Reise in eine andere pädagogische Welt

1. Es war einmal ... Tvind

Neben dem Märchendichter Hans-Christian Andersen und dem Lego-Spielzeug wurde die Alternativ-Schule Tvind in den 70er Jahren zu einem pädagogischen Exportartikel Dänemarks. Auch viele Lehrer aus Bremen, die den kleinen Stadtstaat damals selber gern zu einem pädagogischen Laboratorium gemacht hätten, ließen sich im Westen Jütlands von Tvinds reformpädagogischen Ideen begeistern. Symbol des Aufbruchs war das damals größte Windkraftrad der Welt, das Schüler und Lehrer gemeinsam erbauten – ebenso wie die Schwimmhalle und sonstige Schulgebäude. Das praxisorientierte Lernen und die Förderung des Gemeinschaftsgeistes waren ihre Leitideen. Und die Internationalität – die mit der „Reisenden Schule“ faszinierend umgesetzt wurde. (*)

2. „Skolefrihed“

Tvind verdankte seinen „Erfolg“ auch einer Besonderheit des dänischen Schulwesens: Es gibt keine Schul-Pflicht, sondern nur eine Unterrichts-Pflicht. Zwar unterrichten deswegen die Eltern auch hier nicht ihre Kinder selber, aber die vielfältigen Privatschulen haben eine große Tradition Ihnen gewährt der Staat sowohl großzügige finanzielle Unterstützung als auch enorme pädagogische Freiheiten. Insgesamt betreuen sie zwar nur 13 Prozent der dänischen Schüler – aber die Lebendigkeit, Flexibilität und Qualität des dänischen Schulwesens resultiert nicht zuletzt aus den Anregungen, die immer wieder von den freien Schulen ausgingen, ob es nun Montessori-, Freinet- oder sozialistische Schulen waren. Privatschulen haben hier im Allgemeinen nichts Elitäres an sich, sondern unterscheiden sich nach pädagogi-

*) Heute ist Tvind in Dänemark zum Buhmann geworden: ein Konzern, dem die Politiker und Kommunalverwaltungen am liebsten jede Unterstützung streichen wollen. Ende April musste Tvind landesweite Razzien über sich ergehen lassen. So wie aus Tvind-Chef Amdi Petersen, einem ehemaligen Maoisten, ein bekennender Kapitalist geworden ist, so wurden die pädagogischen Ideen kommerzialisiert: Tvind wird vorgeworfen, die 230 Millionen staatlicher Subventionen für seine inzwischen 31 Schulen und vielfältigen Ausbildungsangebote zweckentfremdet zu haben; die Entwicklungsprojekte in Afrika seien nur ein karitatives Feigenblatt für das große Geschäft mit Altkleidern (allein in Deutschland betreibt man unter dem Namen HUMANA 17 Secondhand-Läden, z.B. in der Bremer Bahnhofsstraße); die vierjährige Ausbildung der sog. „Solidaritätsarbeiter“ sei verbunden mit sektenähnlichem Psychodruck und Ausbeutung von Gutgläubigen. Die Gewinne aus Altkleider-Verkauf und Ausbildungsprojekten sollen dubiosen Konten und Unternehmen auf den Kanal-Inseln oder in der Karibik zufließen.

schen Konzepten. Diese dynamische Bildungsbewegung hat ihren Ursprung auf dem Lande: Mitte des 19. Jahrhundert war sie von dem einflussreichen Pfarrer Grundtvig in Gang gesetzt worden, der gegen das sinnlose Einpauken und das lebensfremde Lernen in der Schule opponierte.

