Ungeheuerlichkeiten

Family galore: Takashi Miikes Film „Visitor Q“  ■ Von Volker Hummel

Ein herzhafter Hieb auf den Hinterkopf mit einem Ziegelstein ist manchmal genau das Richtige im Leben. Jedenfalls wenn man gerade vergebens der Versuchung nachgegeben hat, mit der eigenen, sich prostituierenden Tochter zu schlafen. Und zu Hause wartet auf den gedemütigten Pater familias alles andere als eine heile Familie. Der Sohn verbringt die meiste Zeit damit, seine Mutter mit einem ganzen Arsenal von Schlaginstrumenten übel zuzurichten, was diese wiederum nur durch regelmäßigen Heroinkonsum erträgt. Da ist der junge Mann mit dem Stein in der Hand vielleicht genau das Richtige, um einem Leben voller Gewalt und Indifferenz ein Ende zu machen.

Aber Gott sei Dank befinden wir uns hier im filmischen Universum von Takashi Miike und nicht in einem europäischen Erlösungsdrama. Wie Pier Paolo Pasolini in Teorema erzählt Miike in Visitor Q vom Einbruch des Fremden in einen Familienbund. Der namenlose Fremde, der fortan mit am heimischen Herd leben darf, setzt eine Dynamik in Gang, an deren Ende nicht, wie bei Pasolini, die totale Entfremdung, sondern doch wieder so etwas eine heilige Familie steht – oder das, was Miike darunter versteht.

Sprengte Miike in seinen Filmen Dead or Alive und Audition noch das jeweilige Genre von innen he-raus, hat der „wohl finsterst gesonnene Regisseur der Gegenwart“ (Spex) hier von vornherein freie Hand, seine wahnwitzigen Einfälle umzusetzen. Wie ein Steinschlag für den Zuschauer wirkt schon die erste Szene, in der die minderjährige Tochter ihren vor Lust und Scham sich windenden Vater verführt. Von diesem ersten Tabubruch an reihen sich die Ungeheuerlichkeiten, ohne Erklärungen, ohne psychologische Finessen oder gesellschaftskritische Töne, als reines Spektakel zwischenmenschlicher Erniedrigung und Gewalt.

Im Mittelpunkt stehen die Versuche des beim Fernsehen arbeitenden Vaters, eine Doku über Jugendgewalt zu drehen. Dabei ist er allerdings von einer paar Kids sodomiert worden. Währenddessen entdeckt die zwischen Gewalt und Drogenrausch lebende Mutter mit Hilfe des Fremden die Freuden der Laktation. Literweise Milch entströmen fortan ihren Brüsten. Überhaupt spielen Körperflüssigkeiten eine große Rolle bei Miike. Eine der exzessivsten Szenen der Filmgeschichte zeigt den Papa beim Koitus mit der Leiche seiner verstorbenen Assistentin. Die einsetzende Leichenstarre verhindert jedoch die Trennung vom Objekt der Begierde, und der postmortale Fluss der Körpersäfte erhöht nicht gerade das Vergnügen des festsitzenden Liebhabers.

Vielleicht ist es gerade das Fehlen jedes Schulddiskurses, jedes Therapieansatzes, jeder Andeutung von Normalität, die Visitor Q nicht nur erträglich, sondern zu einem einzigartigen Kinovergnügen werden lässt. Es handelt sich hier um eines jener raren Wunderwerke, die sich einen Dreck um Zuschauererwartungen und Genrekonventionen scheren, die von der ersten Sekunde an ihr eigenes Universum entfalten, mit einer traumhaften Folgerichtigkeit. Neben dem Verlassen des Kinos bleibt einem eigentlich nur noch jenes euphorische Gelächter, das einen überfällt, wenn man sich nicht zwischen Entrüstung und Jubel entscheiden kann und ins reine Schauen verfällt. Am ehesten noch erinnert Miikes „Familienkomödie“ vielleicht an Sogo Ishiis berühmte Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb von 1984. Der Abstieg in die Abgründe des japanischen Mittelstands, der damals mit der Suche eines Familienvaters nach einem Termitennest unter dem Wohnzimmerboden seinen Anfang nahm, ist in Visitor Q zu einem würdigen Abschluss gekommen. Alle zu Tage geförderten Psychopathologien des familiären Beisammenlebens werden hier in nur 84 Minuten vor Augen geführt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Aber vielleicht ist das zu europäisch gedacht.

Sa, 20.45 Uhr, Cinemaxx