kabolzschüsse
: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Decoder-Bashing

Längst bestreiten TV-Rechteeinheimser einen großen Anteil der Fußballvereinsetats und meinen deshalb ohne Einschränkungen rumhupen zu können. Besonders Medienhooligan Leo Kirch setzt sich mit seinen Gewinn schlagenden Ellenbogen über Grenzen des guten Geschmacks hinweg. Mit der Verlegung von „ran“, seines eventlastigen Börsenmagazins mit Fußballtarnkappe von 18.30 Uhr am Samstag auf 20.15 Uhr, will er nun eine ganze Nation in Bierbäuche in Feinripp verwandeln und den Fingerabrieb der Fernbedienungs-Schumis in den schmerzhaften Bereich steigern.

Die Glotzer sollen sich exklusiv einschalten – beim so genannten Zahl per Guck auf Premiere. Sollen massig Penunzen lockermachen, um den Decoderboykott zu brechen, der bereits seit Erfindung der Box besteht. Denn niemand will diese Kiste wirklich, diesen Überwachungskick für Fernsehsüchtler, die lieber in den Sessel pupen, als sich im Stadion gegen Kirchs Kamera-Armada freie Sicht zu erkämpfen.

Fakt ist: Die Aufwertung des TV-Fußballs bedeutet eine Abwertung des Stadionbesuchs. Die Eintrittsgelder der Fans machen nur noch geringe Prozentsätze am Einkommen der Bundesligaklubs aus. Und genau so werden sie auch behandelt. Frei nach einem Bonmot von Uli Hoeneß hinterlassen Stadionbesucher in erster Linie ihren Müll und können deshalb gleich zu Hause bleiben.

Damit das TV-Spektakel funktioniert, muss die Show kunterbunt und starfixiert sein. Der unkontrollierbare Stadionfan ist da nur noch ein lästiges Restrisiko. Er wird mit totaler Überwachung und vor allem bei Auswärtsspielen durch Repression diszipliniert. Mit TV-Geldern können auch fanfeindliche Stadionumbauten finanziert werden. Nach ihrer Meinung gefragt werden Fans nur in wenigen Fällen – und dann meist übers Ohr gehauen. Die Durchsetzung des Decoders mit der Brechstange ist der Tropfen, der das Fußballfass zum Überlaufen bringt.

„Deshalb betreibe ich den neuesten Berliner Schrei“, sagt Ronald aus Moabit, „und mache Decoder-Bashing. Das ist mein Beitrag zum Anfang vom Ende im Fußball.“ Sagt’s und schleudert einen Kirch-Decoder vom Hochhaus in seinem Kiez. Bumm. Das hat er letzten Freitag im Mittagsmagazin der ARD gesehen, wo Mitglieder des Bündnis Aktiver Fußballfans (Baff) mit einem solchen Beitrag gegen die Kirch-Steuer symbolisch den Anfang taten. Zehn Fans kickten im Jahn-Sportpark in Mitte mit einem selbst gebastelten Decoder und bewiesen, dass man mit einer eckigen Gerätschaft unmöglich Bananenflanken schlagen kann. Bumm.

An diesem Happening nahm auch der Neuberliner Matze teil, ursprünglich aus Bremen und deshalb Werder-Fan. „Decoder-Bashing befreit“, meint er. „Als Bremer Fan habe ich in Berlin kaum Möglichkeiten, in den Kneipen Werder zu schnorren, ohne von Hertha-Prolls und Bayern-Erfolgsfans umrülpst zu werden. Werder wird eh nie übertragen außer gegen diese zwei Vereine. Und dann mit dem Publikum? Ohne mich.“

Also Decoder-Bashing für eine bessere Zukunft, das heißt „ran“ um 18 Uhr 30? Für Baff wäre das nur „Systemkosmetik“. „Ran“ verwurstet den Fußball jenseits seiner ursprünglichen Dramaturgie zur Show, inszeniert von den Kommentatoren des Grauens. Sie zeigen, wie sich der Durchfall von Baslers Ehefrau auf dessen Zweikampfverhalten auswirkt, wie Beckenbauer einen Kaugummi unter den Logentisch klebt – und wenn einmal der Fußball rollt, ist schon wieder Werbung. Würden sich einige Geldgeber zurückziehen, könnte der Ballsport womöglich ein wenig runter kommen von seiner überdrehten Spirale und auch im TV ein journalistisches Maß finden zwischen verschnarchter Sportschau und „ran“.

Nicht um jeden Preis wollen Fans nur Superstars sehen, die vom TV-Geld bezahlt werden. „Sie bleiben nur ein Jahr oder so, dann sind sie wieder weg, das hat nichts mehr“, sagt Ronald. Die Verpoppung von Stars zu Bravo-Posern hat den Zenit überschritten, taugt nur noch für früh vergreiste Kids. Deshalb grassiert in Berlin das Decoder-Bashing, demnächst mit Freestyle-Meisterschaft und Peter-„Abschalten!“-Lustig als Schirmherr. Und wieder macht es irgendwo in Berlin bumm.

GERD DEMBOWSKI

Auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: nicht messbar