Für den Gast aus Deutschland ist erstaunlich, wie stark die Themen Schule und Bildung in der dänischen Öffentlichkeit verankert sind. Es ist nichts Besonderes, wenn zur besten Sendezeit – nach den Nachrichten im 1. Fernsehprogramm – ein dreiviertelstündiges Interview mit einer Schulleiterin über neue pädagogische Konzepte geführt wird. Ebenso selbstverständlich werden in den Zeitungen Detailfragen der Ausbildung diskutiert, zum Beispiel ob der Informatikunterricht wirklich zu einem integrierten Bestandteil der Unterrichtsfächer geworden sei oder nicht zu viel Bedeutung dem „isenkram“, also der Computer-Technik selber, beigemessen werde. Es ist übrigens faszinierend, durch dänische Schulen zu gehen und zu sehen, wie selbstverständlich überall PC-Pools in Pausenhallen und Labors frei zugänglich zur Verfügung stehen. Man fände es hier lächerlich, den permanenten Internet-Zugang für Schüler einzuschränken, nur weil sie ihre privaten SMS-Botschaften von der Schule abschicken oder auch mal Sex-Fotos anschauen. Bei den Abitursprüfungen in den letzten Wochen konnte man überall die Schüler ihre Klausuren an Computern schreiben sehen: Statt Schreibpapier stehen in der Aula 80 oder 100 PCs bereit. Ebenso selbstverständlich ist es, dass man in jeder Schule Lehrer für den IT-Bereich freistellt und/oder IT-Techniker zur Verfügung hat. Bei aller Innovationsfreude ist man also sehr pragmatisch: Qualifizierte Arbeit kostet, erfordert auch umfassende Weiterbildung. Unvorstellbar, dass dänische Lehrer ihre Fortbildungsmaßnahmen selber bezahlen.

Ungewöhnlich auch, wie undogmatisch Bildungsfragen erörtert werden: die dänische liberale Venstre-Partei (zur Zeit in der Wählergunst vorn) tat sich gerade letzte Woche mit dem Vorschlag hervor, man solle die Klassenstufen abschaffen und die Schüler jahrgangsübergreifend flexibel unterrichten!

3. Schulen an der langen Leine

Wenn Schule und Bildung also öffentlich wahrgenommen werden und Dänemark in Europa – nach einem Bericht der OECD – für Bildung statistisch am meisten Geld aus dem Staatshaushalt zur Verfügung stellt, dann drückt sich darin ein gesellschaftliches Prinzip aus, wonach man wichtige Lebensbereiche zu einer „gemeinsamen Sache“ machen und möglichst im Konsens regeln muss. „Wohl in keinem Land Europas beteiligen sich Sozialpartner, Unternehmen, Staat, Schulverwaltung und Lehrer aktiver und vorbehaltsloser an der gemeinsamen Verbesserung des Bildungssystems“, schrieb die Süddeutsche Zeitung anlässlich der Verleihung des Carl-Bertelsmann-Preises für das Konzept „Berufliche Bildung für die Zukunft“ an Dänemark.

Der Staat lässt die Schulen an der langen Leine; das betrifft Inhalte und Organisation des Unterrichtsbetriebs, aber auch die Budgetverwaltung. Berufsschulen sollen und müssen selber Geld erwirtschaften, indem sie z.B. maßgeschneiderte Fortbildungskurse für regionale Unternehmen anbieten. Umgekehrt sind Jugendliche nicht einfach einem starren Ausbildungsgang unterworfen: Sie können Teilqualifikationen erwerben und reibungslos in einen Betrieb überwechseln. Dieses äußerst flexible System hat dazu geführt, dass es in Dänemark nur noch eine geringfügige Jugendarbeitslosigkeit gibt. Flexibilität, Durchlässigkeit und Dynamik werden wesentlich ermöglicht durch die große Zurückhaltung des Staates im Bildungswesen. Zwar sind durchaus Qualifikationen und Ziele sowie die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen festgelegt, aber die Gestaltungsspielräume und die Selbstverantwortung der einzelnen Schule, des einzelnen Lehrers und jedes Auszubildenden werden groß geschrieben. So gibt es zwar am Ende der gymnasialen Oberstufe das Zentralabitur, aber wie der Lehrer bis dahin den Unterricht gestaltet, ist seine Sache. Hier scheint ein Prinzip durch, das sich auf allen Ebenen der pädagogischen Arbeit wieder findet: Vertrauen. Der Lehrer ist nicht erst einmal misstrauisch; Kontrolle und „Objektivierung“ in Rorm regelmäßiger Klassenarbeiten, „objektivierte“, mogelfreie schriftliche Kontrollen durch Klassenarbeiten und Klausuren hält man in Dänemark nicht für nötig: Statt sein Versagen zu bestrafen, wird die Stärke des Einzelnen gefördert. Der Schüler soll selber Verantwortung für seinen Lern- und Ausbildungserfolg übernehmen. Die junge Unterrichtsministerin Marianne Vestager spricht von der „Helhedsskole“, einer Ganzheits-Schule, die die gesamte Persönlichkeit des jungen Menschen im Blick hat. Und tatsächlich traut sie sich zu sagen, dass die Schule eher „Generalisten“ als „Spezialisten“ hervorbringen solle.

