Psychoterror, Gewalt und Willkür

Nach fünf Tagen in einem italienischen Gefängnis kam gestern die Berliner JournalistinKirsten Wagenschein frei. Ihr wird Waffenbesitz und die Mitgliedschaft im „Black Block“ vorgeworfen

taz: Wann wurden Sie verhaftet?

Kirsten Wagenschein: Ich war gerade dabei, mit den Leuten in der Schule gegenüber des Genoa Social Forum über ihre Eindrücke vom Tag zu sprechen. Plötzlich hörten wir die Rufe „Polizei“. Alle begannen panisch nach Fluchtmöglichkeiten zu suchen. Ich habe mich in einer Besenkammer versteckt, Schreie und Schläge gehört und Angst gehabt. Drei Polizisten haben mich dann aus der Besenkammer rausgeholt. Meine offizielle Akkreditierung und meinen Presseausweis ignorierten sie.

Wurden Sie misshandelt?

Ich selbst wurde nicht geschlagen. Aber die Hälfte der an die 70 Verhafteten war verletzt; viele lagen mit Kopfverletzungen blutüberströmt auf dem Boden, haben sich kaum noch bewegt und nur geröchelt. Überall war Blut. Einer jungen Frau hatten Polizisten mit einem Schlag den Kiefer gebrochen und die Vorderzähne ausgeschlagen. Migranten mit dunkler Hautfarbe waren besonders extremen Misshandlungen ausgesetzt.

Sie waren bis Montagmorgen in einer Polizeikaserne.

Dort herrschte eine unglaubliche Mischung aus Psychoterror, Gewalt und Willkür. Wir mussten stundenlang mit erhobenen Händen, gespreizten Beinen und Gesicht zur Wand stehen. Auch Frauen und Männer mit Arm- und Beinbrüchen. Die Polizisten halfen mit Knüppeln und Stiefeltritten nach. Auf dem Weg zur Toilette sah ich, wie in einer anderen Zelle ein Mann zusammengeschlagen wurde. Er lag auf dem Boden, der Polizist schlug ihm immer wieder mit einem Schlagstock in den Magen, zog ihn hoch und schlug weiter. Der Mann schrie und schrie. Wir hatten keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Die Verlegung in den Frauenknast habe ich als Erleichterung empfunden, weil es dort nur noch bürokratisch zuging.

Und die juristischen Folgen?

Bei der Haftprüfung am Mittwoch – wo Dolmetscher und Anwälte anwesend waren – wurden mir drei Anklagepunkte vorgelegt: Mitgliedschaft in der internationalen Organisation Black Block, Waffenbesitz und Widerstand bei der Festnahme. Alle Vorwürfe sind lächerlich, aber der letzte Punkt ist besonders zynisch. Niemand hat sich gewehrt, weil alle Todesangst hatten. Ob es tatsächlich zum Prozess kommt, ist schwer zu sagen. Außerdem habe ich fünf Jahre Einreiseverbot nach Italien.

INTERVIEW: HEIKE KLEFFNER