Gemüsehändler knacken Monopol

Niederlage für Fiat: Edeka darf nach gestrigem Urteil Autos verkaufen. Obendrein will die EU das Vertriebssystem der Fahrzeugbauer einschränken

von HANNES KOCH

Und wieder fällt ein Monopol. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat der Supermarktkette Edeka gestern erlaubt, Autos zu verkaufen wie Apfelsinen und Tomatenketchup. Für die Markenhersteller ist das ein schwerer Schlag. Denn bisher konnten sie den Vertrieb ihrer Wagen kontrollieren: Mit Unterstützung der Europäischen Union hatte die Konzerne in jahrelanger Kleinarbeit ein umfassendes System aufgebaut, das den Neuwagenverkauf für die Vertragshändler reservierte: Den neuen Omega gab es nur beim Opel-Händler, den Golf nur beim VW-, und den Punto nur beim Fiat-Händler. Die Konzerne bestimmten die Preise, die Kunden waren die Dummen.

Kein Wunder, dass Fiat allergisch reagierte, als im Mai die Gemüsehändler aus Hamburg in einigen baden-württembergischen Filialen den italienischen Kleinwagen anbot. Unter dem Motto „Jetzt schlägt’s Punto“ gab es das Auto für 24.500 Mark im Paket mit anderen Produkten, zum Beispiel mit Laptop, Motorroller, Computerdrucker, Spiegelreflexkamera und Handy. Auch dabei handelte es sich um Markenprodukte. Das Paket verkaufte Edeka nach eigenen Angaben 100-mal. Nach dem gestrigen Richterspruch, gegen den keine Revision mehr möglich ist, will die Supermarktkette weitere Autos anbieten.

Das Paketangebot war es auch, an dem Fiat juristisch ansetzte: Der Kunde könne so die Preise der einzelnen Waren nicht vergleichen. Doch die Karlsruher Richter haben entschieden, dass Edeka kein unzulässiges „Koppelungsgeschäft“ anbot. Die Verbraucher, so lautet der Tenor des Urteils, seien aufgrund der Preisangaben durchaus in der Lage, den Wert der einzelnen Waren auseinander zu halten und mit der Konkurrenz zu vergleichen. Das ist freilich nur ein Nebenaspekt der Angelegenheit. Die grundsätzliche Frage nach der Rechtmäßigkeit der neuen Vertriebsform blieb außen vor. Denn Edeka hatte sich abgesichert: Die Kette hatte die Puntos von einem Fiat-Händler gekauft. So konnte der Konzern keinen Verstoß gegen die so genannte Gruppenfreistellungsverordnung geltend machen.

Diese Verordnung ist ebenjenes seltsame Gebilde, gediehen im Bürokratendschungel der früheren Europäischen Gemeinschaft. Sie bildet die Basis des Vertriebsmonopols der Autokonzerne über die Vertragshändler, das mittlerweile von Edeka und den Verbrauchern unterspült wird. In der gegenwärtigen Fassung seit Mitte der 80er-Jahre in Kraft, „stellt“ die Verordnung „die Gruppe“ der Autobranche davon „frei“, einen Wettbewerb auf dem Markt zulassen zu müssen. Eines der hehren Prinzipien der Marktwirtschaft gilt hier nicht. „Für eine bestimmte Region gibt es einen bestimmten Händler“, schildert Fiat-Sprecher Thomas Casper. Dieser Autohändler genießt nicht nur beim Verkauf vertragliche Exklusivität: Nur er bekommt die originalen Ersatzteile. Konkurrenz existiert damit nicht, was den Konzernen zusätzliche Gewinnmargen von mehreren tausend Mark pro Automobil ermöglicht.

Die Genese der merkwürdigen Verordnung lässt sich nur mit dem Einfluss der Autolobby erklären: Eine Industrie mit Hunderttausenden von Jobs und besten Verbindungen zur Politik hat seinerzeit in Brüssel eine ihr genehme Regelung durchgesetzt. Allerdings ist mittlerweile auch der EU-Kommission aufgefallen, dass die Regeln eine seltsam wettbewerbsfeindliche Ausnahme sind. Die Verordnung gilt nur bis September 2002 – und bereits jetzt ist EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti dabei, eine neue Fassung zu erarbeiten.

In einem Bericht vom November 2000 hatte die EU-Kommission selbst auf einige schwere Nachteile des bisherigen Systems hingewiesen. So verwenden die exklusiven Vertragshändler meist die sauteuren Original-Ersatzteile: eine einseitig abgeflachte Schraube, die es nur bei Opel gibt, kann schon mal 28 Mark kosten, obwohl der Herstellungspreis bei 13 Pfennig liegt. Die Konzerne untersagen schlicht, andere Ersatzteile zu verwenden, die ebenso passen würden. Außerdem weiß die EU-Kommission jetzt, dass „die Hersteller unabhängige Werkstätten beim Zugang zu technischen Informationen benachteiligen“. Wie der Bordcomputer die Einspritzung des Benzins in den Vergaser regelt, erfährt eben auch nur der Vertragshändler. Ergebnis: Die Preise für den Service sind ebenfallls überhöht.

Konkurrenz vom Gemüsehändler, Änderungen auf EU-Ebene – die goldenen Zeiten des Auto-Monopols werden bald vorüber sein, auch wenn Brüssel die Markteinschränkung nicht ganz beseitigen wird, da die Konzerne immer noch genug Einfluss haben.

Für Fiat bringt die Edeka-Aktion gleich noch ein Problem: Sie durchkreuzt die Markenstrategie. Ein Wagen von Fiat verliert seine besondere emotionale Bedeutung, so fürchtet der Konzern, wenn das Gefährt im Supermarkt nebem billigem Bordeaux, Pfirsichen und Shampoo feilgeboten wird. Kühl kalkulierende, schnelle Kunden sind freilich vermehrt bereit, den Markennamen, die „Brand“, zu ignorieren – und womöglich gleich ganz darauf zu verzichten. Der Kaffeehändler Tchibo verkaufte schon vor Jahrzehnten No-Name-Fahrräder, Aldi machte es mit Computern nach. Und irgendwann gibt es wahrscheinlich das Edeka-Auto.