4. Prinzipiell: Integrierte Gesamtschulen

Mit dem Prinzip des Vertrauens korrespondiert das des Konsenses. Die großen sozialen Fragen werden in Dänemark auf diese Weise geregelt. Grundlegende Entscheidungen werden dann auch nicht andauernd wieder in Frage gestellt, wenn sie auch im Detail durchaus kontrovers diskutiert und immer wieder flexibel den Realitäten angepasst werden. So ist es mit der jedem garantierten Grundrente, mit der kostenlosen Gesundheitsversorgung – und so ist es mit dem Schulsystem. Es ist in seiner Struktur einfach und klar: Die Dänen haben flächendeckend – und auch für die privaten/freien Schulen verbindlich – ein konsequentes Gesamtschulsystem eingeführt: Es sieht in diesen Folkeskolen auch keine Differenzierung in verschiedene Leistungs-Niveaus vor, wie sie die meisten deutschen Gesamtschulen mit ihren A-, B- und C-Kursen praktizieren. Das alles schließt gezielte Fördermaßnahmen nicht aus. Allerdings werden an die in Teams arbeitenden Lehrer hohe Anforderungen hinsichtlich der Individualisierung des Unterrichts gestellt. Die Dänen identifizieren sich mit ihrem Gesamtschulsystem, auch wenn die aktuellen internationalen Vergleichsstudien zu den Schülerleistungen gerade keinen signifikanten Unterschied bezüglich der Schulsysteme ergeben. Man schätzt hier die sozialintegrative Funktion der Schule. Und zwar im Blick auf den einzelnen Schüler wie auf die gesellschaftliche Bedeutung, die das gemeinsame Lernen bis zum 15. Lebensjahr hat.

Ähnlich wie in Bremens ursprünglichem Schulkonzept ist der entscheidende Einschnitt für den Ausbildungsweg der nach der 10. Klasse: Hier trennen sich dann gymnasiale und berufsbildende Ausbildung. In Dänemark besuchen ca. 40 % eines Jahrgangs die gymnasiale Oberstufe: allgemeinbildende, technische oder Handelsgymnasien. Auch die berufsspezifische Ausbildung findet weitgehend in Vollzeitschulen statt.

Bis zur 8. Klasse verzichtet man in der Folkeskole generell auf Zensuren. Sitzenbleiben gibt es nicht, stattdessen aber umfassende Beratungen: An jeder Schule werden Lehrer als „studievejleder“ frei gestellt und permanent weiterqualifiziert. Sie sollen die Schüler nämlich über alle aktuellen und zukunftsträchtigen Ausbildungsmöglichkeiten informieren. Aber auch Lernproblemen oder familiären Schwierigkeiten wird Aufmerksamkeit geschenkt. Wenn man durch dänische Schulen schlendert, fällt eines sofort auf: das unglaublich große, optisch sich ansprechend präsentierende Informationsangebot: Betriebe, Fachschulen, Spezialeinrichtungen, Weiterbildungsträger oder offizielle Institutionen stellen sich und ihre Ausbildungswege dar. Dieses äußerst aufwändige und sehr differenzierte Beratungs- und Informationssystem mit seinem individualisierenden Ansatz ist wohl auch die Ursache dafür, dass Dänemark seine (Jugend-)Arbeitslosenquote von 15 Prozent Ende der 80er Jahren auf heute unter 5 % senken konnte.

