Musizieren statt warten

Jeder Asylbescheid wirft die Gruppe „Black & White“ zurück. Egal, wie er ausfällt: Die selbstverwalteten Flüchtlinge verlieren einen ihrer Musiker

von HEIDE PLATEN

Michael Kiwanuka und sein Kollege David verabschieden sich nach dem Mittagessen. Kiwanuka sieht trotz Sommerhitze aus wie aus dem Ei gepellt mit dem makellos gebügelten Hemd, den schmalen Händen, der leisen Stimme und der großen Brille vor den sanften Augen. Er wechselt direkt vom Computer zur Schaufel. Auf dem Friedhof im osthessischen Hammersbach-Marköbel muss ein Grab ausgehoben werden. Am Vormittag haben sie das Gras in den Anlagen der kleinen Gemeinde gemäht. Das ist für sie nicht nur gemeinnützige Arbeit, sondern Integration.

Fleißige Kollegen

Die beiden sind aus ihren Heimatländern in Afrika geflohen und haben in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Sie wohnen im Ort zusammen mit sechs anderen Erwachsenen und zwei Kindern in einer ehemaligen Schlosserei. Sie haben das schmale, zweistöckige Backsteinhaus mit acht Zimmern gemietet und den Verein „Black & White“ gegründet. Sie verwalten und versorgen sich von den Sozialamtssätzen selbst. Das Projekt ist als selbst verwaltetes Asylantenheim ein Unikum in der Bundesrepublik. Die Gruppe hat ihr Leben in der Warteschleife selbst in die Hand genommen, tingelt seit März 2001 durch die Region, tanzt, spielt, singt. Die Seele der Initiative, sagen die anderen, sei der Ugander Michael Kiwanuka. Er lebt seit 1996 in der Bundesrepublik und legt den größeren Wert auf den zweiten Teil des Projektes: Vorträge in Schulen, in Kirchen und Vereinen. „Black & White“ informiert über die Zustände in den Ländern Afrikas, die Ursachen und Gründe der Flucht.

  Auf dem Bauhof am Ortsrand wartet Rudi schon auf seine Kollegen. Er zollt den Afrikanern Respekt: „Das sind keine Dummen. Die können mehr Sprachen als wir.“ Auch der Leiter des Bauhofes ist zufrieden. Kollegial seien die Leute aus der Schlosserei. Und vor allem: „Die können selbstständig arbeiten!“ Rudi schwärmt fast: „Sie sind sehr ruhig, nett, bekommen schnell Kontakt.“ Und arbeiten könnten sie für die zwei Mark Aufwandsentschädigung pro Stunde so viel wie drei. Kiwanuka, seine Frau Yudayah, David aus dem Norden der Elfenbeinküste und die anderen Afrikaner sind im Ort integriert. Der Main-Kinzig-Kreis unterstützt das Projekt, erteilt großzügig Reiseerlaubnisse. Beim Dorffest der Geflügelzüchter, bei Schützenfest, Fußball und Krippenspiel spielt und trommelt „Black & White“: „Kumbaya, My Lord“, die Hymne das African National Congress (ANC), „Gott schütze Afrika“. Und: „Die Gedanken sind frei“. Die Frauen verkaufen Sombosa – mit Gemüse gefüllte Teigtaschen.

Das Gemeinschaftsleben, sagt Kiwanuka streng, sei nicht das einer afrikanischen Großfamilie: „Dazu sind wir zu verschieden. Es gibt viele Länder in Afrika.“ Der Alltag hat sich im Lauf der Zeit verändert. Am Anfang gab es eine große, idealistische Wohngemeinschaft mit gemeinsamer Küche und Kasse. Inzwischen sind die Ansprüche aneinander geringer geworden, das Leben der Einzelnen ist privater. Die Gemeinschaftsaufgaben werden verteilt, aber jeder kocht wieder für sich, zieht sich zurück, hat eigene Beziehungen. Die Geschmäcker, aber auch die Weltanschauungen waren zu verschieden. Auch die vorübergehende Einigung über die Haussprache Englisch wurde brüchig.

Für einige Ugander war der Zungenschlag der ehemaligen Kolonialisten in den eigenen vier Wänden auf Dauer nicht erträglich. Sie bevorzugen das Luanda ihrer Vorfahren. Eine kompromissbereite Minderheit konnte sich nicht durchsetzen. Das ist schwer für den im französischen Sprachraum aufgewachsenen David, der mittlerweile in einem Gemisch von Französisch, Englisch und Deutsch parliert.

Wolfgang Lieberknecht, der einzige Weiße im Projekt, hält sich zurück. Der ehemalige Schriftsetzer und Journalist war einmal ein Macher, einer, der die ganze Welt verändern und den Globus in Frieden vernetzen wollte. Er hat Hilfsaktionen für Russland und Flüchtlingsinitiativen mit gegründet und schon einmal ein selbst verwaltetes Asylbewerberheim ins Leben gerufen, aus dem dann gar zwei wurden. Beide gibt es in dieser Form nicht mehr. Auch die Gründung eines multikulturellen Dorfes mit Seminarräumen als Dreh- und Angelpunkt kontinentübergreifender schwarzweißer Gemeinsamkeit scheiterte, war viel zu groß, um nicht konfliktreich zu sein. Lieberknecht resignierte, zog sich zurück, bis einige der Afrikaner das Heft in die Hand nahmen, ihn aus der selbst gewählten Isolation wieder herausholten. Sie bestellten ihn zum Koordinator der Vereinsaktivitäten von „Black & White“.

