Absage an das chinesische Festland

Eine neue Partei in Taiwan propagiert offen die dauerhafte Unabhängigkeit der Insel von der Volksrepublik. Die politische Führung in Peking antwortet mit einem groß angelegten Militärmanöver. Ziel sei es, die Separatisten in Taipeh zu zerschlagen

aus Peking JUTTA LIETSCH

Eine neue Partei bringt die verkrustete innenpolitische Landschaft Taiwans in Bewegung – möglicherweise mit dramatischen Folgen für die Beziehungen der Insel zum chinesischen Festland. Pekings Funktionäre beobachten die Entwicklungen in Taipeh mit Sorge.

Anlass ist die Taiwanesische Solidaritätsunion, die am letzten Wochenende gegründet wurde. Sie will für die Gleichberechtigung der beiden chinesischen Staaten kämpfen. Dies allerdings ist ein rotes Tuch für die Politiker in Peking, die Taiwan als abtrünnige Provinz betrachten. Die KP-Propaganda beschimpfte die Gruppe denn auch schon als „Partei des Verrats und der Ungerechtigkeit“.

Falls die Taiwanesische Solidaritätsunion bei den Wahlen im Dezember ins Parlament einzieht, könnten Unabhängigkeitsbefürworter erstmals die Regierungspolitik Taiwans wirksam beeinflussen. Drahtzieher der neuen Partei ist der ehemalige Präsident Lee Teng-hui. Auf der Gründungsveranstaltung am Sonntag war er Ehrengast. Mit erhobenen Fäusten begrüßte der 78-jährige Politiker die neue Gruppierung, die „dem Volk bereits jetzt eine große Zuversicht in die Zukunft Taiwans eingeflößt“ habe.

Damit bestätigt sich, was die Spatzen seit längerem in Taipeh von den Dächern pfiffen: Der alte Lee, einer der prominentesten und umstrittensten Politiker Taiwans, versucht auch nach seinem Rückzug aufs Altenteil, die Politik maßgeblich zu beeinflussen. In den Augen der Pekinger Führung ist er der Staatsfeind Nr. 1, seit er es 1998 erstmals öffentlich wagte, von zwei gleichberechtigten chinesischen Staaten zu sprechen. Damals verglich er China und Taiwan mit der DDR und der Bundesrepublik.

Besonders verbittert die Politiker auf dem Festland, dass Lee noch immer Mitglied der nationalistischen Kuomintang-Partei (KMT) ist, die offiziell die Wiedervereinigung mit der Volksrepublik anstrebt. Die meisten KMT-Mitglieder stammen vom Festland. Sie waren nach dem Sieg der Kommunisten 1949 auf die Insel geflohen, wo sie die einheimische taiwanische Minderheit jahrelang unterdrückten.

Lee, der für sein eisernes Lächeln bekannt ist, gehörte zu den wenigen Politikern taiwanischer Abstammung, die in der KMT Karriere machten. Während seiner zwölfjährigen Amtszeit, die im vergangenen Jahr endete, verwandelte sich die Insel von einer Diktatur in ein Mehrparteiensystem. Zugleich belebte Lee die taiwanische Kultur und Sprache neu. Schon früh verdächtigten die Pekinger ihn, ein verkappter Unabhängigkeitsbefürworter zu sein, der insgeheim die Spaltung der KMT betreibe.

Ganz falsch liegen sie möglicherweise nicht: Die neue Partei wird von einem engen Vertrauten Lees angeführt, dem früheren Innenminister Huang Chu-wen. Ein großer Teil der Mitglieder stammt aus der KMT.

Kalkül Lees ist es offenkundig, auf Taiwan geborene KMT-Mitglieder in die neue Solidaritätsunion zu locken. Gelingt der Plan, kann die Organisation die Minderheitsregierung des Präsidenten Chen Shuibian von der Demokratischen Fortschrittspartei unterstützen. Auch Chen ist gebürtiger Taiwaner, der sich vor seiner Wahl zum Regierungschef mit klaren Worten für ein eigenständigeres Taiwan stark gemacht hatte.

Obwohl er in seiner Amtszeit eher milde Töne von sich gegeben hat, argwöhnt Peking, Chen treibe ein falsches Spiel und wolle sich früher oder später vom Festland lossagen. Obwohl die meisten der 21 Millionen Taiwaner große Angst vor einem bewaffneten Konflikt mit China haben und am Status quo festhalten wollen, genießt Chen vor allem Sympathien bei jungen Leuten, die trotzig auf Drohungen aus Peking reagieren.

Wie sein Vorgänger Lee versucht Chen derzeit, die Aufnahme Taiwans in die UNO zu erreichen. Er hat allerdings wenig internationale Unterstützung. Da die mächtige Volksrepublik scharf gegen Taipeh Stimmung macht, haben sich bislang nur zwölf Länder hinter den Antrag gestellt.

Die KP-Führung droht immer wieder mit einem Militärschlag, falls Taipeh es wagen sollte, die Unabhängigkeit auszurufen. Die Volksbefreiungsarmee rasselt derzeit wieder einmal mit dem Säbel: Seit dem Wochenende findet in Fujian, 200 Kilometer vor der taiwanischen Küste, das größte Militärmanöver seit dem Ende des Bürgerkriegs vor 52 Jahren statt. Laut der Hongkonger Zeitung Wen Wei Po sind dabei etwa 10.000 mit modernsten Waffen ausgerüstete Soldaten im Einsatz. Ziel der Übung ist es nach Angaben eines Militärsprechers, „jederzeit jede Verschwörung taiwanischer Separatisten zu zerschlagen“.