Dabei wirkt sich positiv aus, dass innerhalb des Prozent „einfachen“ Bildungssystems eine Fülle von Ausbildungs-Varianten zur Verfügung stehen: Besonders erfolgreich sind die „Produktionsschulen“, die jungen Leuten, die in den traditionellen Ausbildungsgängen gescheitert sind, eine Qualifizierung ermöglicht, die mit lokalen Firmen abgesprochen ist: Staatliche Förderung gibt den Firmen dann einen Anreiz, diese Jugendliche dann mit Garantie einzustellen.

Oder die „efterskole“: Inzwischen nehmen ca. 20 % der Absolventen der Folkeskole in diesen meist in schöner Landschaft gelegenen internatsartigen Schulen eine „Auszeit“. Für ein Jahr wählen sich diese 15jährigen z.B. einen sportlichen oder künstlerischen Schwerpunkt und werden sich daneben über ihre künftige Ausbildung klar.

Auch für Erwachsene gibt es übrigens dieses gezielte Qualifizierungsangebot in den VUCs (Erwachsenen-Ausbildungs-Centrum) - oder die staatlich geförderte „Auszeit“ in den für Skandinavien so typischen Heim-Volkshochschulen, in denen man einen Monat oder ein Jahr lang neue Impulse aufnimmt, wobei die persönlichkeitsbildende Seite im Vordergrund steht, nicht ein Zertifikat.

5. Prima Klima

Über 80% der dänischen Eltern sind mit der Schule ihrer Kinder im allgemeinen zufrieden, wenn es in Einzelfragen wie z.B. der Qualität des naturwissenschaftlichen Unterrichts erhebliche Kritik gibt. Dänische Politiker schicken ihre Kinder selbstverständlich auf die Gesamtschule. Und nach einer Untersuchung der Universität Bristol gehen die dänischen Schüler offenbar lieber zur Schule als die meisten ihrer europäischen Altersgenossen.

Solche Umfrage-Ergebnisse aus den letzten Wochen mögen auch mit den dargestellten äußeren Strukturen des Bildungswesen zusammenhängen; vor allem resultieren sie aber aus dem Binnenleben der Schulen. Bremer Pädagogik-Studenten, die im vergangenen Jahr an Kopenhagener Schulen hospitierten, fiel besonders die Atmosphäre dort auf: netter, freier, freundlicher, aufgeschlossener und mehr Teamarbeit, als sie es kannten. Wer die dänische Schule über einen längeren Zeitraum live erlebt, kann im Detail erfahren, warum das so ist.

Basis ist das vertrauensvolle und kooperative Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, das ein partnerschaftliches, ja fast familiäres Klima schafft.

Dass man sich hier – wie überall im Lande - duzt und mit Vornamen anredet, mag dabei auch wichtig sein (Es ist übrigens eine der „Errungenschaften“ der dänischen 68er-Bewegung hier). Von größerer Bedeutung aber sind die „Methodenfreiheit“ im Unterricht, der Vorrang der mündlichen Kommunikation, das Fehlen von Abfragerei, die Kontinuität von Lehrer-Kerngruppen in den Klassen und der angstfreie Umgang mit einander: dabei kontrollieren dänische Lehrer durchaus die schriftlichen Arbeiten ihrer Schüler, aber die werden zuhause angefertigt und individuell besprochen. Mogeln oder Abschreiben in allen Varianten käme den Schülern hier entsprechend komisch vor. Man vermeidet auf diese Weise dauernde Misserfolge oder Lern-Niederlagen. Lehrer, Eltern und Unterrichtsministerium sind überzeugt: Eingeschüchterte Kinder lernen nicht gut.