Der Alltag wird eher locker geteilt. Einmal pro Woche treffen sich alle zur Hausversammlung, Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Bindeglied ist der Verein, den sie durch ihre Auftritte finanzieren. Die ersten afrikanischen Trommeln haben sie einer ugandischen Musikgruppe auf Deutschland-Tournee abgekauft. Zuerst traten sie als Straßenmusiker auf, mittlerweile werden sie eingeladen. Anfang August spielten sie eine Woche auf der Nordseeinsel Borkum.

Auch das Musizieren ist nicht einfach: Wenn der beste Trommler die freudige Nachricht von der Genehmigung seines Asylantrages erhält und auszieht, wirft das die Gruppe zurück. Kiwanuka bremst, wenn Lieberknecht alles wieder mal nicht schnell genug geht und er darüber nachdenkt, aus der Musik einen Beruf zu machen, sich zu professionalisieren. Eigentlich, sagt er, sei das Arbeitsverbot für Asylanten „für uns ideal“ gewesen. Die freien Kapazitäten konzentrierten sich ganz auf den Verein und die Musik. Jetzt lernt einer der besten Trommler Schweißen und Metallverarbeitung. Alle wollen arbeiten, verschieben die Proben auf den Feierabend und das Wochenende.

Asylantrag abgelehnt

A. will ihren Namen nicht nennen. Sie war schon beim ersten Projekt dabei und ist die Lead-Sängerin der Musikgruppe. Die Kriegswaise war in ihrer Heimat aktive Kämpferin, Mutter von drei Kindern, zwei musste sie bei der Flucht zurücklassen, eines wurde in Deutschland geboren. A. ist eine selbstbewusste Frau. Auch sie landete in Deutschland zuerst in einem thüringischen Asylantenlager, 600 Leute in einer ehemaligen russischen Kaserne, nur 15 Schwarze: „Ich hasste das sehr.“ Mittlerweile ist sie auf einer Tournee noch einmal in den Ort zurückgekehrt. Vorher, sagt sie, „waren alle unfreundlich“, plötzlich aber sei sie hofiert worden: „Das war so verrückt. Ich war doch derselbe Mensch!“

Die Stimmung, sagen alle, ist seit einigen Wochen gedrückt. Ausgerechnet Michael Kiwanuka soll nicht als Asylbewerber anerkannt werden. Das Verwaltungsgericht Gera lehnte seinen Antrag ab. Kiwanuka, Sohn aus gutbürgerlichem Haus, hatte nach dem Studium zuerst in der Kriegsregion nördlich der Hauptstadt Kampala für das Deutsche Rote Kreuz gearbeitet. Eigentlich sei er damals ein unpolitischer Mensch gewesen, der als Manager „nur gutes Geld verdienen“ wollte. Das Elend der Kinder habe ihm „die Augen geöffnet“. Er schloss sich 1986 dem Umsturz und dem neuen Präsidenten Yoweri Museveni an. In dessen Geheimdienst avancierte er 1987 zum hohen Funktionär: „Da habe ich wieder zu viel mitgekriegt.“

Die Museveni-Regierung, stellte er fest, sei ebenfalls zutiefst undemokratisch und habe gegen die Menschenrechte verstoßen: „Die haben nachts die Eltern ermordet und am Tag die Kinder rekrutiert.“ Er wurde zum scharfen Regimekritiker und Mitbegründer der Oppositionspartei Nationale Demokratische Allianz (NDA), die ein Mehrparteiensystem fordert. 1996 wurde er gewarnt. Er floh nach Kenia, war dort aber wegen eines Auslieferungsabkommens nicht sicher. Eigentlich wollte er in die Niederlande, konnte sich aber nur ein deutsches Einreisevisum besorgen: „In Afrika gelten die deutschen Menschen nicht als sehr freundlich.“

In Deutschland angekommen, fand er seine Ängste bestätigt. Er landete in einem thüringischen Asylantenheim, war „abgeschnitten und isoliert“. Nach und nach baute er den Kontakt zu seinen Landsleuten auf und wurde Vorsitzender der Exil-NDA. Er gilt bei Experten als hoch gefährdet. Seine Frau wurde in Uganda gefoltert und folgte ihm in die Bundesrepublik. 1997 hörte er von Lieberknechts erstem Projekt und schaffte den Wechsel nach Hessen: „Das war wie ein anderer Teil Deutschlands.“ Nach der ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Gera sei er „in ein tiefes Loch gefallen“.

Kiwanuka versucht eine Erklärung: „Die Deutschen sind nicht anders als andere Leute auch.“ Er verstehe schon, dass Deutschland Probleme mit Ausländern habe. Das liege an der Tradition und auch daran, dass das Land mehr Flüchtlinge aufnehme als andere Länder, aber auch daran, dass die Informationen über die politischen Zusammenhänge nicht ausreichend vermittelt würden. Bei seinen Vorträgen habe er festgestellt: „Viele sind überrascht, wenn sie Informationen bekommen. Sie wissen so wenig über Afrika.“