Wer laufen kann, kommt ins Gefängnis

Knüppel, Blut, Lungenriss: HamburgerInnen erzählen ihre Erlebnissen in Genua  ■ 

Die Prellungen an seinen Armen sind noch gut zu erkennen. Niedergeschlagen und sehr sehr müde hält Niels Martinsen seinen Kopf mit beiden Händen. Das rechte Auge ist blau-rot unterlaufen und angeschwollen. Seine Freundin musste er in Genua zurücklassen. Sie liegt mit einem Lungenriss im Krankenhaus und ist voraussichtlich noch eine Woche lang nicht transportfähig. Niels Martinsen, Thosten H., Tanja W. und Christian Gatermann waren in Genua und gegen die Globalisierung. Am Donnerstag wurden sie aus der Haft entlassen. Gestern morgen kamen sie in Hamburg an.

Alle fünf wurden während des Überfalls auf die vom Genua Social Forum als Schlafplatz genutzte Schule festgenommen. „Meine Freundin wurde an den Haaren weggezogen“, erzählt Niels Martinsen. Wie es ihr geht, hat er erst nach seiner Freilassung erfahren. Im Krankenhaus durfte er sie nicht mehr besuchen, musste sofort ausreisen. Wie die anderen vier darf auch er die nächsten fünf Jahre nicht mehr nach Italien reisen.

„Wir waren fünf Minuten in der Schule und haben uns gerade umgesehen, als die italienischen Polizisten reingestürmt sind“, erinnert sich der 24-Jährige. Er wurde niedergeknüppelt. „Ich lag auf dem Boden und habe am Kopf geblutet, aber sie haben trotzdem weiter auf mich eingeschlagen.“ Anschließend habe die Polizei Gas aus einer Art Feuerlöscher auf ihn gesprüht. „Ich konnte nichts mehr sehen, dann bin ich kurz bewusstlos geworden.“ Sein Rücken schmerzte, er hatte Angst, es wäre etwas gebrochen. Ein Krankenwagen brachte den Hamburger ins Krankenhaus.

„Die Ärzte habe uns gesagt, wer laufen kann, darf nach Hause gehen, also bin ich losgehumpelt.“ Von wegen nach Hause: Die Polizei brachte alle, die noch laufen konnten, in eine Polizeikaserne nach Bonzaneto. Dort musste Niels zwei Stunden die blaugeprügelten Arme gegen die Wand stemmen. „Der Polizeiarzt hat sich sogar noch über mich lustig gemacht – es war die schlimmste Demütigung, die ich je erfahren habe.“ Die Unertsuchungsergebnisse der italiensichen Ärzte wurden ihm nicht ausgehändigt.

Bevor Thorsten H. in die Kaserne gebracht wurde, musste der 27-Jährige polizeilichen Psychoterror ertragen. „Der Ranghöchste Offizier hat Hakenkreuze an die Wand gemalt“, erzählt er. Außerdem habe der Polizist, mit einer Eisenstange in der Hand, gedroht, sie in seinem Garten zu exekutieren. Er versteht nur sehr wenig Italienisch, aber die Gesten waren unmissverständlich. Die Erinnerung daran wird Thorsten nicht mehr los. „Auf der Rückfahrt wollte ich auf in einer Raststätte auf die Toilette gehen.“ Als er allein in dem dunklen Raum war, kam die Panikattacke.

Zwei Tage waren die vier in der Polizeikaserne. Ein Brötchen war alles, was sie zu essen bekamen. Auch Klopapier gab es nicht. Von der Außenwelt abgeschnitten konnten sie nicht einmal mit ihren Angehörigen sprechen. Danach wurden die Männer in ein Gefängnis nach Pavia und die Frauen nach Voghera verlegt.

„Wir wussten überhaupt nicht, warum wir festgehalten wurden“, sagt Christian Gatermann. Gewehrt habe sich beim Sturm auf die Schule niemand. Alle haben sich sofort hingelegt. „Widerstand zu leisten wäre Selbstmord gewesen.“ Den ersten Tag in Gefangenschaft hat der 29-Jährige als „Isolationshaft“ empfunden. „Jeder war alleine in einer Zelle, wir konnten nicht lesen oder uns irgendwie anders beschäftigen.“ An Schlaf war nicht zu denken. „Ich hatte ständig Angst, dass jemand reinkommt und mich verprügelt“, erzählt Thorsten. Alle vier bestätigen, dass Mitgefangenen die Dreadlocks abgeschnitten wurden. Tanja W. erinnert sich an die Atmosphäre der Angst. „Wir haben Schreie aus den anderen Zellen gehört, und niemand hat uns gesagt was los ist“, berichtet sie tonlos. Um zwei Uhr Nachts wurden sie noch einmal aus den Zellen geholt um Fingerabdrücke nehmen. „Die Tage zuvor, als so viele Menschen friedlich auf die Straße gegangen sind, haben mir Kraft gegeben.“ Kraft, diese Tage in Haft durchzustehen.

Ihre italienischen Pflichtverteidiger haben die HamburgerInnen erst fünf Minuten bevor sie dem Haftrichter vorgeführt wurden, gesehen. Der entließ sie.

Jetzt wollen die vier juristisch gegen die Haftbedingungen vorgehen und die Polizei wegen Körperverletzung anzeigen. Die italienschen Anwälte räumten einer Klage gute Chancen ein. „Ich hoffe nicht, dass die Polizisten ganz ungeschoren davon kommen“, sagt Tanja. Michaela Soyer

Heute, Samstag, um 12 Uhr demonstrieren AktivistInnen auf dem Rathausmarkt gegen die Polizeigewalt in Genua