Der Student als Einnahmequelle

Australien hatte lange Zeit ein viel gerühmtes Modell für Studiengebühren. Bis eine neue Regierung die Sozialverträglichkeit der Gebühren strich. Die Ökonomisierung hat auch das Bild der Universitäten völlig verändert: Sie schauen nur noch aufs Geld

von MARTIN BOTH

Sue war ziemlich sauer. Eigentlich wollte die Professorin am Institut für dramatisches Gestalten über die Kunst der Beleidigung in Shakespeares Dramen reden. Stattdessen übte sie sich nun selbst in dieser Kunst – indem sie über ihre Hochschule schimpfte, die Monash University in Melbourne. Für Sue waren die Zustände an ihrer Uni im Oktober 1998 unhaltbar geworden: Die Universität kürzte Stellen. Für die Dozenten der Geisteswissenschaftlichen Fakultät bedeutete das doppelten Arbeitsaufwand und für ihre Studenten eine massive Verschlechterung der Studienbedingungen.

Anders als in Deutschland sind Universitäten in Australien stark von Finanzmitteln aus nicht staatlichen Quellen abhängig. Das sieht man den Unis auch an. Wem sich zum Beispiel die Schiebetüren zum Union-Building der Monash University öffnen, der betritt eine für akademische Gepflogenheiten hierzulande wunderliche Welt: Vier Banken unterhalten hier eine Filliale – und werben für ihre günstigen Kreditbedingungen. Der Plattenladen gegenüber spielt laut Musik. Nebenan kühlt ein Automat Blumensträuße. An jeder Ecke werben Plakate für die Filme im hauseigenen Kino. Bei SillySausages braten ab neun Uhr morgens fette Würste. Ein universitärer Jahrmarkt.

Längst rechnen Universitäten wie Monash aber nicht mehr nur mit den Einkünften aus der Ladenpacht und Werbeflächen in den Gebäuden. Sie lassen auch Lehrmittel und sogar Vorlesungen von privater Hand finanzieren. Selbst Bereiche der Univerwaltung gehören eigentlich nicht mehr zur Uni, sondern werden privat betrieben.

Eine der Einnahmequellen der Universitäten sind die Studenten. 1997 etwa stammte das Budget australischer Universitäten zu 12 Prozent aus den Taschen von Studenten, die ihr Studium als so genannte Selbstzahler finanzierten – also aus ihrem eigenen oder dem Vermögen ihrer Eltern. Den gleichen Anteil an Geld tragen noch einmal Studenten an die Uni, und zwar solche, die ihr Studium über das staatliche Gebührensystem, das Higher Education Contribution Scheme (HECS), finanzieren. Den Rest, knapp 60 Prozent des Gesamthaushalts, schoss die Bundesregierung in Canberra zu. (Siehe Text unten)

Was Professorin Sue so in Rage brachte, hatte seine Ursache bei Australiens Regierung unter dem Premier John Howard von den Liberalen (die nach hiesigen Maßstäben eher Konservative sind). Howard hatte zu Beginn des Jahres 1998 massive Streichungen am Bildungsetat vorgenommen. Allein die Forschungsmittel wurden auf die Hälfte gekürzt. Es wurde deutlich, dass sich der Staat aus der Finanzierung der öffentlichen Bildungseinrichtungen zurückziehen wollte, um das Feld privaten Lehreinrichtungen zu überlassen. Die staatlichen Univerwaltungen erhielten allerdings mehr Freiheiten bei der Verwendung der Staatsgelder.

Zum Beispiel kann die Zahl der Studienplätze seitdem frei von den Zahlungen des Staates festgesetzt werden. Vorher hatte darüber eine staatliche Behörde entschieden. Zudem dürfen die Unis seit 1998 ein Viertel ihrer Studienplätze an zahlungskräftige Australier verkaufen.

Die betrieblichen Folgen dieser Maßnahmen waren drastisch. Die Monash-Universität etwa reagierte auf die neue Situation mit einem Einschnitt in das Kursprogramm der geistes- und naturwissenschaftlichen Fächer. Fachbereiche mit geringen Studentenzahlen wurden geschlossen oder gingen in anderen Abteilungen auf. Allerdings hatte Monash genug Geld, um zur gleichen Zeit in Malaysia einen neuen Campus für lukrative Wirtschafts- und Informatikstudiengänge einzurichten.