Damit sich Jugendliche gern in der Schule aufhalten, braucht man nicht so sehr gammelige Kuschelecken, sondern eine überlegte - u.a. architektonische – Gestaltung: Licht, Holz, Farb-Design, Möbel, Raumaufteilung. Dänische Schulen bieten etwas fürs Auge. Eine der vielen „Ausschüsse“, die das Schulleben demokratisch gestalten, ist der Kunst-Ausschuss. Er hat einen eigenen Etat, erwirbt echte Kunstwerke und placiert sie in Fluren, Pausenhalle oder Cafeteria – und sie werden nicht zerstört oder mit Graffiti übersprüht.

Dass die Schüler sich mit ihrer Schule identifizieren, liegt auch an der Fülle außer-unterrichtlicher Veranstaltungen. Täglich sitzen sie zwischen halb 12 und 12 Uhr – wie überall in Dänemark – zur Frokost-Pause zusammen, meist mit ihrer ganzen Klasse. Einmal pro Woche treffen sich alle Schüler zu einer großen Pausen-Versammlung, die von immer einer anderen Klasse gestaltet wird: Musik, Rezitation, Veranstaltungshinweise, Schülerrats-Infos. Man kann sicher sein, dass es keine hämischen Zwischenrufe, aber viel Beifall gibt. Jede Schule hat ihre eigene Event-Kultur: vom jährlichen Musical, über die Abiturs-Rituale, den Sammlungen für 3.Welt-Projekte, dem Freitagnachmittags-Cafe (mit Bier und Video!) bis hin zu den Festen aller Art: „Temafest“, „Intro-Fest“, „Gammelaars-(Ehemaligen-)Fest“, „Födseldagsfest“ (Schul-Geburtstag) und natürlich Jule-Frokost, Dänemarks weihnachtlichem Ess- und Trinkfest, das von Ende November bis in den Januar hinein das soziale Leben maßgeblich prägt.

6. Lehrer: Nicht nur Idylle

Kein Wunder also, dass man so etwas wie Pausenaufsicht nicht kennt, in der Lehrer die Schüler kontrollieren müssten. Dennoch gab es kürzlich in einer Folkeskole einen Lehrerstreik – nicht wegen Geld oder Arbeitszeit, sondern weil diese Lehrer ein Zeichen gegen die zunehmende Gewalt der überwiegend ausländischen Schüler setzten wollten. Die dänische Schule ist also durchaus keine Idylle. Hier spiegeln sich auch die Probleme der dänischen Gesellschaft, die sich z.B. schwer tut mit dem relativ neuen Einwanderer-Problem. Und konfrontatives oder gar aggressives Verhalten kann diese Konsens-Gesellschaft nur schwer ertragen.

Viele Lehrer haben einen durchaus kritischen Blick auf die Jugendlichen und ihre Art des Aufwachsens: Fast alle haben vom 14. Lebensjahr an neben der Schule einen Job und kümmern sich zu wenig um ihre intellektuelle Weiterentwicklung. Selbst das Singen im Kirchenchor passiert nur gegen Bezahlung ... Diese H&M-Generation braucht viel Geld für Markenkleidung, Sonnen- und Bodybuilding-Studios – und vor allem für Alkohol (Die dänischen Jugendlichen haben die irischen als Europameister im Trinken abgelöst. Mädchen stehen dabei den Jungen nicht nach). Beklagt wird auch die Reduzierung der finanziellen Mittel für die Schulen seit 1996 um 6 Prozent – allerdings hat Dänemark europaweit nach einem OECD-Bericht immer noch den größten Anteil an Bildungsausgaben im Staatshaushalt. Die Klassen sind auch hier relativ groß (ca. 25 Schüler), und mit der notwendigen Differenzierung in der Folkeskole haben es die Kollegen besonders schwer, seit der Anteil sog. „zweisprachiger“ Kinder sich drastisch erhöht hat.

