neu strukturiert. Und dadurch entstehen Widersprüche, um die man sich kümmern muss.

Die Sprache von Politikern und Medien ändert sich. Ändert sich deshalb auch die Sprache der Bevölkerung?

Diese Frage beschäftigt uns schon lange. Unser Institut macht bereits seit zehn Jahren Tiefeninterviews mit Bürgerinnen und Bürgern deutscher Herkunft zum Thema Einwanderung und Flucht. Bislang blieben die Ergebnisse weitgehend gleich: Es zeigte sich, dass die Mehrheit stark in einen rassistisch aufgeladenen Diskurs verstrickt ist. Nun liegen uns einige neue Interviews vor, die allerdings noch nicht systematisch ausgewertet sind. Doch sie zeigen auf den ersten Blick, dass sich diese Veränderungen auch im Alltagsdiskurs durchzusetzen beginnen.

Inwiefern?

Früher wurden die üblichen negativen Klischees über Ausländer wieder und wieder reproduziert. Das geschieht heute zwar auch noch, aber nicht ganz so häufig. Es ist eben inzwischen auch anderes sagbar geworden. Während vor einigen Jahren die negativen Aspekte dominierten, scheinen diese heute etwas in den Hintergrund getreten zu sein. Doch ich sage das mit aller Vorsicht. Dazu wäre eine systematische Untersuchung notwendig.

Und wann erreicht dieses neue Sagbare den Stammtisch, der bekanntlich durch Neues nur schwer zu erreichen ist?

Das wird dann der Fall sein, wenn es gelungen ist, die rassistischen Elemente des Einwanderungsdiskurses weitgehend zurückzudrängen und damit unwirksam zu machen.

Und wie bewerten Sie den Streit um die Leitkultur?

Friedrich Merz hat diesen Begriff als ein Fahnenwort für die Umkehrung der neuen diskursiven Konstellation eingebracht. Aus meiner Sicht hat die Debatte um die Leitkultur gezeigt, wie widersprüchlich der Diskurs sich derzeit darstellt. Sicher wurde Friedrich Merz heftig kritisiert. Aber die Argumente, die aufgefahren wurden, waren doch recht schwach. Man stellte nicht etwa die im Begriff unterstellte Homogenität der Deutschen in Frage. Man hielt den Begriff selbst für schädlich. Er wurde als Unwort bezeichnet, das mehr verschleiere als ausdrücke. Hätte Merz also einen präziseren Begriff geliefert, wären die Argumente der Gegner schnell entkräftet gewesen. Dass es sich um einen chauvinistischen, rassistischen Vorstoß gegen die kulturelle Vielfalt im Land handelte, wurde nur am Rande kritisiert. Das macht deutlich, wie brüchig das Eis ist, auf dem wir uns bewegen.

Welche Widersprüche ergeben sich noch aus der Neuordnung des politischen Diskurses?

Die Differenzierung in nützliche und nicht nützliche Einwanderung widerspricht ebenfalls einem antirassistischen Denken. Der Ausländer muss nutzen: Das ist in der Tendenz sogar ein nationalistisches Argument. Außerdem wird zwar allgemein heftig gegen kriminellen Rassismus und Rechtsextremismus gewettert. Und das ist natürlich auch gut. Doch die Sensibilität gegenüber dem institutionalisierten Rassismus ist ungleich geringer. Ich meine damit den Rassismus, der sich in Gesetze und Verordnungen eingefressen hat. Ich meine die Prozeduren, denen sich Einwanderer und Flüchtlinge unterziehen müssen. All dies wird zur Zeit überhaupt nicht skandalisiert. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Ausländer von den Medien weiterhin häufig als kriminell und gefährlich dargestellt werden.

Was ist Ihrer Meinung nach zu tun?

Ich denke, es gilt, die Potenziale, die in der neuen Diskurs-Konstellation liegen, zu nutzen. Es geht also darum, weitere Schritte zu vollziehen, um nicht hinter die Entwicklung zurückzufallen. Denn ich halte es durchaus nicht für unmöglich, dass dies geschieht. Man muss darum weiter den Finger in die Wunden legen.

In welche?

Dahin, dass Asyl und Einwanderung nicht gegeneinander ausgespielt werden. Dahin, dass die Rede von nützlichen und nicht nützlichen Einwanderern aufgegeben wird.

Auch dahin, dass bestimmte Wörter und Formulierungen verschwinden?

Es geht nicht um einzelne Worte. Es geht um die in ihnen enthaltenen Bedeutungen. Verschwindet ein Wort, dann suchen sich die Bedeutungen schon ein neues. Nicht die Wörter sind schlecht, sondern ihre Inhalte. Die Rede vom vollen Boot, von den Fluten und Einwanderungsströmen – das sind symbolische Komplexe, die eine chaotische Situation imaginieren, Symbole, die Angst vor einer Bedrohung entstehen lassen. Insofern sollten bestimmte Begriffe in der Tat im Einwanderungsdiskurs verschwinden.

Ob es nun Asylbewerber heißt, Asylant oder Flüchtling: Sind das nicht Wortklaubereien?

Nein, das sind durchaus keine Oberflächlichkeiten. Denn mit diesen unterschiedlichen Begriffen werden Differenzierungen eingeführt, die Ausgrenzungen verschärfen. Dabei ist der Begriff Asylbewerber inzwischen semantisch identisch mit dem des Asylanten, also mit jemandem, der aus zweifelhaften Gründen Asyl sucht. Die Spaltung von Flüchtlingen in solche, die kommen dürfen und Asylanten, die nicht berechtigt sind, schreibt der Begriff Asylbewerber fest. Man entkommt ihr nur mit dem Begriff Flüchtling. Ich finde es wichtig, darauf hinzuweisen. Wie gesagt: Es geht nicht um Wörter, es geht um Inhalte.

Trotz aller Feinheiten: Sind Sie optimistisch?

Zu großem Optimismus habe ich keinen Anlass. Dazu gibt es noch viel zu viel zu tun.