Bis 1988 war das Studieren in Australien, genau wie in Deutschland, ganz umsonst gewesen. Als Mitte der Achtzigerjahre die Studentenzahlen an den australischen Universitäten aber drastisch anstiegen, suchte die amtierende Labour-Regierung nach neuen Wegen zur Finanzierung der Hochschulen. Die australischen Sozialdemokraten führten daraufhin Studiengebühren ein. Seit 1988 trägt nun jeder Studierende rund ein Drittel der Kosten seines Studienplatzes selbst.

Da man aber weiterhin allen gesellschaftlichen Schichten eine akademische Ausbildung ermöglichen wollte, gewährte Labour eine weltweit viel beachtete Ausnahme: Die Studenten können die Gebühren so lange zinslos stunden lassen, bis sie als Absolventen über ein gesichertes Einkommen verfügen. Auch in der Studentenschaft fand das Higher Education Contribution Scheme als Modell zur Studienfinanzierung so allgemeinen Beifall – eine Zeitlang jedenfalls.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich das australische Bildungssystem insgesamt stark verändert. Die Unterteilung zwischen den praktisch orientierten Colleges – etwa mit unseren Fachhochschulen zu vergleichen – und den akademischen Universitäten wurde aufgegeben. Bis 1997 verschmolzen die einst 69 Colleges und 19 Universitäten im Land zu 36 Gesamthochschulen, mit der Folge, dass sich die Unis heute als Orte der Berufsausbildung sehen.

Zudem integrierte sich Australien in diesem Zeitraum in den asiatisch-pazifischen Raum. So verfolgt auch die Bildungspolitik seitdem das Ziel, den asiatischen Nachbarn in Konkurrenz zu den Vereinigten Staaten attraktive und preiswerte Möglichkeiten zur Ausbildung ihres Nachwuchses anzubieten. Dieser stellt heute den größten Teil der voll zahlenden Studentenschaft und wird dementsprechend von den Unis hofiert. Ganze Kursprogramme werden auf die Bedürfnisse der ausländischen Studenten zugeschnitten.

Die Höhe der Uni-Gebühren freigeben

Der konservativen Regierung unter Premier Howard scheint das nicht weit genug zu gehen. Sie will das HECS-Modell zur Studienfinanzierung ändern. Ende vergangenen Jahres kam der Inhalt eines internen Regierungspapiers an die Öffentlichkeit. Darin empfahl der Minister für Jugend und Bildung, die Höhe der Studiengebühren freizugeben und künftig Zinsen auf die HECS-Schulden einzuführen.

Für den Staat könnte HECS so zu einem profitablen Zweig werden. Die Universitäten aber wären unter dem verstärkten Konkurrenzdruck auf dem privaten Bildungsmarkt gezwungen, ihr Kursangebot noch mehr an der Nachfrage zu orientieren. Australische Unis bestimmen jedes Jahr die Zulassungsvoraussetzungen für ihre Studiengänge. Seitdem private Studienplätze auch Australiern angeboten werden dürfen, zeigt sich, dass die Unis Privatstudenten natürlich bevorzugen. Das führt unter anderem dazu, dass Studenten, denen der Staat die Studiengebühren mit Hilfe des HECS lieh, schon 1998 ein wesentlich besseres High-School-Abschlusszeugnis vorweisen mussten als ihre selbst zahlenden Kommilitonen.

Auch die akademische Atmosphäre hat sich durch die Ökonomisierung der Universitäten geändert. Das war es, was die Dozentin Sue am meisten ärgerte – die Universität versuchte, Kritiker mundtot zu machen. Einem Lektor, der sich an die Presse gewandt hatte, war gekündigt worden. Denn die Uni sah durch dessen Kritik ihren Ruf und damit ihre wirtschaftlichen Interessen gefährdet.

Für Sue war damit das Maß voll. Es wäre jetzt an der Zeit, auf die Straße zu gehen und sich den geplanten Protestaktionen gegen die Studiengebühren anzuschließen, rief sie ihre Studenten auf. Für ihre Studenten reichte dieser dramatische Appell der Professorin aber nicht aus. Im Seminar herrschte betretenes Schweigen. Das mag daran liegen, dass die australischen Hochschulen noch eine andere Erwartung erfüllen, die mancher Bildungspolitiker hierzulande an Unis hat: Ihre Studenten sind jung, sehr jung. Studierende der Monash-Universität zählen im Durchschnitt zarte 20 Jahre.