Dänische Lehrer geben im Schnitt mindestens 5 Unterrichts-Stunden weniger pro Woche! Das ist auch Folge eines Arbeitszeitmodells, das die zu über 90 Prozent gewerkschaftlich organisierten Lehrer seit über 10 Jahren durchgesetzt haben. Darin werden neben Unterrichts- und Vorbereitungszeit (ungefähr 1:1) alle pädagogischen und organisatorischen Tätigkeiten der, die dem Lehrer in Deutschland als selbstverständlich zusätzlich aufgebürdet werden wie z.B. Konferenzen, Klassenfahrten Elterngespräche, Schülerberatungen oder Korrekturen detailliert aufgerechnet.

Noch wesentlicher für die relativ große Zufriedenheit mit ihrer pädagogischen Arbeit aber ist die geringere psychische Belastung. Der Direktor ist vor allem ein Kollege, und die Entscheidungsabläufe in der Schule sind absolut transparent. Flache Hierarchien. Vor allem aber: Dänische Lehrer kommen weit weniger erschöpft aus der Klasse als ihre deutschen Kollegen. Ein burn-out-Syndrom kann man hier nur selten antreffen. So herrscht also ein deutlich entspannteres Klima in Klassenraum, Schulhof und Lehrerzimmer, die jene fruchtbare kooperative Schulatmosphäre mit ermöglicht – und eine Bereitschaft zur permanenten Reform des Bildungswesens; wenn viele Lehrer über all die Ansprüche des Ministeriums auch jammern... Lehrer zu werden ist übrigens in Dänemark ebenfalls für junge Leute ziemlich uninteressant geworden. Auch hier gibt es eine Überalterung der Lehrerschaft und absehbaren Lehrermangel.

7. Bafög für alle

Während man in Deutschland zur Zeit diskutiert, auf welche Weise man familienfreundliche Rahmenbedingungen – vor allem für berufstätige Frauen mit Kindern – schaffen und finanzieren kann, z.B. durch Ganztagsschulen, erörtert man in Dänemark eher das Gegenteil: Hat die Fürsorge staatlicher Einrichtungen nicht eine Versorgungsmentalität bei Eltern gefördert, so dass diese ihren eigenen Erziehungsauftrag zu wenig wahrnehmen? Niemand aber stellt hier wirklich in Frage, dass Kindergärten bis 18 Uhr geöffnet haben, manchmal sogar abends. Und selbstverständlich sollen die Schulkinder mindestens bis zur 6. Klasse am Nachmittag betreut werden. Und auch Ältere sollen noch an der „fritidsordning“ (Freizeit-Ordnung) teilnehmen können. Das gemeinsame Essen in den Familien gibt es ohnehin erst am frühen Abend. Dieser Tagesrhythmus hat schon eine lange Tradition – ebenso wie die volle Berufstätigkeit von Frauen. Und deswegen werden die umfangreichen Betreuungsangebote auch bleiben (müssen).

Kinder sind in Dänemark eine überschaubare finanzielle Belastung. Wer mit 18 noch in der Ausbildung ist – und das sind über 50 Prozent – erhält SU (Staatliche Unterstützung, entsprechend Bafög). Alle Studenten bekommen den vollen Satz von ca. 1300 DM (Schüler ab 18 etwa 400 DM) - familienunabhängig. Unter diesen Bedingungen wird verständlich, warum die Geburtenrate hier – obwohl fast alle Frauen berufstätig sind – viel höher ist als in Deutschland (12,4 : 9,3).

Franz Dwertmann

Für interessierte Nachfragen ist der Autor auch in der kirgisischen Republik per Email erreichbar: franz_dwertmann@hotmail.com