Ein Mahnmal zum Mitmachen

US-Schüler wollen das erste „Holocaust-Mahnmal der Kinder“ errichten – aus elf Millionen Büroklammern und einem alten Reichsbahnwaggon. Dieser wird nun aus Mecklenburg-Vorpommern gen Whitwell/USA verschifft

BERLIN taz ■ Der Güterwaggon trägt die Nummer 011993. Noch ist er leer, aber bald schon sollen elf Millionen Büroklammern den Wagen füllen. Nüchterne Zahlen und doch voller Schrecken. Denn die Nazis benutzten den früheren Reichsbahnwagen vermutlich, um Häftlinge ins KZ zu transportieren. Jede Klammer steht für einen Toten: sechs Millionen ermordete Juden, fünf Millionen nicht jüdische Opfer, Kommunisten, Sozialdemokraten, Homosexuelle, Sinti und Roma.

Waggon samt Inhalt sind Kernstück des weltweit ersten „Holocaust-Mahnmals der Kinder“, das im Herbst im US-Staat Tennessee seine Pforten öffnen soll. Am kommenden Montag soll sich der Wagen vom mecklenburg-vorpommerischen Röbel Richtung Cuxhaven in Bewegung setzen. Von dort wird er gen Whitwell verschifft, wo er mit den Klammern beladen wird. Nach dreijähriger Vorbereitungszeit sollen Mahnmal und Museum zum 63. Jahrestag der NS-Pogromnacht am 9. November eingeweiht werden.

Die Abschlussklasse der Whitwell Middle School, 13- bis 15-jährige Jugendliche, hatte das Projekt 1999 initiiert. Eine Schülerin hatte gelesen, dass sich die Norweger als Protest gegen die deutsche Besatzung und das rassistische NS-System Büroklammern ans Revers hefteten. Mit den Klammern wollten die Schüler die unfassbar große Zahl ermordeter Menschen vorstellbar machen.

Ein Mahnmal gegen Intoleranz und Unmenschlichkeit – und eines zum Mitmachen. Auf ihrer Homepage rufen die Schüler dazu auf, Büroklammern aus aller Welt zu schicken. Einige zehntausend Menschen beteiligten sich an der Aktion, vor allem aus Deutschland und Österreich. Behörden, Firmen, Schulen und Privatpersonen.

Einige schickten Büroklammern für bestimmte Menschen. „Für meine Tante und meinen Onkel und viele Verwandte. In Erinnerung“, schrieb ein Heidelberger. Ein Mann aus Leipzig schickte Klammern aus einer Zeit, wie er sagt, in der viele Menschen schuldig wurden. „Diese Büroklammern gehörten zum nationalsozialistischen System. Sie haben einfach ihre Pflicht getan. Sie haben Schriftstücke zusammengehalten, die mit Hakenkreuzen abgestempelt waren.“

Heidelberg sandte 2.230 Klammern – eine für jeden städtischen Mitarbeiter. Beeindruckt habe sie das Projekt, sagt Oberbürgermeisterin Beate Weber.

An der Einweihung des Mahnmals im November sollen Vertreter der US-Regierung, Abgesandte des Washingtoner Parlaments, Delegationen aus Deutschland, Österreich und Norwegen sowie Opfervertreter teilnehmen. Für ihr Projekt haben die Schüler bedeutende Fürsprecher gefunden: die US-Präsidenten George W. Bush und Bill Clinton, Regisseur Steven Spielberg und den Holocaust-Überlebenden Eli Wiesel.

In Deutschland stößt das Projekt auf Skepsis. Einzig der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy unterstützt die Idee. Seine Parlamentarierkollegen halten sich dagegen bedeckt. „Man könnte die Haltung der deutschen Politiker als ‚ablehnend‘ bezeichnen“, sagt Dagmar Schroeder-Hildebrand.

Die Washingtoner Journalistin, die als Mitinitiatorin auftritt und auch ein Buch über das Projekt geschrieben hat, führt das geringe Interesse an dem „ ‚Kinderkram‘ des Holocaust-Projekts da hinten in den USA“ schlicht auf eine Übersättigung zurück. Im Herbst 1999, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Zwangsarbeiterentschädigung, hätten die Deutschen nichts für das Vorhaben übrig gehabt.

Doch vielleicht ist es aber auch einfach die Form des Erinnerns, die Unbehagen weckt. Im „Land der Täter“ kommt die amerikanische Gedenkkultur nicht unbedingt gut an: der Holocaust, dem in den USA zunehmend eine universelle Bedeutung zugewiesen wird und auf den sich auch Afro- und Latino-Amerikaner beziehen. Das, so Kritiker, führe zu problematischen Vergleichen.

Am 23. August wird die Bundeswehr ihn in Cuxhaven auf ein Verladeschiff gen Whitwell hieven, wo er mit großem Bahnhof empfangen wird – der „Mahnmal-Sonderzug“.

NICOLE MASCHLER