Der Sprachsäuberer

taz-Serie „Die Aktivisten“ (Teil 10): Kurt Gawlitta hat sich dem Schutz der deutschen Sprache verschrieben. Er überklebt englische Werbeslogans und will anglizismusverdächtige Orte besetzen

von KATJA BIGALKE

Was ist der Unterschied zwischen Aftershave, Haarspray und Overall? Aftershave gehört in die Gruppe des „überflüssigen oder vermeidbaren Englisch in der Alltagssprache“, Haarspray ist ein „Grenzfall“, und Overall ist „fast schon eingedeutscht und prägnanter als die einschlägigen deutschen Begriffe“. Kurt Gawlitta gehört zu den Menschen, die morgens „Rasierwasser“ benutzen und ausschließlich „Haarfestiger“ kaufen. Einen Overall würde er wohl sowieso nicht tragen. Gawlitta ist eher ein Anzugtyp. Ein Schreibtischaktivist.

Hinter Gawlitta, der bei der Senatsverwaltung für Schule und Jugend als Referent für Familienpolitik Familienberichte für das Abgeordentenhaus verfasst, steckt ein Wächter der deutschen Sprache. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, aus der Masse der englischen Wörter, die in den „deutschen Kulturkreis“ eindringen, die Begriffe auszusortieren, die die deutsche Sprache nicht bereichern, sondern sie zu ersetzen drohen.

„Denglisch“, sagt er verächtlich zu dem Fun-Background-High-Tech-Mischmasch, der der deutschen Sprache den Rang als „erstrangige Kultursprache“ abzulaufen drohe. Denglisch soll es nicht geben in Deutschland. Deswegen schreibt Gawlitta. Leserbriefe an Journalisten, die den bedrohlichen Denglisch-Zustand auf den Punkt gebracht haben, Zeitungsartikel darüber, ob „Werbung ‚cool‘ sein muss“, oder Fragebogen an Parteien, um zu prüfen, wie diese es mit der deutschen Sprache halten. Er schreibt gegen Ausstellungen mit dem Titel „The Story of Berlin“, gegen den „Eurospeedway“ oder gegen die „City-Toilette“. „Die Deutschen werden in ihrem eigenen Land zu Fremden“, ist sein Fazit.

Und damit steht Gawlitta nicht allein. Seit zwei Jahren ist er Regionalvorsitzender des 13.000 Mitglieder umfassenden Verbands Deutsche Sprache, dessen Anliegen durch Mitstreiter wie den Politologen Fritz Vilmar bekannt wurde.

Der hatte im April mit einem Seminar über die Amerikanisierung der deutschen Sprache am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität für Aufruhr unter Studenten gesorgt. Ihm wurde vorgeworfen, einen antiamerikanischen Ansatz zu vertreten. Einer deutschen Hochkultur wolle er die amerikanische Unkultur entgegensetzen und damit rechtsradikales Gedankengut fördern. Durch die Debatte wurde der Professor über Nacht zum Star und fehlte von da an in keinem Bericht über Anglizismen.

Den Medienrummel um seinen Kollegen findet Gawlitta zwar begrüßenswert, aber die Reaktion der Studenten ist ihm unverständlich. Er wähnt sich nämlich eher in der antikapitalistischen Antiglobalisierungsecke. Ob das nun links ist, ist ihm egal.

„Ich war noch nie so antikapitalistisch in meinem Leben“, sagt er. Anders als sein Mitstreiter Vilmar ist Gawlitta jedoch relativ unbekannt geblieben, und so kann er kaum jemandem erklären, dass er gegen die Werbebranche ankämpft, die sich des Englischen nur deswegen bedient, weil es die Sprache der Wirtschaft ist, die die Menschen gefügig machen will.

Aber der Mann, der sich in seinem winzigen Büro etwas linkisch zwischen Schreibtisch und Besuchertisch hin und her bewegt, hat noch Großes vor. Die Knopfaugen hinter seinen Brillengläsern leuchten: „Ich könnte mir vorstellen, anglizismusverdächtige Ausstellungen, Sportabteilungen oder Bankgebäude zu besetzen. Wir würden mit einer Gruppe von ganz normal aussehenden Leuten diese Orte besuchen und dann, wenn wir drin sind, unsere Jacketts ausziehen. Darunter würden wir T-Shirts mit Parolen tragen, die so etwas sagen wie: ‚Und in Deutsch?‘ Dann würden wir da so lange herumlaufen, bis die uns rausschmeißen.“

Etwas Ähnliches macht Gawlitta schon jetzt: Er zieht einen roten Papierstreifen aus dem Haufen seiner Aktivistendokumentation hervor. Darauf steht: „. . . wir sprechen auch Deutsch.“ In Nacht-und-Nebel-Aktionen streift er durch die Stadt und klebt den Streifen auf Plakate, die ihm missfallen.

