Hellwach im Schlafcamp

Bei Janec Müllers Theaterspektakel „Schlaf!“ in Weimar bleibt die Bühne leer. Das eigentliche Theater findet, von Kameras beobachtet und von Metallgittern eingerahmt, auf der grünen Wiese statt

Hier, befiehlt der Sushi-Pavillon imperativ, hierwird geschlafen!

von FRITZ VON KLINGGRÄFF

Off-Theater wörtlich genommen. Der schwarze Kubus im Ilmpark, hochartifizieller und fensterloser Bühnenbau der Weimarer Kunstfest GmbH, hat dieser Tage ein Gegenüber vor der Tür. Als offenes Holzgestell ist eine Sushi-Bar fürs Publikum zusammengezimmert. Kultur ist easy, Leute, lasst es euch schmecken. Aber „Schlaf!“ prangt plakativ über dem Weimarer Sushi-Pavillon und ist Sprechakt hoch drei. Hier, kündet der Titel, hier hat das einzige Post-Projekt des diesjährigen Weimarer Kunstfestes seinen Ort: „Schlaf!“, die jüngste Theaterproduktion des Theaterhauses Weimar (nicht zu verwechseln mit dem ehrwürdigen Nationaltheater und just geweiht durch ein Porträt in der August-Ausgabe von Theater heute). Hier, befiehlt der Sushi-Pavillon imperativ, hier wird geschlafen! Hier, heißt es einsilbig, hier im Schatten des Theaterkubus herrscht der Schlaf.

Umstellt ist das Ganze von Eisengittern, an denen sich die Darsteller die Seelen einrennen, ein paar Regiestühle, ein Stand-mikrofon, eine Leinwand ergänzen die Szenerie, die Bühne und Parkett zugleich ist. Man könnte darin auch eine Installation aus der Welt Cady Nolands sehen. Aber, sagt der Theaterhaus-Chef, Janec Müller: „bedauerlicherweise müssen die Gäste Eintritt bezahlen“. Und wo ein Eisenzaun dem Publikum Eintritt abverlangt, da finden auch die Darsteller ihre Grenzen. Im Spiel heißt dies dann ans Publikum gewandt so: „Wir versuchen für unsere Kandidaten eine wirklichkeitsgetreue Umgebung zu schaffen. Aber im Gegensatz zu ihnen, die sich nicht frei bewegen können, können Sie sich frei bewegen.“

Es gibt also Theater in diesem Environment. Ziemlich schrill und melancholisch wird Reality-TV gespielt. Das Ziel der Show: Die drei Kombattanten, (Susan Hempel, Olaf Helbing, Peter Schütz) sollen in diesem „Schlafcamp“ am Ilmpark fünf Tage lang am Schlaf gehindert werden, „damit sie dann übermüdet sind und schlafen können. Gute Unterhaltung!“

Fabian Frauendorf moderiert das Ganze ziemlich kaltschnäuzig aus dem Dreiviertel-Off, und das Publikum steht auf gleicher Höhe und konsumiert Grünen Tee mit weißem Rum. Jede Menge vergleichbare Szenen spielen sich ab, alles aus dem Repertoire des Kintopp, Olaf fuchtelt wild mit der Pistole rum, Susan ist das schüchtern-coole Großstadtkind, Peter Schütz möchte aus dem Ganzen gern mal als Fernsehmoderator herauskommen.

Ihre gemeinsame Sprache finden sie im Sound der Achtziger-Nostalgie: „Meine Mutter hat schon immer gesagt: Wie du da so liegst, siehst du aus wie tot.“ Aber das ist dann doch das Gegenteil von Botho Strauß’ Paaren und Passanten, die sich einst auf der Berliner Schaubühne bewegten. Die kleinen Performanzen sind ursprünglich Theater – Versuchsanordnungen unter rigider Beobachtung und zwecks Herstellung von schönem Schein.

Drinnen im schwarzen Theaterkubus nämlich, auf der Bühne, sitzt die Weimarer Webcast Band pingfm mit beeindruckenden Elektronikaufbauten und mischt das Theater zu einem Club-Ganzen aus Drum & Bass und Hörspiel, aus vorgefertigten Film-Sequenzen und live gedrehter Realtime-Produktion (an der Handkamera Mirko Kubein). „Leide ich vielleicht unter Wahrnehmungsverschiebung?“, fragt sich da der Schauspieler vor der Leinwand; aber das klappt alles so vorzüglich, dass die zweidimensionalen Darsteller und ihre dreidimensionalen Spiegel zwischen Kubus und Sushi-Bar nahtlos Dialoge führen: „Nachher werde ich Olaf begegnen“, freut sich Susan – und siehe da, schon erscheint er übergroß auf der Leinwand und singt „What a wonderful world“. Zeitlos glücklich wie Beckett’sche Frohnaturen sind diese drei unter dem Zeichen Big Brothers. Janec Müllers „Schlaf!“ ist in seiner offenen Versuchsanordnung von einer merkwürdig transitorischen Dichte. Die Belanglosigkeit hat hier System und wäre wohl nichts als schön, wären da nicht die Projektionsflächen, an denen der Schein abblendet. Nicht mehr in den losen Verknüpfungen auf der Bühne liegen die Momente des Widerstreits, sondern in der eigenen Umgebung. Weil es das Theater gibt, gibt es sein Publikum. Das steht draußen an der Bar und weiß nicht so recht, wo es hingehört. Weil es die Inszenierung gibt, gibt es ihre Theorie.

Gern spricht Janec Müller von seinen Situationisten-Recherchen, vom Schlaf der Welt und der schlafgestörten Unruhe der Übermüdeten. Am Rande seines eigenen Spektakels streift der Regisseur herum, man kann ihn da befragen. Und weil es das Theater auf dem Vorplatz gibt, gibt es die leere Bühne im Kubus, wo selbstverliebt und sehr präsent die Webcast-Band Stücke in Echtzeit ins Internet verschiebt (www.pingfm.org). So funktioniert das. Und wenn heute Abend die Inszenierung endet, dann enden zugleich die Proben dafür. „Im Oktober, beim Diskursfestival in Gießen“, sagt der unruhige Geist Janec Müller, „und im November im Berliner Tacheles ist dann die Premiere. Vielleicht lasse ich die Leinwände aber wieder weg und mache eine einfache Indoor-Produktion.“ Darüber werde man noch diskutieren.