„Richtig fit mit Rope Skipping“ wirbt etwa der Deutsche Sportbund. Und das hat Gawlitta richtig geärgert. „Rope Skipping heißt Seilspringen“, sagt er, „mit dem englischen Wort will man Zeitgeist suggerieren, und das sollen junge Leute dann putzig finden.“

Auch Sony ist ihm ein Dorn im Auge. „Da sagt man immer, die Japaner seien höflich. Aber wenn sie in Deutschland Werbung machen, sprechen sie grundsätzlich nur Englisch. Das finde ich richtiggehend dreist.“

Gawlitta hat einen romantischen Sprachansatz. Für den 59-jährigen Juristen und Erziehungswissenschaftler, der auch selbst Erzählungen schreibt, wird mit jeder Sprache „ein Fenster zur Welt“ aufgemacht. „In der deutschen Sprache gibt es zum Beispiel einen wahnsinnig ausdifferenzierten Wortschatz für alles, was im Wald passiert“, führt er aus. „Die Eskimos haben tausende Wörter für Schnee.“ Gawlitta kommt ins Schwärmen. Man könne so immer neue Wörter verarbeiten. Eindeutschen, meint er, neue Wörter erfinden.

„Laufband“ ist für ihn zum Beispiel eine sehr gelungene Wortkreation. Das Laufband gab es nicht vor den Achtzigern und vor Aerobic und Fitnessstudio. Es kam zwar aus Amerika, dennoch heißt das Laufband hier Laufband und nicht „running slope“. Auch „surfen“ sei erfolgreich verarbeitet worden. „Ich surfe, habe gesurft und so weiter – geht alles“, sagt er und zuckt generös mit den Schultern.

Ungemütlich wird ihm nur angesichts der Flut englischer Wörter, die Deutschland überschwemme. Es sei unklar, ob die deutsche Sprache die noch einverleiben könne. „Die Verdauungskraft einer Sprache kann überfordert werden. Und dann bleiben diese Wörter wie unbehauene Brocken in unserer Sprache stehen“, warnt er.

Um dem vorzubeugen, hat Gwalitta nun zu härteren Maßnahmen gegriffen und ein Gesetz über den Schutz der deutschen Sprache entworfen. Da steht zum Beispiel drin, dass Ankündigungen im öffentlichen Raum in Deutsch verfasst werden müssen, dass Stellenanzeigen deutsch zu schreiben seien und dass im Fernsehen und Rundfunk der Gebrauch der deutschen Sprache verbindlich ist. Verstöße sollen mit Bußgeldern bis zu 10.000 Mark geahndet werden. Außerdem sieht der Entwurf die Einrichtung einer Akademie für Deutsche Sprache vor, die die Entwicklung der deutschen Sprache beobachten und Empfehlungen für die Weiterentwicklung geben soll.

Für den Entwurf diente ihm Frankreich als Vorbild. Dort gibt es schon seit 1994 ein ähnliches Gesetz. „Ohne Zwang lässt sich die Wirtschaft das Englisch nicht ausreden“, erklärt Gawlitta. Sein Sanktionsmodell ist bei den Parteien, denen er den Gesetzentwurf zugeschickt hat, bisher jedoch sehr skeptisch aufgenommen worden.

Hinter dem Sprachsäuberungsansatz Gawlittas steht auch mehr als nur der Kampf gegen Denglisch. Es geht ihm nicht nur darum, „Sprachpantscher“ ausfindig zu machen und zu outen, es geht ihm nicht nur darum, Firmen zu diskreditieren, die englische Werbeslogans verwenden. Er versteht sein Engagemant als Teil eines Kulturkampfs.

„In Europa soll sich die kulturelle Identität der unterschiedlichen Länder so entfalten, dass Europa nicht mehr von der amerikanischen Soße überdeckt wird“, sagt er. Und: „Europa soll den Kampf aufnehmen.“ Und „Das einzige Problem ist Großbritannien, das Trojanische Pferd in der Europäischen Union.“

Zumindest in Sachen Zwiespältigkeit steht Gawlittas Anti-Denglisch-Ansatz dem des Medienstars Fritz Vilmar nicht nach. Aber Gawlitta ist nicht so verbissen wie der Politologe. Bei dem Wort „Trend“ zuckt er nicht einmal zusammen. „Das ist eingedeutscht“, sagt er.